Totale Kriegsdienstverweigerung

von Stefan Philipp

"Jeder darf, auch gegen sein Gewissen, zum Kriegsdienst ohne Waffen gezwungen werden. Das Nähere regeln wir auf unsere Weise."

Bei genauer Lektüre des ständig griffbereiten Grundgesetzes läßt sich diese Bestimmung zwar nicht finden, sondern nur die Aussage im Art. 4 Abs. 3, daß "niemand ( ... ) gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden" darf. Aber bei näherer Betrachtung der Wirklichkeit des staatlichen Umgangs mit der Kriegsdienstverweigerung muß man von der Gültigkeit des obigen Zitates ausgehen. Das Kriegsbild der Militärs und Politiker geht davon aus, daß ein zukünftiger Krieg ein "totaler Krieg" sein wird. In die offizielle Sprache der Herrschenden übersetzt heißt dieser Krieg "Gesamtverteidigung". Diese umfaßt alle für die Verteidigung notwendigen politischen militärischen und zivilen Maßnahmen", wie der geneigte Leser dem "Weißbuch 1985" (S.66) entnehmen kann. Ebenfalls dort nachzulesen sind die Aufgaben der zivilen Verteidigung: "Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen, Zivilschutz, Versorgung, Unterstützung der Streitkräfte."
Damit dieser Kriegsdienst ohne Waffen im Rahmen der zivilen Verteidigung auch klappt, werden Kriegsdienstverweigerer im Zivildienst ordentlich darauf vorbereitet - die Verfassung erlaubt es und die Militärstrategie erfordert es.
Zudem bereitet es den "verantwortlichen" Politikern natürlich eine klammheimliche Freude, die wehrunwilligen Kriegsdienstverweigerer aus ihrer sauberen Armee herauszuhalten und sie dennoch für ihre Kriegszwecke auszubilden und einzuplanen.
Nun gibt es eine kleine radikale Minderheit, die dieses Spiel nicht mitmacht, die Totalen Kriegsdienstverweigerer. Diese lehnen die Wehrpflicht als zentrales Rekrutierungsinstrument für die Kriegsmaschinerie ab und verweigern neben dem Bundeswehrdienst auch den ach so nützlichen Zivildienst.
Aus der Geschichte wissen wir, daß Wehrkraftzersetzung von den hohen Herren noch nie gern gesehen ward. Und so bemühen sie eifrig Feld- und Landjäger, die "Fahnenflucht" derjeni¬en Totalen Kriegsdienstverweigerer zu beenden und sie tristen Arrestzellen zuzuführen, die erst gar keinen KDV-¬Antrag gestellt hatten und einer Einberufung zur Bundeswehr nicht gefolgt sind. Aber auch unter den "promovierten" Kriegsdienstverweigerern, denen mit dem staatlichen KDV-Anerkennungsdiplom, gibt es welche, die ihre Kriegsgegnerschaft nicht länger durch die Teilnahme am Zivildienst beschmutzen wollen, ihre Koffer pakken und staatlicher Zwangsarbeit "Auf nimmer Wiedersehen" sagen. Um beide Gruppen bemüht sich - oft mit großer Hartnäckigkeit, um nicht gar das böse Wort von der "kriminellen Energie" zu benutzen - die Justiz. Und so kommt es, daß wieder einmal Deserteure, Pazifisten, Antimilitaristen vor deutsche Gerichte, diese ordentlichen, geschleppt werden und sich dort wegen ihrer friedlichen Gesinnung und ihrer Verweigerung des Krieges und jeder Kriegsvorbereitung verantworten müssen. Freisprüche gibt es praktisch nicht - deutsche "Rechtsprechung" hat schließlich eine Tradition - und Verurteilungen zu Knaststrafen sind keine Ausnahme. Strafaussetzungen zur Bewährung sind auch nicht unbedingt die Regel, da sei die Disziplin der Truppe oder die Disziplin im Zivildienst vor. Und so finden sich zahlreiche Totale Kriegsdienstverweigerer im Knast wieder, wo sie fähig werden sollen, "künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen" ("Vollzugsziel" - § 2 Strafvollzugsgesetz). Doch damit nicht genug: Wer die Macht hat, hat das Recht und dieses bricht er auch. Nicht selten sind die Fällen, in denen sich dieser Ablauf wiederholt. Daß das Grundgesetz eine Doppelbestrafung verbietet - man kann ja wohl nicht die ganze Zeit mit dem Grundgesetz unter'm Arm rumaufen.

"Das Nähere regeln wir auf unsere Weise" - wer weitere Informationen zur Totalen Kriegsdienstverweigerung haben möchte, kann sich wenden an: Stefan Philipp, Immenhoferstr. 7 b, 7000 Stuttgart 1.

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Stefan Philipp ist Chefredakteur der DFG-VK-Zeitschrift ZivilCourage und stellvertretender Vorsitzender der Zentralstelle KDV. Er verweigerte Anfang der 1980er Jahre zunächst die Musterung und dann die Einberufung zur Bundeswehr und saß wegen „Fahnenflucht“ und „Gehorsamsverweigerung“ mehrere Monate im Gefängnis.