Anti-Kriegs-Tag '89

Tag des Nach-Denkens und des Vor-Denkens

von Horst Klaus

Die Deutsche Arbeiterbewegung war schon geschlagen, als am 1. September vor 50 Jahren die Nazis mit dem Überfall auf Polen den zweiten Weltkrieg begann. Sie gehörte zu den Verlierern des Krieges, noch bevor er begonnen wurde. 'Wer Hitler wählt, wählt den Krieg", hatten die Sozialdemokraten bei den letzten freien Wahlen plakatiert. Die Mehrheit der Deutschen wollte es nicht glauben: Sechs Jahre später wollte es keiner gewußt haben, obwohl doch schon 1936 die Parole "Kanonen statt Butter" ausgegeben worden war.

Nach Hitler und dem Zweiten Welt¬krieg war die antimilitaristische Haltung der Gewerkschaften, ihre aktives Eintreten gegen Rüstung und Krieg ausgeprägter denn je zuvor. Das gilt auch dann, wenn es zeitweise innerhalb der Gewerkschaften aus konkretem Anlaß unterschiedliche Positionen und heftige Diskussion gab. Die Ablehnung von Krieg, Militarismus und Rüstung wurde nie in Frage gestellt. Gegen die Remilitarisierung Anfang der 50er Jahre protestierten Gewerkschafter ebenso heftig wie gegen die Atombewaffnung in der zweiten Hälfte der 50er/Anfang der 60er Jahre.
Der Grad des gewerkschaftlichen Engagements im Kampf gegen die atomare Aufrüstung im Westen wie im Osten, gegen die konventionelle Aufrüstung im Inland und die Rüstungsexporte ins Ausland war immer partiell abhängig von der politischen Lage im allgemeinen, der wirtschaftlichen Situation im besonderen, seit Ende der 60er Jahre speziell von der Beschäftigungslage. Angesichts anhaltender millionenfacher Arbeitslosigkeit wurde Rüstung zunehmend auch von Arbeitnehmern in der Rüstungsindustrie als Instrument zur Sicherung von Beschäftigung betrachtet. Politiker und Unternehmer benutzen sie als Argument zur Rechtfertigung immer neuer Rüstungsaufträge.
Unter solchen Umständen "verteidigen" Werftarbeiter und Flugzeugkonstrukteure ihre Arbeitsplätze, indem sie gegen Rüstungsexport-Restriktionen und für neue Verteidigungs-Milliarden plädieren - es sei denn, man zeigt ihnen Alternativen. Insbesondere in der IG Metall, die den größten Teil der etwa 230.000 Beschäftigten organisiert, die mit Rüstungsproduktion beschäftigt sind, wurde deshalb das Thema "Rüstungskonversion" schon in den 70er Jahren zu einem vorrangigen Problem im Zusammenhang mit Abrüstung und Rüstungsexportrestriktionen - zu einer Zeit, als es weder von der Öffentlichkeit noch auch von der Friedensforschung so recht wahrgenommen wurde.
Konzentriert auf den Kampf gegen Pershings und Cruise Missiles beachtete die Friedensbewegung der 80er Jahre die gewerkschaftlichen Initiativen zur Rüstungskonversion ebensowenig wie den beharrlichen gewerkschaftlichen Kampf gegen das in Rheinland-Pfalz und Hessen gelagert amerikanische Giftgas (gegen das neben zahlreichen Demonstrationen und anderen politischen Aktivitäten der DGB immerhin eine Verfassungsklage durchführte - leider mit negativem Ergebnis.)
Aber der gewerkschaftliche Beitrag zur Abrüstung bestand nicht nur in der massenhaften Teilnahme von Gewerkschaftern an Massendemonstrationen gegen Atomraketen und den Aktionen gegen das Gas. Er besteht auch aus der beharrlichen Arbeit vieler Betriebsräte und Vertrauensleute in gewerkschaftlichen Konversions-Arbeitskreisen, aus der von der IG-Metall initiierten, vom DGB unterstützten wissenschaftlichen Untersuchung der Möglichkeiten von Rüstungskonversion.
Und er besteht seit jeher aus dem aktiven Engagement der Gewerkschaftsjugend im gewerkschaftlichen Kampf für Abrüstung. Sie stand in der ersten Reihe im Kampf gegen die Remilitarisierung Anfang der 50er Jahre und ge¬gen die atomare Aufrüstung in den 60er Jahren; sie beteiligte sich an den Ostermärschen, als das durchaus noch verpönt war; sie engagierte sich ent¬schieden in der neuen Friedensbewegung gegen die Mittelstreckenraketen--Rüstung Anfang der 80er Jahre; sie betrieb friedenspolitische Bildungsarbeit, lange bevor sich die gewerkschaftlichen Publikationen intensiv des Themas annahmen; sie hat zu allen Zeiten die Inanspruchnahme des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung propagiert.
Es waren die Delegierten der Bundes¬-Jungendkonferenz der IG Metall 1971, die damals schon sehr detaillierte Vorschläge zur Rüstungs-Konversion be¬schlossen. Und es war die Gewerkschaftsjugend, die in der zweiten Hälfte der 70er Jahre dem traditionellen Anti-Kriegs-Tag am 1. September in der Gesamtorganisation neue Bedeutung verschaffte,
Die Gewerkschaftsjugend der 50er, 60er, 70er Jahre - die Gewerkschaft von heute - darf ein bißchen stolz sein auf das, was sie in diesen Jahren bei¬getragen hat zu einer Politik gegen Rüstung und Kriegsgefahr, für den Frieden - einen Frieden nicht nur mit dem Westen, sondern auch mit dem Osten. Sie kann sich aber nicht zufrieden geben mit dem, was sie getan hat, schon gar nicht mit dem, was sie er¬reicht hat.
Die Gewerkschaft des Jahres 2000 - die Gewerkschaftsjugend von heute - darf nicht nachlassen in ihrem friedenspolitischen Engagement. Sie muß sich eine große Anstrengung neuen Nachdenkens und neuer Aktivität vor¬nehmen, Aufklärung betreiben, Licht in die Köpfe bringen, vor allem an der ureigensten gewerkschaftlichen Wirkungsstätte - in Betrieb und Verwaltung, damit der gemeinsam zu schaffende Frieden sicher wird.
Für Gewerkschafter ist also der Anti-Kriegs-Tag 1989 ein Tag des Nach-Denkens über das, was war, und ein Tag des Vor-Denkens über das, was sein soll und wie wir das schaffen: Nie wieder Krieg.

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Horst Klaus ist Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der IG Metall.