Stoppt die LEOPARD-2-Lieferungen an Saudi-Arabien!

von Jürgen Grässlin

Kein anderer Rüstungsexport ist symbolträchtiger, keiner umstrittener, keiner folgenschwerer und keiner bedrohlicher für die amtierende Bundesregierung. Im Sommer 2011 genehmigten Kanzlerin Merkel und die Minister der Schlüsselministerien im geheim tagenden Bundessicherheitsrat die Lieferung von bis zu 270 LEOPARD-2-Panzern an Saudi-Arabien. Ein Tabubruch ohnegleichen, denn Bundesregierungen zuvor hatten derlei Anfragen aus Riad abschlägig beschieden. Die Merkel-Regierung soll dagegen gar den Export der LEOPARD-Panzer in der zur Aufstandsbekämpfung geeigneten Version A7+ genehmigt haben.

Die Auslieferung der schweren Kampfpanzer während des Bundestagswahlkampfs 2013 würde zur Existenzfrage für die Regierung Merkel/Rösler: Jeglicher Anspruch auf Glaubwürdigkeit, auf die Wahrung christlicher Werte, auf moralisch und ethisch verantwortungsvolles Handeln wäre verspielt. Denn in Riad regiert eine der schlimmsten Diktaturen der Welt. Zu den gängigen Menschenrechtsverletzungen zählen Auspeitschungen, systematischen Folterungen und Misshandlungen in Gefängnissen, gerichtlich verordnete und vollzogene Zwangsamputationen von Gliedmaßen und das Ausstechen von Augen vermeintlicher Delinquenten.

Noch gibt sich die Bundeskanzlerin als wackere Streiterin für Frieden und Freiheit und die Wahrung der Menschenwürde. Beispielsweise verkündete Angela Merkel bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2011: „Wir können bei der Achtung der Würde jedes einzelnen Menschen keinen Kompromiss machen.“ Die Menschenrechte und eine wertegebundene Außenpolitik müssten in den Mittelpunkt des Handelns gerückt werden.(1) Worte wie diese wählte sie wiederholt, das kommt gemeinhin gut an. Auch deshalb führt die Bundeskanzlerin die Beliebtheitsskala der deutschen Politiker an.(2)

Dabei sind sich die meisten Bundesbürger wohl nicht bewusst, dass Angela Merkel qua Amtes einem Gremium vorsteht, das über höchste Entscheidungskompetenz verfügt: beim Waffenhandel und damit einer zentralen Frage von Leben und Tod. Zwar wird der weit überwiegende Teil der Rüstungsexportgeschäfte vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bundesausfuhramt, BAFA) im hessischen Eschborn beschieden. Doch unter Führung der Kanzlerin befindet der Bundessicherheitsrat (BSR) über die als problematisch geltenden Rüstungstransfers: über Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete, an menschenrechtsverletzende Regime und Diktaturen.

Geheimhaltungspolitik
Dem BSR gehören zurzeit neben Merkel auch Philipp Rösler als Bundesminister der Wirtschaft und Guido Westerwelle als Bundesminister des Auswärtigen sowie weitere fünf stimmberechtigte Minister dem Kabinettsgremium an: Thomas de Maizière als Bundesminister der Verteidigung, Wolfgang Schäuble als Bundesminister der Finanzen, Hans-Peter Friedrich als Bundesminister des Inneren, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als Bundesministerin der Justiz und Dirk Niebel als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

In den vergangenen Jahren wurde die Geheimhaltungspolitik von allen CDU/CSU/FDP/SPD/GRÜNEN-geführten Bundesregierungen einvernehmlich praktiziert – so auch bei der Zusammenkunft des BSR in der letzten Juni-Woche 2011. Dank einer Meldung im SPIEGEL wurde publik, dass das Kabinettsgremium bei eben diesem Treffen eine Rüstungsexportbewilligung erteilte, die in der Republik helles Entsetzen hervorrief.(3) Umfassend berichteten führende Zeitungen in Aufmachern, Funk und Fernsehen über den in der deutschen Wirtschaftsgeschichte einmaligen Tabubruch: die geplante Lieferung von mehr als 200 LEOPARD-2-Panzern an das Königshaus in Saudi-Arabien. Die Zahlenangaben reichen bis zu 270 Kampfpanzer. Nie zuvor hatte eine deutsche Bundesregierung – auch nicht die der Ära von Kanzler Helmut Kohl und seinen liberalen Vizekanzlern – dem Ansinnen der saudischen Militärs nach LEOPARD-2-Lieferungen zugestimmt.

