Tränengas für die Bundeswehr: Gefahr für die internationale Chemiewaffen-Kontrolle

von Jan van Aken

Nachdem die deutschen KFOR-Soldaten bei den Märzunruhen im Kosovo keine gute Figur machten und der SPIEGEL dann auch noch bitterböse die "Hasen vom Amselfeld" kritisierte, hatte die Bundesregierung ein politisches Problem. Um entschlossene Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, diagnostizierte sie kurzerhand eine Ausrüstungslücke bei der Bundeswehr und beschloss im Eilverfahren, die deutschen Soldaten künftig bei Auslandseinsätzen auch mit Tränengas und anderen chemischen Mitteln auszurüsten - trotz internationalem Chemiewaffen-Verbot und trotz der Tatsache, dass sie mit diesem Schritt all die Länder unterstützt, die bereits nach Kräften daran arbeiten, neuartige chemische Waffen zu entwickeln.

Das Chemiewaffen-Übereinkommen (CWÜ) verbietet ausdrücklich den Einsatz von Tränengas im Kriege. Von Russland und den USA ist jedoch bekannt, dass sie neben Tränengas auch Betäubungsmittel und psychoaktive Substanzen als Waffe entwickeln und künftig in Kampfeinsätzen verwenden wollen. Russische Spezialkräfte setzten vor zwei Jahren bei einer Geiselbefreiung in Moskau bereits Betäubungsmittel als Waffe ein und töteten dabei weit über 100 Menschen. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass auch das amerikanische Militär ein breites Spektrum an so genannten nicht-tödlichen Chemiewaffen für Kriegseinsätze entwickelt.

Die Versuche der USA, das CWÜ zunehmend aufzuweichen und eine Ausnahme für die "nicht-tödlichen" Chemiewaffen für sich in Anspruch zu nehmen, stößt zunehmend auf internationalen Widerspruch. Unter Rüstungskontrollexperten gelten die nicht-tödlichen Waffen als größte Gefahr für die internationalen Regimes zur Kontrolle biologischer und chemischer Waffen. Denn die Grenzen sind fließend: Einige der als "nicht-tödlich" definierten Substanzen sind tatsächlich weitaus giftiger als die klassischen Chemiewaffen Senfgas oder Phosgen. Und jegliche Kontrolle und Verifikation von Abrüstungsvereinbarungen wird perspektivisch unmöglich gemacht, wenn Produktionsstätten oder Waffen zum Ausbringen der Chemikalien schlicht mit dem Label "nicht-tödlich" versehen und damit einer Kontrolle entzogen werden können.

In dieser fragilen diplomatischen Situation kommt die Entscheidung der Bundesregierung zur Ausrüstung der Bundeswehr mit Tränengas einer offenen Schützenhilfe für die Länder gleich, die massiv an der Entwicklung neuer nicht-tödlicher Chemiewaffen arbeiten. Im entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung sind bislang weder die Art der erlaubten chemischen Agenzien noch die Einsatzszenarien klar definiert und eng begrenzt. In der jetzigen Fassung würde die vorgeschlagene "Änderung des Ausführungsgesetzes zum Chemiewaffenübereinkommen" der Bundeswehr auch erlauben, selbst im Rahmen von Kampfhandlungen Tränengas oder gar Betäubungsmittel als chemische Waffen einzusetzen.

Dabei hätte die Bundesregierung mit der jetzt geplanten Gesetzesänderung sogar die Chance gehabt, international eine positive Vorreiterrolle einzunehmen. Mit einer engen Begrenzung auf Tränengas und einem klaren Ausschluss neuartiger Betäubungsmittel in dem Gesetzentwurf hätte die Bundesregierung ein deutliches Signal für eine enge Auslegung des CWÜ setzen können. Ebenso wäre es mit einer leichten Korrektur des Gesetzentwurfes möglich, die künftigen Einsatzszenarien für Tränengas eng zu definieren, beispielsweise durch ein ausdrückliches Verbot, Tränengas in Kriegs- oder Kampfsituationen einzusetzen.

Doch trotz heftiger Kritik einiger Bundestagsabgeordneter - auch aus den Reihen der rot-grünen Koalition - hat sich die Bundesregierung nicht umstimmen lassen und beharrte auf einer vagen Fassung des Gesetzes. Dabei hatten ausgerechnet die Rüstungskontrolleure des Auswärtigen Amtes die Federführung bei dieser Gesetzesänderung. Es wird wohl auf ewig ihr Geheimnis bleiben, warum sie sich derart vehement für eine Aushöhlung der Chemiewaffen-Kontrolle eingesetzt haben.

 

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund