Für ein Sizilien ohne Militär

Sizilien als Zentrum der Militärpräsenz im Mittelmeer

von Ippo Gurrieri

Die internationalen politischen Ereignisse im Mittelmeerraum sind in ständiger Fortentwicklung, aber einige Leitlinien sind klar: Frankreich und Italien bauen ihre Allianz aus, um eine stärkere Präsenz in politisch instabilen, für innere Kriege anfälligen Territorien zu zeigen, wie z. Bsp. in Libyen, im Tschad, in der Sahelzone, am Horn von Afrika. Diese militärische „stille Unterstützung" beabsichtigt die Stabilisierung der Kontrolle strategischer Sektoren, wie die Versorgung mit Treibstoff und Gas. ENI in Italien und TOTAL in Frankreich diktieren die Außenpolitik der beiden Länder und bestimmen über gegenwärtige und zukünftige Militärmissionen.
In diesem Bild bewegen sich andere Regionalmächte, wie die Türkei, die einen Plan zur Wiedererlangung ihres Einflusses verfolgt, den sie im Osmanischen Reich besaß. Dies veranlasst sie, die libysche Regierungspartei in Tripolis militärisch zu unterstützen, indem sie eigene Militärbasen in Libyen erbaut. Diese türkische Politik führt zu Auseinandersetzungen mit Griechenland und Zypern wegen der Kontrolle neuer großer Gas- und Methanvorkommen im östlichen Mittelmeer, und zur Ausweitung der politisch-militärischen Einflussnahme in Gebieten wie Afghanistan und einigen afrikanischen Ländern. Gleichzeitig versucht die Türkei, die Grenzgebiete Syriens und des Irak zu besetzen, die unter der Kontrolle der kurdischen Selbstverteidigungskräfte stehen.
Israel verfolgt die Strategie, stabile politische Beziehungen mit den Ländern seiner ehemaligen Feinde aufzubauen und hält die palästinensischen Territorien weiter gewaltsam annektiert. 
China, die Vereinigte Staaten, Großbritannien und Russland bewegen sich auf diesem Schachbrett und schmieden Allianzen, indem sie Söldnertruppen und militärische Hilfen schicken, weil jeder dieser Staaten daran interessiert ist, seine eigenen Handelswege intakt zu halten, die von lokalen Mächten, von der Instabilität des gesamten Gebiets und vom Eindringen chinesischer Macht bedroht sind.

Südeuropa auf dem internationalen Schachbrett
Dieser recht synthetische Überblick hilft uns zu begreifen, wie wichtig die Regionen Südeuropas auf dem internationalen Schachbrett sind. Über die Wirtschaftsprobleme und über die Kontrolle der Energievorräte hinaus muss nämlich auch Migration als zentrales Thema betrachtet werden. Um die Ströme der Migrant*innen zu blockieren, hat Europa seine Außengrenzen praktisch in das Afrika der Subsahara verlegt, nach Marokko, in die Türkei, in Länder des Ostens wie Weißrussland, und hat damit die Wichtigkeit der Staaten in diesen Territorien zunehmen lassen. Diesen Staaten wurde die dreckige Politik der Zurückweisungen, der Lager des sogenannten Empfangs, der Errichtung von Mauern mit Stacheldraht in Auftrag gegeben. 

