Ein Solidaritätsbesuch in Sarajevo

Solidarität für Frieden in Sarajevo

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Anfang Dezember hat eine Gruppe von ca 500 FriedensaktivistInnen das seit neun Monaten belagerte Sarajevo besucht. Die Aktion war von der italienischen Organisation Beati i costruttori di pace organisiert worden. Es gelang ihr, allein in Italien anfänglich mehr als 1.000 Menschen für den Besuch zu begeistern. Nach ausführlichen Vorbereitungstrainings blieben rund 500, darunter auch eine kleine internationale Delegation mit TeilnehmerInnen aus Spanien, aus der Bundesrepublik, England, Kroatien, den USA und aus Österreich übrig. Von Ancona aus setzte die Gruppe nach Split über, wo sie reichlich seekrank mit zehnstündiger Verspätung anlangte - die Nacht der Überfahrt war die schlimmste Sturmnacht, die die Adria seit fünf Jahren gesehen hatte.

Von Split aus ging es mit zehn Bussen weiter nach Kiseljak, dem "herzeg­bosnischen" Grenzort vor dem serbischen Belagerungsgürtel um Sara­jevo. Nach einigen Verzögerungen und der Beschaffung weiterer Papiere durfte die Gruppe dann nach Sarajevo einrei­sen, wo sie am 11. Dezember, drei Tage später als geplant, eintraf und angesichts vorher festgelegter Terminpläne statt der vorgesehenen vier nur noch einen Tag bleiben konnte. Empfangen wurde der Solidaritätsbesuch von VertreterIn­nen des Internationalen Friedensforums, das die Gruppe zu dem Besuch eingela­den hatte. Immerhin blieb Zeit, Gottes­häuser aller vier Religionen zu besuchen und sich sich mit religiösen und weltli­chen Persönlichkeiten aus der Stadt zu treffen. Zur gleichen Zeit hielt sich eine Delegation von zehn Personen auf Ein­ladung der Lokalbehörden der "Ser­bischen Republik Bosnien" in Ilidza im serbisch kontrollierten Gürtel vor der Stadt auf, wo sie ein ähnliches Pro­gramm absolvierte.

Die Ziele des Solidaritätsbesuches

Von den drei Zielen, die vorher formu­liert worden waren, hat das Projekt si­cherlich das erste erreicht: Solidarität mit den zivilen Opfern des Krieges aus­zudrücken. Dies war zumindest die spontane Reaktion von praktisch jeder­mann und jederfrau, die die Gruppe in und vor Sarajevo traf. Daß zwei Kran­kenwagen mitgebracht wurden - einen für Sarajevo und einen für Ilidza - sowie eine bescheidene Menge von Lebens­mitteln, schien daneben für die Bevölke­rung in der Stadt beinahe nebensächlich zu sein.

Teilweise auf Unverständnis - stieß das Anliegen, Solidarität mit ALLEN Op­fern ausdrücken zu wollen, sprich mit den Opfern auf serbischer Seite. Beson­ders BosnierInnen und KroatInnen taten sich damit schwer, daß die Gruppe auch Ilidza besuchte, also mit "dem "Feind" sprach. Doch waren die daraus entste­henden Diskussionen sicher eines der produktivsten Resultate des Besuches.

Das zweite Ziel war, für die Einhaltung der Menschenrechte zu demonstrieren. Dabei berief sich das Projekt auf die Allgemeine Erklärung der Menschen­rechte, in der festgelegt ist, daß jedeR BürgerIn nicht nur das Recht, sondern die Pflicht habe, für die Durchsetzung und Einhaltung der Menschenrechte einzutreten. Frieden ist ein Menschen­recht, das notwendige Voraussetzung dafür ist, andere Menschenrechte zu ge­nießen.

Eine friedliche Lösung des Konflik­tes?

Hinter der eher harmlosen Formulierung des dritten Projektzieles, für eine 'friedliche Lösung des Konfliktes ein­zutreten', verbarg sich die konsequente Ablehnung jeder Art von militärischer Intervention. Einer der Organisatoren des Projektes wagte sogar, VertreterIn­nen der bosnischen Regierung ins Ge­sicht zu sagen, daß Bosnien kapitulieren sollte, um das Leben seiner Bevölke­rung zu schützen. Meines Wissens nach ist dies bislang der einzige Fall, wo einE PazifistIn es gewagt hat, solch eine Meinung gegenüber einem/r bosnischen oder kroatischen PolitikerIn zu äußern.

Diese Haltung wurde von den bosni­schen Gastgebern, dem Internationalen Friedensforum, einer der Regierung na­hestehenden mehr als halboffiziellen Friedensorganisation, bestenfalls tole­riert, entweder weil sie den guten Willen der Initiative honorieren wollte oder weil sie die Tatsache des Besuches als wichtiger einschätzten als diesen Punkt. Denn in dieser Frage scheinen sich praktisch alle Menschen in Sarajevo ei­nig zu sein: Sie fordern militärische Unterstützung durch andere Länder oder zumindest die Aufhebung des Waffen­embargos. Niemanden in der Stadt in­teressieren Argumente wie das, daß eine Militärintervention zu einer Ausbreitung des Krieges in andere Regionen führen könnte oder daß UNO und NATO durch ganz andere als humanitäre Überlegun­gen motiviert werden. Informationen über Massaker, Vergewaltigungen und andere Brutalitäten, die von den serbi­schen Truppen in anderen Orten verübt wurden, die von ihnen erorbert wurden, sind in Sarajevo sehr verbreitet und niemand hat Lust, sich auf das Risiko einer serbischen Besetzung einzulassen.

Allgemein gesprochen, glaube ich trotz­dem, daß der Besuch in Sarajevo unsere Ablehnung einer Militärintervention glaubhafter gemacht hat. Uns kann nun nicht mehr vorgeworfen werden, daß wir ohne jede Kenntnis der Situation und allein aus sicherer Entfernung ar­gumentieren. Natürlich hätten wir noch viel mehr Glaubwürdigkeit gewonnen, wenn die Gruppe länger geblieben wäre oder eine permanente Anwesenheit in­ternationaler Freiwilliger organisiert werden könnte.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.