Sjeme Mira erfolgreich beendet

von Kurt Südmersen

Einundzwanzig FriedensaktivistInnen sind zwischen dem 1. und 21. Dezember 1993 nach Mostar in Bosnien-Herzegowina gefahren, um dort für Frieden zu demonstrieren und ihre Solidarität mit allen Opfern des Krieges auszudrücken. Sieben Nationen (USA, England, Irland, Frankreich, Niederlande, Deutschland und Österreich) und vier Religionen (Katholizismus, Protestantismus; Buddhismus und Islam sowie nicht zu vergessen den Atheismus) waren vertreten. Nach mehreren Versuchen gelang es der Gruppe, in beide Teile der geteilten Stadt Mostar zu gehen und dort eine Fülle von Gesprächen mit Organisationen und Parteien, mit LehrerInnen und Kindern in Schulen, mit Menschen auf der Straße, mit Soldaten an der Front und Verwundeten in den Krankenhäusern zu führen. Ein Höhepunkt der Aktion war der Austausch von Friedensnachrichten auf Wandzeitungen, die Kinder aus Westmostar und Ostmostar geschrieben und die in den jeweils anderen Teil der Stadt gebracht wurden.

Erster Auswertungsversuch einer gelungenen Friedenspolitischen Aktion

War es nicht gefährlich? Sind solche Aktionen nicht Abenteuertourismus der niemandem hilft? Können wir denn mit Gewaltfreiheit in solchen Situationen etwas ausrichten? Zwischen diesen drei Fragenkomplexen will ich meine Auswertung aufhängen, weil es diese Fragen sind, sie am häufigsten gestellt werden.

Wenn wir ein konsequent gewaltfreies friedenspolitisches Engagement im Ausland befürworten, müssen wir unsere Aktivitäten in unseren Diskussionen und in der Öffentlichkeitsarbeit in klare Opposition zur militärgestützten Außenpolitik von Rübe, Kinkel und Co setzen. Die Zeit ist überreif für die Weiterentwicklung gewaltfreier, effektiver Eingreifmöglichkeiten, die wir mit brennender Ungeduld zu finden suchen. Nur wenn wir unser Engagement in den Kontext dieser beinahe erdrückenden Herausforderung stellen, macht es für mich einen friedenspolitischen Sinn, über humanitäre Aktionen hinausgehende Aktivitäten im Kriegsgebiet auszuprobieren.

Ist es nicht gefährlich?

So banal diese Frage ist; so banal ist ihrer Antwort. - Ja. - Jeder und jede, die sich freiwillig in solche Situationen hineinbegibt, tut gut daran, die Gründe genau zu prüfen, die sie oder ihn bewegen, sich dieser Gefahr auszusetzen. Es muß aber gesagt werden, daß wir als "BesucherInnen" eine Fülle von Informationsquellen zur Verfügung hatten (UN, UNHCR, Presse, Militär, humanitäre Organisationen), die uns in eine privilegierte Stellung versetzten, was unsere eigene Sicherheit betraf.

Die Zeit allerdings, die wir in der Vorbereitung darauf verwandten, uns mit der Möglichkeit, verletzt oder gar getötet zu werden, auseinanderzusetzen, scheint mir dennoch unverhältnismäßig hoch zu sein. Im Nachhinein denke ich, daß es wichtiger gewesen wäre, im Vorfeld stärker über die verschiedenen Motivationen für die Reise zu arbeiten und eine einheitliche Gruppensichtweise über Sinn, Zweck, Mittel und Außendarstellung der Aktivitäten zu erarbeiten. Dies, nicht die Gefahr, waren nämlich die Punkte, wo es während der Aktion immer wieder zu Debatten und Konflikten in der Gruppe kam.

Abenteuertourismus?

Die Bedenken, nicht am rechten Platz zu sein, die jeden und jeder im Laufe der Vorbereitung mindestens einmal gekommen waren, verflogen schnell bei den ersten Begegnungen mit den Menschen in Mostar. Niemand erwartete von uns, daß wir direkt und unmittelbar Not linderten. Aber die Geste des Sich-Aussetzens, das Anwesend-Sein und die Versuche, zuzuhören und zu verstehen, wurden von fast allen GesprächspartnerInnen dankbar ohne Erklärung als unmittelbare Solidarität verstanden. So hat sich gezeigt, daß immer dann, wenn wir Menschen kennen lernten und direkt und offen begegneten, die Frage des "Tourismus" irrelevant wurde. Darüber hinaus bildete sich bei uns durch die Gespräche nach und nach ein tieferes Verständnis für die Situation heraus, das uns bei der Planung unserer weiteren Arbeit von unschätzbarem Wert ist. Die Fülle von direkten persönlichen Kontakten, die für weitere Projekte ausgebaut werden können, sind ein zusätzlicher Gewinn.

Gewaltfreie Aktion in Kriegsgebieten
Die dritte Frage, welche Möglichkeiten es gibt, in Kriegssituationen gewaltfrei zu agieren, scheint mir die eigentlich relevante Frage zu sein. Welche Erfolgsaussichten sind realistisch? Welche Verhaltensweisen angemessen? Wieviel Menschen sind notwendig zur Erreichung welcher Ziele?

Hier ist nicht der Platz, auf diese Frage eine erschöpfende Antwort zu geben. Aber in der Entstehungsgeschichte von Sjeme Mira gibt es einige bemerkenswerte Details, die ich nicht verschweigen möchte und die uns bei der Planung zukünftiger Aktionen helfen können.

Zunächst waren wir davon ausgegangen, daß wir ca. einhundert TeilnehmerInnen gewinnen könnten und an beiden Seiten der Front in Mostar einen Waffenstillstand durch unsere Anwesenheit würden provozieren können. Nachdem klar wurde, daß aufgrund unterschiedlicher Gegebenheiten nur etwa zwanzig bis dreißig Personen an der Aktion teilnehmen würden, haben wir die Möglichkeiten des Abbruchs und damit des Scheiterns unserer Idee diskutiert und uns dafür entschieden, sie trotzdem durchzuführen und so viel zu tun, wie eben mit dieser geringeren Zahl erreicht werden kann. Ich halte diese Entscheidung angesichts einer langen Geschichte von Aktionen dieser Art, die abgebrochen wurden, weil nicht die geplante TeilnehmerInnenzahl erzielt worden war, für wesentlich und bin sehr froh, daß Sich diese Gruppe zum Weitermachen entschlossen hat.

Durch die Gespräche und die gemachten Erfahrungen sind wir einen wesentlichen Schritt weitergekommen. Zudem wächst praktisch nebenbei ein internationales Netz derjenigen, die gewaltfreies Eingreifen für sinnvoll und möglich halten. Alle sind herzlich eingeladen, die Debatte über Sjeme Mira mitzugestalten und bei der Planung und Durchführung der nächsten Aktion mitzuhelfen.

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Kurt Südmersen ist Mitarbeiter des Bundes für Soziale Verteidigung (BSV)