Mittelpunkt: Sizilien
Sizilien steht in diesem Kontext immer mehr im Mittelpunkt. Es ist eine natürliche Brücke nach Afrika und in die mediterranen Länder, und in einer geopolitischen imperialistischen Sicht ist es ein natürlicher militärischer Flugzeugträger im Zentrum des Mittelmeeres. Genau deshalb ist seine ganze Geschichte charakterisiert von Kriegen zu seiner Kontrolle. Seit 1943 ist Sizilien gezwungen, auf seinem Territorium eine erhebliche militärische Besatzung durch die Vereinigten Staaten und durch die NATO zu erdulden, die im Laufe der Jahre ständig zunahm. Auch heute noch ist Sizilien im Zentrum von geplanter Potenzierung mit höchster technischer Bedeutung.
Als mit dem Fall der Berliner Mauer die USA und die NATO ihre Präsenz entlang der Ostgrenzen herunterfuhren (auch wenn gegenwärtig die Ukraine-Russland-Krise das wieder umkehren könnte),
hat das in Süditalien und in Sizilien zu einer sowohl qualitativen wie auch quantitativen Zunahme ohne Beispiel geführt.
Sizilien ist außerdem noch Sitz der Europäischen Agentur Frontex, die im Mittelmeer tätig ist, um die Ankunft von Migranten aus den Kontinenten Afrika und Asien zu verhindern. Frontex, deren operative Basis in Catania ist, arbeitet mit der Unterstützung der auf der Insel stationierten amerikanischen Militärstrukturen und der NATO.
Das Herz der Militärstrategie der Vereinigten Staaten liegt in Sizilien in der Flugzeug- und Flottenbasis Sigonella, das der "hub of the Med" genannt wird und zwischen den Provinzen Syrakus und Catania liegt. Diese Basis ist in andauernder Expansion, verstärkt durch einige Tausend Militärs, mit wichtigen Kommunikationseinrichtungen, mit amerikanischen und NATO-Luftgeschwadern und mit einer beeindruckenden Anzahl von Drohnen, die es damit zur Hauptstadt ihrer Drohnenwelt machen. Die Drohnen von Sigonella, Jagdbomber ohne Piloten, sind tagtäglich aktiv in den Konflikten, an denen die USA direkt oder indirekt beteiligt sind, vom Horn von Afrika bis zum Persischen Golf, vom Irak über Afghanistan bis zu syrischen Gebieten: eine ganze Reihe von Territorien, die zusammen mit dem an Russland angrenzenden Osteuropa von den Strategen der verschiedenen europäischen und internationalen Verteidigungsministerien „Erweitertes Mittelmeer" genannt werden.
Sigonella plant die Verlängerung der Landebahnen, um das Abheben der großen Zisternen-Flugzeuge möglich zu machen, die zum Auftanken benötigt werden, um die Jagdbomber rund um die Uhr 24 Stunden im Einsatz zu haben auf den Schachbretten der Kriege.
Von Sigonella ist auch die Militärbasis MUOS in Niscemi abhängig, eine der vier Basen dieser Art auf dem ganzen Planeten (Sizilien, Australien, Virginia, Hawaii). Hier ist das ausgeklügeltste und zukunftsweisendste Telekommunikationssystem weltweiter Satellitenkontrolle in Aktion, das benötigt wird, um die amerikanischen Kriege von heute und in der Zukunft zu führen und zu koordinieren.
MUOS (Mobile User Objective System) ist ein Kriegsinstrument der Militärmarine der USA. Diese Präsenz in Sizilien lässt uns verstehen, wie schwerwiegend die Rolle der Vereinigten Staaten als Militär- und Besatzungsmacht ist. Die USA können auf MUOS nicht verzichten, und daher können sie auch auf Sizilien nicht verzichten.
Von Sigonella ist auch die Meeresbasis Augusta abhängig, die für die Stationierung von mit Atomwaffen bestückten Flugzeugträgern und U-Booten der USA und der NATO ausgerüstet ist. Dieses überaus potente und aggressive Militärsystem stützt sich auf ein dichtes, quer über das sizilianische Territorium und über die kleineren Inseln angelegtes Netz von Mikrokommunikationsbasen, Militärgarnisonen und Militärflugplätzen wie Trapani Birgi, von Ausbildungs- und Übungsplätzen, zu Land wie zur See, mit starker Beeinträchtigung des sizilianischen Luftraums. Das bedeutet daher auch Konsequenzen für den zivilen Luftverkehr der diversen Flughäfen der Insel.
Natürlich konditioniert diese überaus konfrontative Präsenz auch die Regionalregierungen und die Lokalverwaltungen, infiltriert die Universitäten und die Welt der Erziehung, hat Beziehungen mit allen wirtschaftlichen Sektoren, seien es legale oder illegale (mafiöse). Das ist für die sizilianische Bevölkerung eine schwere Hypothek für jeden Ansatz einer Selbstverwaltung, sowohl politisch wie auch wirtschaftlich oder kulturell.

Widerstand
Allen diesen verschiedenen Etappen der amerikanischen Militäransiedlung in Sizilien haben sich bedeutende Mobilisierungen der Bevölkerung entgegengestellt: In den 1960er Jahren gegen den Bau des Militärhafens Augusta; in den 1980er Jahren gegen den Bau der Raketenbasis Comiso; in unserem Jahrhundert ab 2010 gegen den Bau der MUOS-Basis in Niscemi. Diese letzte Schlacht ist noch nicht beendet, auch wenn die Militärstruktur jetzt in Betrieb ist.
Für uns ist die Niederlage des Imperialismus und des Militarismus die unerlässliche Bedingung für die Befreiung unseres Landes.
Die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten bzw. Komplizen wollen, dass Sizilien eine aggressive Rolle gegenüber anderen Völkern einnehmen soll - wir wollen ein Sizilien, das befreit von militärischen Ketten eine Brücke des Friedens werden soll für alle Völker, die am Mittelmeer liegen.
 

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt