Schwerpunkt der Kampagne HINSEHEN & HANDELN: Gewalt gegen Frauen verhindern! von amnesty international.

Schutz für Menschenrechtsverteidigerinnen!

von Judith Striek

Die Menschenrechte haben kein Geschlecht. Aus welchem Grund wurde dann der Slogan Frauenrechte sind Menschenrechte geprägt? Frauen und ihre Rechte sind nicht selbstverständlich in der gleichen Weise geschützt wie Männer. Viele der Menschenrechtsabkommen umfassen vor allem Rechte, die vorrangig Männer betreffen, wie z.B. politische Rechte. Die Menschenrechte, die für Frauen von besonderer Bedeutung sind, wie die sozialen und wirtschaftlichen Rechte, wurden häufig nicht mit denselben Durchsetzungsmechanismen versehen.

Auf der Weltmenschenrechtskonferenz der UN 1993 wurde die Unteilbarkeit der Menschenrechte ausdrücklich bekräftigt. Es wurde festgehalten, dass alle Menschenrechte universell und unteilbar sind und in Zusammenhang zueinander stehen. Des Weiteren wurde in der Erklärung unmissverständlich darauf hingewiesen, dass auch die Rechte von Frauen einen integralen und unteilbaren Bestandteil der universellen Menschenrechte bilden. Auf der Konferenz wurde auch herausgestrichen, dass Frauen in den Genuss aller Menschenrechte kommen sollen. Als besondere Aktionsschwerpunkte wurde Gewalt gegen Frauen, im öffentlichen und privaten Raum, sowie die Diskriminierung von Frauen hervorgehoben. Diese Diskussion zeigt, dass es auch in den 1990er Jahren noch nicht selbstverständlich war, dass Frauenrechte ein wichtiger und nicht in Frage zu stellender Teil des Menschenrechtskonzeptes der Vereinten Nationen und insbesondere ihrer Mitgliedstaaten sind. Selbst heute wird in einigen Staaten und Organisationen bei den Menschenrechtsverletzungen an Männern und Frauen mit zweierlei Maß gemessen. Man bedenke nur, wie viele Frauen an häuslicher Gewalt oder an vermeidbaren Komplikationen von Schwangerschaften sterben und wie wenig das in den betroffenen Ländern thematisiert wird bzw. die Notwendigkeit, Abhilfe zu schaffen, gesehen wird.

Über ein Jahrzehnt später ist diese Botschaft also noch immer nicht in allen Staaten verankert worden. Frauen werden in vielen Ländern ihrer Rechte beraubt, weil sie Frauen sind. Sie leiden unter geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen und werden in vielen Fällen nicht ausreichend vor den Übergriffen des Staates oder privater Dritter geschützt. Seit 2004 betreibt amnesty international die Kampagne HINSEHEN & HANDELN: Gewalt gegen Frauen verhindern! Gewalt gegen Frauen ist in allen Gesellschaften ein sehr großes Tabuthema. Amnesty international widmet sich als Schwerpunktthemen Frauen in bewaffneten Konflikten, familiäre Gewalt und der Unterstützung von Menschenrechtsverteidigerinnen. Menschenrechtsverteidigerinnen sind besonders dann bedroht, wenn sie sich explizit für die Rechte von Frauen einsetzen, weil diese in vielen Regionen nicht als Menschenrechte anerkannt werden. In vielen Ländern werden die Frauen von der Polizei, dem Militär und den Sicherheitskräften bedroht, willkürlich verhaftet, misshandelt oder sogar ermordet. Menschenrechtsverteidigerinnen erfahren häufig geschlechtsspezifische Gewalt wie Vergewaltigung in Polizeistationen und sind somit auch besonderen Gewaltfolgen ausgesetzt wie ungewollten Schwangerschaften oder Fehlgeburten aufgrund dieser Misshandlungen.

Aber Frauen sind nicht nur Opfer. Sie setzen sich aktiv für die Verteidigung und Durchsetzung ihrer Rechte und der Rechte anderer ein. In vielen Ländern kämpfen Frauen für die Wahrung der Menschenrechte - häufig sind sie dadurch Bedrohungen ausgesetzt und werden zur Zielscheibe für Angriffe und Diffamierungen. Viele Frauen treten aktiv für den Frieden ein. Sie tun das auf ganz unterschiedliche Weise und mit sehr unterschiedlichen Methoden. Hier werden zwei Frauen stellvertretend für die vielen anderen Aktiven vorgestellt.

Zum Beispiel: Türkei

Reyhan Yalcindag berichtet von ihrer Verhaftung und Folterung als Konsequenz für ihr Engagement für die Menschenrechte in der Türkei. Sie arbeitet in Diyarbakir als Anwältin und ist außerdem für die Menschenrechtsorganisation IHD als Vorstandsmitglied aktiv. Sie arbeitet ehrenamtlich, da es für diese Menschenrechtsarbeit kaum finanzielle Unterstützung gibt. Zudem ist die Arbeit der Organisation, die die Menschenrechtsverletzungen an der kurdischen Minderheit anprangert, sehr gefährlich. Yalcindag berichtet, dass bereits 14 Vorstandsmitglieder umgebracht worden sind. Was bewegt die junge Anwältin zu ihrem Einsatz für die Menschenrechte, der mit Bedrohung und Entbehrungen einhergeht? Als prägend bezeichnet sie den Militärputsch 1980, in dem sie viele Verwandte verloren hat und die Diskriminierungen aufgrund ihrer kurdischen Herkunft, die sie schon früh erfahren hat. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich insbesondere mit Fällen von Folter, der Situation von Häftlingen und den Problemen der kurdischen Minderheit. Aber sie kämpft auch für die Rechte der Frauen. Sie greift beispielsweise eine frauenspezifische Form der Gewalt an - die „Ehrenmorde". Durch die Einrichtung eines Frauenreferats bei der IHD soll die Unterstützung der Frauen ausgebaut werden. Zu der bereits vorhandenen juristischen Unterstützung soll auch eine umfassende rechtliche, psychologische und soziale Beratung hinzukommen.

