Politik

Schwerpunkt- und Themensetzung in Politik und Parlament

von Ute Finckh-Krämer

Politik erscheint in der Öffentlichkeit häufig reaktiv. Dies wird verstärkt durch die Medienöffentlichkeit und ihre Wahrnehmung: Langfristige Planung und Schwerpunktsetzung verschwinden häufig hinter tagesaktuellen Ereignissen oder durch eine öffentliche Berichterstattung, die nicht nur über Ereignisse und Konflikte, sondern auch über Diskussionen und Reaktionen berichtet.

Dieses Bild ist unvollständig, da bei den politischen Akteuren, Parteien, im Parlament und in der Regierung Schwerpunktsetzungen stattfinden, deren Ziel es ist, politische Zielsetzungen unabhängig von der „Tagespolitik“ zu entwickeln und umzusetzen. Ob ein Schwerpunkt in der Öffentlichkeit bereits diskutiert wird, hängt davon ab, ob das Thema mundgerecht aufbereitet werden kann und ob es Nachrichtenwert hat. Man muss unterscheiden zwischen selbstgesetzten Schwerpunkten, die evtl. von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt bearbeitet, oder solchen, die von außen induziert werden.

In letzterem Fall entwickelt sich eine Priorisierung aus einer intensiven und längerdauernden öffentlichen Debatte. Als aktuelle Beispiele zu nennen wären hier die Implementierung der VN-Resolution 1325 (Schutz von Frauenrechte in Konflikten) und die Entwicklungen in der Türkei. Die Ereignisse seit dem Putsch, die Durchsetzung eines Präsidialsystems, die Aushöhlung und Abschaffung demokratischer Rechte füllen die Schlagzeilen. Ist die Türkei deswegen ein Schwerpunkt der deutschen Außenpolitik, seit dem Putsch, seit der Flüchtlingskrise oder schon länger? Im Gegensatz hierzu steht die Auseinandersetzung mit VN-Resolution 1325: Gegenwärtig wird der zweite Nationale Aktionsplan zur Resolution 1325 von der Bundesregierung vorbereitet, doch wann wird in der medialen Öffentlichkeit darüber berichtet?

Schwerpunkte und Prioritäten werden, wie schon angedeutet, von den politischen Akteuren (Parteien, Fraktionen, Regierung) selbst entwickelt oder von außen gesetzt, das heißt, es gibt verschiedene strukturelle Wege, wie Schwerpunkte gesetzt werden.

Außenpolitische Schwerpunktsetzungen in der Regierung werden begründet von Interessen, die die jeweilige Regierung in der jeweiligen Region hat. Sie werden begrenzt von Ressourcen, da nicht alle Themen bearbeitet werden können. Sie sind zum Teil unabhängig von den jeweiligen Regierungskonstellationen langfristig gültig. So hat sich in der bundesrepublikanischen Außenpolitik eine Präferenz für multilaterale Strategien herausgebildet, die mit unterschiedlichen Gewichtungen für alle bisherigen Regierungen galt. Die Festlegung auf Selbstintegration in die internationalen Organisationen war die von den (west-)deutschen Eliten genutzte Methode, um Einfluss in der internationalen Politik zu gewinnen.

Politische AkteurInnen greifen Ideen und Anregungen von AkteurInnen der Zivilgesellschaft auf. Dabei reagieren sie auch auf gesellschaftliche Problemlagen. Nicht selten ist es der Fall, dass es sich dabei um dieselben Personen handelt, da Mitglieder von Parteien und Abgeordnete selbst Teil der Gesellschaft sind. Inhaltliche Schwerpunktsetzungen können dann in parteiinternen Gremien und Arbeitsgruppen vorbereitet werden und haben die Chance, auf dem klassischen Weg durch die Gremien zur offiziellen Parteipolitik werden.

Politische AkteurInnen setzen Themen, z. T. aus Gründen der Zuständigkeit, z. T. aus Gründen persönlicher Betroffenheit. Menschen mit persönlichen, verwandtschaftlichen Beziehungen zu bestimmten Regionen werden sich aufgrund ihrer Beziehungen intensiver mit Konflikten in diesen Regionen beschäftigen. Wer parallel zu seinem Engagement in einer politischen Partei in der Friedens-, Umwelt- oder Dritte-Welt-Bewegung aktiv ist, wird versuchen, das, was dort besonders intensiv diskutiert wird, in die parteipolitische oder parlamentarische Arbeit einzubringen.