In einer eilig einberufenen Aktuellen Stunde erhob die Bundestagsopposition am 6. Juli im Deutschen Bundestag schwere Vorwürfe gegen die amtierende christlich-liberale Bundesregierung. Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel, der GRÜNEN-Fraktionschef Jürgen Trittin und sein Amtskollege Gregor Gysi von den LINKEN kritisierten den geplanten Panzer-Deal mit den Machthabern in Riad in scharfen Worten.

Spätestens in diesem Moment hätte die Kanzlerin das Wort ergreifen und den Panzerdeal mit dem repressiven Regime in Riad rechtfertigen müssen. Merkel aber war der Aktuellen Stunde ferngeblieben. Mit Waffenlieferungen an Diktaturen lassen sich keine Wahlen gewinnen, Imageverlust ist vorprogrammiert. Dafür durfte Dr. Joachim Pfeiffer, Hauptmann der Reserve, Stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss und wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Position der Bundesregierung vertreten. Pfeiffer betonte Saudi-Arabiens „stabilisierende Funktion in Richtung Iran, aber auch in Richtung Israel und Palästina“. Diese Position läge im Interesse Deutschlands, so Pfeiffer.(4)

Im Interview wurde die Kanzlerin Mitte Juli 2011 von den ARD-Journalisten Ulrich Deppendorf und Reinald Becker zum Panzergeschäft mit Saudi-Arabien befragt. Angela Merkel suchte nach Ausflüchten. Im Bundessicherheitsrat gebe es Richtlinien, das Gremium tage „aus gutem Grund auch geheim“. Ausdrücklich verwies Merkel auf die Rüstungsexportrichtlinien, die ihre Regierung von Rot-Grün übernommen habe. Auf der einen Seite entschiede die Regierung nach Fragen der Menschenrechte, auf der anderen Seite „nach unseren Sicherheitsinteressen“. Diese seien gegeneinander abzuwägen.(5)

Allerdings handelt es sich bei den Politischen Grundsätzen lediglich um die Absichtserklärung einer Bundesregierung, nicht aber um eine rechtlich verbindliche und damit juristisch einklagbare Vorgabe. Entsprechend hemmungslos agiert die Bundesregierung unter der Ägide von Angela Merkel und Philipp Rösler.

Eine Allzweckwaffe für Krieg und Bürgerkrieg
Die Zustimmung zum LEOPARD-2-Export in der Version A7+ spricht für sich. Denn eben diese gilt als besonders effizient im gesamten militärischen Spektrum. Mit einer Motorleistung von 1.500 PS erreicht der 67,5 Tonnen schwere LEOPARD 2 eine Geschwindigkeit von bis zu 72 km/h. Bei einer Reichweite von immerhin 450 Kilometern kann der Flächenstaat Saudi-Arabien nicht nur Staatsgebiet militärisch sichern, sondern nach Belieben in Nachbarstaaten intervenieren. Auch weitergehende Angriffe gegen den Iran über irakisches bzw. gegen Israel über jordanisches Territorium sind keinesfalls auszuschließen.(6)

Doch selbst weniger martialische Vorstellungen lassen einen neutralen Betrachter erschauern. Denn der LEOPARD 2 ist in der Version A7+ ist auch für Kampfeinsätze im Landesinneren geeignet, „einschließlich urbaner Operationen“.(7) Der Münchener Hersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW) präsentierte die Version LEPARD 2 A7+ im Sommer 2010 bei der Pariser Rüstungsmesse EUROSATORY mit einer 120 mm L55 Glattrohrkanone der Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall Defence.

