SIPAZ in Chiapas

von Felix Koltermann

Interview mit der Koordinatorin des Internationalen Dienstes für den Frieden in Chiapas (SIPAZ). SIPAZ ist eine Koalition internationaler Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, die seit 1995 in Chiapas arbeitet. Das Interview führte Felix Koltermann am 10. März 2004 in San Cristobal.

F.K.: SIPAZ arbeitet ja für die Versöhnung in Chiapas, aber ich denke, alle sind sich darüber im Klaren, dass das, was fehlt, die soziale Gerechtigkeit ist. Und es ist die Regierung, die einer Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit die meisten Steine in den Weg legt. Wie positioniert sich SIPAZ dazu?

M.: Das war eine sehr wichtige Diskussion. Und da gibt es eine Veränderung, denn mittlerweile spricht niemand mehr von Versöhnung, sondern davon, die Bedingungen für einen Dialog zu schaffen. SIPAZ hat schon 2000 seinen Auftrag geändert. Ich denke, niemand arbeitet direkt für den Dialog und er wird auch nicht als ein Ereignis der nahen Zukunft gesehen.

Aufgrund der mittlerweile fast achtjährigen Abwesenheit eines Dialoges richtet sich die Arbeit von SIPAZ, wie die vieler anderer nationaler Organisationen, die im Friedensbereich arbeiten, auf die strukturellen Ursachen des Konfliktes. Und auch mit einem Dialog würde dieses Thema immer noch auf der Tagesordnung stehen, insbesondere nachdem 1996 der Dialog von San Andres nach der ersten Runde abgebrochen wurde. SIPAZ kann so fortfahren, eine Position zwischen den Akteuren beizubehalten, muss aber eine klare Positionierung einigen Themen gegenüber finden. Wir haben zum Beispiel im letzten Jahr eine Schlüsselrolle im "Treffen der Hemisphäre gegen die Militarisierung" gespielt. Dazu gehören auch die Themen des Neoliberalismus, der Armut und der Entwicklung und insbesondere, welche Art von Entwicklung. In Mexiko heißt das, auf der Seite der Indigenas zu stehen, und was die fordern, ist teilzuhaben am Design der Entwicklungspolitik.

F.K.: Letztlich ist das ja die Schlüsselfrage, ob es wirklich einen sozialen Wandel geben wird, oder Salazar nur von Frieden und Entwicklung redet.

M.: Hier kann ich dir wieder nur den analytischen Standpunkt von SIPAZ geben, alles von der anderen Seite zu betrachten. Was in jedem Fall fehlt, ist zu definieren, was wir denn unter sozialem Wandel verstehen. Zum einen ist da die Position von Salazar, die am meisten von den NGOs kritisiert wird, weil sie keine Beziehung zu den Themen Gerechtigkeit, Militarisierung, etc. herstellt. Der soziale Wandel, wie er von dieser Ebene propagiert wird, ist mehr eine Armutsbekämpfung mit der Förderung einer Entwicklungspolitik, wie sie von den Indigenas nicht geteilt wird. Fox hat dies natürlich auf den Punkt gebracht, indem er sagte, dass der Traum von Entwicklung in diesem Land Fernsehen, einen Volkswagen und Arbeit für jeden bedeutet. Da fragt man sich natürlich, ob dies wirklich der soziale Wandel ist, und wir werden sagen: Nein. Aber es gibt einige Akteure, die daran glaubten, darunter selbst Don Samuel Ruiz, als er in den Siebzigern nach Chiapas kam und meinte, es würde reichen abzusichern, dass alle ein Dach über dem Kopf haben und Spanisch sprechen können. Das war seine Vision, wie Chiapas sein solle, und wie wir alle wissen, hat er die verändert. Ich denke, es in jedem Fall immer noch eine sehr paternalistische und karitative Sichtweise, den armen Indigena zu sehen, ohne ihn ernst zu nehmen als Akteur eines tiefgehenden sozialen Wandels. Da muss man sich auf das Kommunique der Zapatisten über das Cindarella-Syndrom beziehen, dass, bevor Du mir einen Schuh schenkst mich fragen sollst, ob ich den will. Das ist der soziale Wandel, wie sie ihn wollen - eine umfassende Partizipation.

F.K.: Wie schätzt Du denn das neue Projekt der Europäischen Union in Chiapas ein?

M.: Chiapas ist der erste Fall, wo es ein direktes Abkommen zwischen der EU und einem Bundesstaat gibt, und nicht der Nation oder der Föderation. Die Frage ist natürlich, worauf dies antwortet und wie weit die EU sich darüber bewusst ist, wo sie sich einmischt. Auf der anderen Seite, wenn man die Dokumente liest, die bereits darüber zirkulieren, dann kann man sich nicht vorstellen, dass es soviel politische Blauäugigkeit gibt. Das heißt, noch 1993 vor dem Aufstand wusste niemand auf höheren Regierungsebenen, wo Chiapas liegt, aber heute wird man auch in den höheren Kreisen der EU, die mit Mexiko arbeiten, wissen, was es mit Chiapas auf sich hat und wohin die Reise geht. Natürlich passt dazu der Regierungsdialog, den Dialog auf Chiapas zu begrenzen oder soweit zu gehen wie 1994, nämlich zu behaupten, dass es nur vier Verbandsgemeinden sind, wo die EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) die Bevölkerung repräsentiert, um damit dem Aufstand jede soziale Relevanz abzusprechen.

Auf der anderen Seite begeben sie sich in die seit 2002 problematischste Region, die Selva Lacandona. Jeder weiß, dass dies die Bastion der Zapatisten ist. Dazu kommt, dass man vermutet, dass auch die USA über NGOs wie "Conservation International" dort Fuß fassen wollen, und da liegt es auch nicht fern, dahinter die Aufstandsbekämpfung zu vermuten, nicht notwendigerweise gegen die Zapatisten. Wenn man genauer die Dokumente liest, stellt sich heraus, dass die EU Geld vor allem in die Weiter- und Ausbildung von Akteuren steckt. Das lässt sich natürlich sehr schwer hinterfragen, da dies keine direkte Intervention ist. Die wird wiederum mit Geld des Bundesstaates finanziert. Ich weiß nicht, was letztlich dahinter steht, aber die Selva Lacandona bedeutet in jedem Fall Biodiversität, Wasser, Erdöl, Tourismus.

Darüber hinaus ist die Frage insbesondere nach dem 11. September, was dort alles zusammenkommt: es gibt eine bewaffnete Gruppe, die zwar nicht als Terroristen bezeichnet wird, den Aspekt der Migration und der Grenzen, sowie der strategischen Ressourcen wie Erdöl und Wasser. All das findet man in Chiapas und insbesondere in der Selva Lacandona. Wenn man dann die Karte, wo die EU aktiv werden will, mit der Karte von CAPISE (Centro de Análisis Politico e Investigaciones Social y Económicas) über die Militarisierung in Chiapas übereinander legt, dann ergibt sich eine erstaunliche Übereinstimmung, und man muss sich fragen, ob es für die Militärs um Aufstandsbekämpfung geht oder darum, mögliche Investitionen abzusichern. Ich glaube nicht, dass alle Akteure den Konflikt als zentralen Aspekt sehen. Sie gehen im Gegenteil von der Pazifizierung aus, um die Konfrontationen um ein Maximum reduzieren zu können und währenddessen stärker die ökonomische Karte zu spielen. Seit 2001 gibt es auch große Finanziers, die auf die Karte der Co-Investition mit der Regierung setzen, wie z.B. einige große europäische NGOs wie Oxfam und NOVIB. Vorher finanzierten sie kleine Organisationen. Da erscheint das Projekt der EU natürlich rein politisch. Und die Frage ist natürlich, wenn sich die großen Akteure wie die USA in die Finanzierung von sozialen Bewegungen einbringen, warum sie dies tun.

F.K.: Wie geht man den zur Zeit mit dem Problem der Paramilitärs in Chiapas um?

M.: In jedem Fall wird man die Paramilitärs wie die Aufstandsbekämpfung neu definieren müssen. Und das Thema der Paramilitärs ist auch das, wohin CAPISE geht. Das heißt zu differenzieren zwischen Bewaffneten, die nicht meinen Standpunkt teilen, und einem Paramilitär mit einer klar definierten Beziehung zum Militär, oder eher parapolizeilich mit Beziehung zur "Seguridad Publica". Was ein Paramilitär ist, ist vielleicht der Punkt, wo die Diskussion auf der Ebene der NGOs am meisten fortgeschritten ist, da die Leute sich darüber klar geworden sind, dass es keinen Sinn hat, den Begriff nach links wie nach rechts zu verwenden, ohne weiter zu spezifizieren, was man meint. Insbesondere in Europa denken die Leute, wenn man von Paramilitärs spricht, an Kolumbien und verstehen nicht, dass es in Chiapas einen ganz anderen Kontext gibt. Ich denke, da gibt es große Fortschritte und die Arbeit von CAPISE auf der Ebene des Militärs wie der Paramilitärs kann dazu beitragen, diese Fragen zu klären.

F.K.: Ändert sich denn auch die Definition der Aufstandsbekämpfung?

M.: Ja, und auch da ist eine wesentlich breiter gefasste Definition notwendig. Zu einem bestimmten Zeitpunkt beschränkte sich, von Aufstandsbekämpfung zu sprechen, auf Regierungsstrategien gegen die EZLN, als Gruppe bewaffneter Aufständischer, die der Regierung den Krieg erklärt haben. Mit dem Krieg niederer Intensität ging die Strategie dahin, nicht auf die EZLN, sondern die zivilen Unterstützungsbasen zu zielen. Heute, und da komme ich auf die Situation nach dem 11. September zurück, steht die Frage im Vordergrund, wer denn alles die Aufständischen sind? Und da hat sich der Begriff von der nordamerikanischen Logik kommend, auf alle antineoliberalen Bewegungen ausgeweitet. Aufständisch gegen ein militärisch und ökonomisch dominantes Modell. Und da wird die Sache natürlich auch für uns NGOs wesentlich schwerer. Denn vorher hatten wir es mit klar definierten Feindbildern zu tun, gegen die sich die Aufstandsbekämpfung richtete. Es ist auch diffus geworden, wer denn letztlich Aufstandsbekämpfung betreibt. Damit stellt sich auch die Frage, wo das Projekt der EU in Chiapas einzuordnen ist. Dazu kommt dann die Frage, was heißt es heute Zapatist zu sein? Jemand, der Verbindungen zum Aguascalientes von Madrid hat, ist der Zapatist oder nicht? Und da kommt zum Vorschein, was einer der großen Erfolge der EZLN ist, nämlich von einem lokalen oder im Maximum nationalen Widerstand ein Projekt des Widerstandes nach außen zu tragen, das als solches von anderen Bewegungen übernommen wird. Dazu gehört all das, was mittlerweile schon weltweite Referenzpunkte sind, wie das "Gehorchend befehlen", "Eine Welt, in die viele Welten passen", all das ist eine Form des Widerstandes und des Aufstandes. Gut, ich mache Friedensarbeit, aber eine Welt, in die viele Welten passen, das ist utopisch aber genial. Damit ist ein Aufständischer auf dieser Ebene jeder, der sich gegen den Status Quo richtet. Und dann folgt natürlich die Gretchenfrage, wer dann alles Ziel der Aufstandsbekämpfung wird?

Das Interview wurde von der Redaktion stark gekürzt.

Chiapas

Menschenrechtsbeobachtung in Chiapas

Vom 27.-30. Januar 2005 und 10.-13. Februar 2005 finden die nächsten Seminare zur Vorbereitung auf die Arbeit als Menschenrechtsbeobachter in den indigenen Gemeinden in Chiapas statt. Die Beobachter arbeiten in Chiapas für das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas. CAREA übernimmt in Deutschland die Ausbildung und stellt den Freiwilligen ein Empfehlungsschreiben aus.

Nähere Infos zum Seminar und zur Arbeit in Chiapas: CAREA e.V., Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, Tel./Fax.: 030-42805666, www.buko.info/carea, carea [at] gmx [dot] net

 

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Felix Koltermann ist Fotograf und Friedens- und Konfliktforscher.