Damit ein Thema politisch priorisiert wird, sind meistens wiederholte Impulse der zuständigen Fachleute oder regional engagierter Menschen (NGOs, Zivilgesellschaft) notwendig, mit denen die Aufmerksamkeit geweckt und am Leben gehalten wird. Oft steht dahinter langfristige Lobbyarbeit. Im Falle öffentlicher Aufmerksamkeit kann ein Thema allerdings unerwartet und schnell auf die Tagesordnung rücken und wird dadurch zur Priorität.

Beispiel
Um es an einem Beispiel zu illustrieren: Das Thema Sudan wurde in den zuständigen Arbeitskreisen der Fraktionen diskutiert. Die dort zuständigen Abgeordneten trugen das Thema in den Unterausschuss Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln. Nicht unwesentlich war daran auch die Berichterstattung zum Sudan beteiligt, die die Sensibilität für das Thema weckte. Im Auswärtigen Amt wurde das Thema ebenso priorisiert und ihm entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet. Sudan wurde zum einen Schwerpunktthema bei der Umsetzung des Aktionsplanes Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung. In der Fachwelt und der zivilgesellschaftlichen Gemeinschaft wurde dies zwar wahrgenommen, jedoch nicht als außenpolitischer Schwerpunkt – dafür blieb es zur sehr auf der Fachebene.

Ein anderes Beispiel sind die „eingefrorenen Konflikte“ im OSZE-Raum (Bergkarabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, Transnistrien-Konflikt in Moldawien, Abchasien- und Südossetienkonflikt in Georgien). Diese wurden im Rahmen der OSZE-Präsidentschaft 2016 zu einem Schwerpunkt der deutschen Außenpolitik, weshalb sie auch ein Dauerthema für das Auswärtige Amt und für das Parlament sind. Sie gewinnen aber durch den Umstand der Präsidentschaft eine andere Wertigkeit, so dass sie auch wieder öffentlich sichtbar wurden.

Die Region Südosteuropa wird kaum mehr als Konfliktregion wahrgenommen. Das liegt daran, dass die Krisenzeit der 1990er Jahre vorbei ist und eine Deeskalation stattgefunden hat. Das Gewaltpotential wurde durch die Einbettung in politische und zivilgesellschaftliche Strategien (z. B. EU-Perspektive, Versöhnungsprogramme) verringert. Die Konflikte sind aber noch lange nicht derart bewältigt, dass eine konstruktive Konfliktbearbeitung garantiert werden kann. Durch FachpolitikerInnen, zivilgesellschaftliche Organisationen und durch die Arbeit der politischen Stiftungen bleibt die Region auf der Agenda und wegen ihrer Nähe zu Europa ein gewissermaßen verdeckter Schwerpunkt.

Konflikte der Vergessenheit entreißen
Der Unterausschuss Zivile Krisenprävention beschäftigte sich in dieser Legislaturperiode unter anderem mit der Situation in Äthiopien, Eritrea, Kongo und Bosnien-Herzegowina und stellt damit eine zentrale parlamentarische Möglichkeit dar, solche Konflikte der „Vergessenheit“ zu entreißen und auf die Agenda zu setzen. An der Themenauswahl kann man auch sehen, dass diese relativ unabhängig von der medialen Aufmerksamkeit geschieht.

Deutschland bewirbt sich für 2019/20 für die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Sollte die Bewerbung Erfolg haben, womit gerechnet werden kann, werden in diesen zwei Jahren in der deutschen Außenpolitik Konflikte, die vornehmlich im VN-Rahmen bearbeitet werden, auf die sichtbare Agenda rücken. Welche das sein werden, kann man heute noch nicht definitiv sagen. Das hängt vom dann aktuellen Grad der Konfliktintensität, von der medialen Aufmerksamkeit und von der Lobby-Arbeit der Zivilgesellschaft ab.

Aufgrund der Fülle an „vergessenen“ Konflikten muss man wohl eher von Themen- als von Schwerpunktsetzung bezogen auf einzelne Konflikte reden. Eine strategische Schwerpunktsetzung für die deutsche Außenpolitik war und ist der Versuch einer Umorientierung auf Krisenprävention, die im Aktionsplan Zivile Krisenprävention von 2004 und gegenwärtig im Leitlinienprozess sichtbar wird. Es bleibt zu hoffen, dass dadurch Kapazitäten aufgebaut werden, die eine konstruktive und präventive Bearbeitung von Konflikten ermöglichen.

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