Die Interessenlage der beteiligten Konzerne ist klar. Nach Einschätzung eines Commerzbank-Analysten soll allein dieses Panzergeschäft mit dem saudi-arabischen Königshaus die beachtliche Summe von rund 1,7 Milliarden Euro in die Konzernkassen der Panzerbauer KMW und Rheinmetall spülen.(8)

Dabei handelt es sich beim A7+ nicht um eine spezielle Saudi-Arabien-Version. Vielmehr ist die Entwicklung dieser Modifikation auf den Anspruch neuer Aufgaben für die Bundeswehr zurückzuführen. Dementsprechend bietet KMW außerordentliche Ausstattungen: ein Klimasystem, das für Wüstenklimate bestens geeignet ist, und eine von außen zugängliche Kommunikationsanlage, mit deren Hilfe sich Soldaten während des Kampfeinsatzes mit der Panzerbesatzung auszutauschen können. Des Weiteren verfügt der LEOPARD 2 A7+ über eine „Schnittstelle zum Anbringen von Anbaugeräten“. Was so harmlos klingt, bedeutet nichts anderes als die mögliche Montage eines Räumschildes, mit dem beispielsweise Barrikaden beseitigt werden können. Genau das richtige Großwaffensystem, das die saudi-arabische Artillerie zukünftig dazu befähigt, Blockaden von Widerständlern wegzuräumen, Demonstrationen der Demokratiebewegung platt zu walzen oder missliebige Menschen zu erschießen.

Sprengpotential für die Bundestagswahl 2013
Im Herbst 2013 steht die kommende Bundestagswahl an. In den Monaten zuvor wird die Öffentlichkeit sensibilisiert sein für politische Konflikte und Forderungen nach ethisch und moralisch verantwortungsvollem Handeln. Genau hier bietet der genehmigte und geplante LEOPARD-Export an das saudi-arabische Königshaus beste Ansatzmöglichkeiten für die Friedens- und Menschenrechtsbewegung, für Kirchen und Gewerkschaften.

In der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ haben sich mehr als 100 Organisationen aus eben diesem Spektrum zusammengeschlossen, auch um Waffenexporte wie diese mit gewaltfreien Aktionen zu verhindern. Gemeinsam mit Peter Grottian von attac und Martin Singe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie wollen wir zivilen Ungehorsam praktizieren an den Orten der Verantwortung des geplanten Panzergeschäfts: in München, Kassel, Düsseldorf, Jena, Friedrichshafen und Freiburg, wo die Kampfpanzer und ihre Bestandteile gefertigt werden, vor dem Bundeskanzleramt und dem Deutschen Bundestag, dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesausfuhramt, wo die politischen Entscheidungen getroffen bzw. der Export genehmigt wird. Noch sind die LEOPARD-2-Panzer nicht ausgeliefert, noch kann dieser Rüstungsexport mit einem breit getragenen Protest gestoppt werden.

Anmerkungen
1) de.news.yahoo.com vom 05.02.2011;

http://de.news.yahoo.com/2/20110205/tts-merkel-menschenrechte...

2)  DER SPIEGEL, 1/2012, S. 14

3) „‚Leos‘ für die Saudis“ in DER SPIEGEL 27/2011 vom 04.07.2011

4) „Berichte über Panzer für Saudis lösen Unmut aus“ vom 06.07.2011; siehe http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/35029241_kw27_aktstd_p...)

5) Interview von Ulrich Deppendorf und Reinald Becker mit Angela Merkel u.a. zur Frage der LEOPARD-2-Panzerlieferungen an S-A vom 17.07.2011 im „bericht aus berlin“ in der ARD

6) Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, I. Allgemeine Prinzipien, Punkt 2

7) Website von Krauss-Maffei Wegmann, www.kmweg.de, LEOPARD_PSO

8) janes.com; EUROSATORY 2010

9) „Regierung schweigt zu Panzer-Deal“ in stern.de vom 04.07.2011 und Stuttgarter Zeitung vom 06.07.2011

Nähe Informationen siehe www.aufschrei-waffenhandel.de, www.rib-ev.de und www.dfg-vk.de.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).