Die sogenannten Morde im Namen der Ehre, die in der Türkei als Verbrechen im Namen der Tradition bezeichnet werden, stellen eine Bedrohung von Frauen in vielen Ländern dar. Es handelt sich hierbei um Verbrechen, die an Mädchen und Frauen begangen werden, weil sie die „Ehre" der Familie oder der Gemeinschaft beschädigt haben. Was als ein ehrverletzendes Verhalten definiert wird, hängt von der jeweiligen Gesellschaft ab, in der die Frauen leben. Es kann von einem Blickkontakt über Gespräche mit Männern, mit denen die Frauen nicht verwandt sind, bis hin zu außerehelichen Verhältnissen reichen. Die Täter sind meist männlich und aus der nahen Verwandtschaft der Frauen. Sie betrachten es als ihre Pflicht, die Ehre der Familie wiederherzustellen, in dem sie die Frauen töten oder verstümmeln.

Zum Beispiel: Mexiko

Auch die mexikanische Menschenrechtsverteidigerin Judith Galarza beschäftigt sich mit einer frauenspezifischen Form der Gewalt: Sie fordert die Aufklärung des Verschwindenlassens und der Ermordung von Frauen in lateinamerikanischen Ländern. Das Verschwinden ihrer Schwester war ausschlaggebend für ihr Engagement. Die Schwester von Judith Galarza war politisch aktiv und ist vermutlich von der politischen Polizei in Mexiko verschleppt und ermordet worden. Das war in den sechziger und siebziger Jahren. Heutzutage verschwinden besonders in Ciudad Juarez, einer mexikanischen Grenzstadt, viele Frauen, die später tot wieder aufgefunden werden. In den letzten zwölf Jahren sind in Ciudad Juarez fast 400 Frauen verschleppt und ermordet worden. Mindestens ein Drittel von ihnen hat vor ihrem Tod massive sexuelle Gewalt erlitten.

Judith Galarza gibt an, dass es in diesen Fällen nicht so klar nachzuvollziehen ist, aus welchen Gründen und von wem diese Frauen entführt, gefoltert und ermordet werden. Die Frauen sind nicht politisch aktiv; sie sind jung und kommen aus armen Familien. Häufig arbeiteten sie in den grenznahen Fabriken ausländischer Firmen. All diesen Fällen ist außerdem gemein, dass die Behörden nur unzureichende Bemühungen unternommen haben, um die Verbrechen aufzuklären. Zuweilen ist die Polizei auch stümperhaft vorgegangen und Beweisstücke sind vertauscht worden oder einfach verschwunden. Das legt den Verdacht nahe, dass die Behörden kein Interesse an einer ernsthaften Aufklärung haben. Es hat zwar bereits mehrere offizielle Versuche gegeben, die Situation aufzuklären, diese waren jedoch bisher nicht erfolgreich. Auch amnesty international hat den Druck auf die Verantwortlichen in Mexiko erhöht und verdeutlicht, dass die Welt nicht bereit ist, diese massiven Menschenrechtsverletzungen weiter zu ignorieren. Eine Welle von Protestbriefen ist bei den mexikanischen Behörden eingegangen. Hierbei wird einer der wichtigsten Mechanismen der weltweiten Arbeit von amnesty international deutlich: durch internationalen Protest internen Druck zu erzeugen. So funktioniert auch das erfolgreiche Frühwarnsystem ,,urgent actions" - ein Eilaktions-Netzwerk. Amnesty international schildert hier Fälle von Menschen, die z.B. aufgrund ihres Engagements für die Menschenrechte bedroht sind. BriefeschreiberInnen in aller Welt unterstützen so die Arbeit von starken Frauen vor Ort. (Werden Sie aktiv! Näheres. unter: www.amnesty.de).

Der internationale Druck in Mexiko hat dazu geführt, dass die Familien der Opfer und die lokalen Menschenrechtsorganisationen, die zu diesen Fällen arbeiten, weniger Einschüchterungsversuchen ausgesetzt sind. Die 2004 eingesetzte Sonderermittlerin der Bundesstaatsanwaltschaft hat zumindest eingestanden, dass es in mindestens 100 Fällen (von 150 von ihr untersuchten Fällen) zu fehlerhaften und nachlässigen Ermittlungen gekommen sei. Dennoch werden kaum Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen gezogen und es besteht die Gefahr, dass die Fälle nie aufgeklärt werden und die Frauen in Ciudad Juarez weiterhin gefährdet sind.

Das Thema der feminicidios - also der Morde an Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts wird uns noch weiter beschäftigen müssen. Es rückt immer stärker ins Bewusstsein, dass Mexiko leider kein Einzelfall ist, sondern das die geschlechtsspezifische Gewalt und Ermordung in anderen lateinamerikanischen Ländern (wie Guatemala oder El Salvador) ebenfalls von großer Bedeutung ist. Auch. hier müssen die Menschenrechtsverteidigerinnen, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen, unterstützt werden.

Staaten müssen zur Rechenschaft gezogen werden und dürfen nicht weiter dem Eindruck erliegen, dass es sich hierbei um interne Probleme handelt, die sie ignorieren können. Stattdessen müssen sie auf ihre Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Abkommen aufmerksam gemacht werden und diese Rechte müssen eingefordert werden. In vielen Ländern leisten besonders Frauen einen Beitrag dazu, dass ihr eigenes Leben und das ihrer Mitmenschen eines Tages sicherer und friedlicher sein kann.

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