Erwiderung auf Udo Knapp

Über die hilflose Realpolitik

von Christine Schweitzer

Daß Udo Knapp selbst zu Beginn seines Aufsatzes die Argumente gegen den Plan der Allierten, den "neuen Hitler" Hussein notfalls militärisch in die Knie zu zwingen, benannt, sollte ihm nicht ersparen, sie sich noch­mals anhören zu müssen. Zumindest eines muß man sich eindeutig be­wußt machen: 

Die Krise am Golf hat zwei Dimen­sionen. Die eine ist die irakischen An­nexion Kuwaits. Die andere ist die der internationalen Reaktion auf die An­nexion. Daß beide behandelt werden müssen, sollte eigentlich einleuchtend sein, bedenkt man, wie viele Kriege und militärische öberfälle in allen Erdteilen stattfinden und daß die mei­sten Staaten, die jetzt so empört über den Irak tun, selber als Aggressoren an solchen Akten beteiligt waren und sind. Nicht Kuweit oder Saudi-Arabien werden am Golf verteidigt, sondern das billige ôl, wie derweil wenigstens in den USA offen zugegeben wird. Der militärische Einsatz im Golf dient al­lein der Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der nördlichen Hemi­sphäre.

Udo Knapp sagt, daß nach Ende des Ost-West-Konfliktes 'ein neuer, de­mokratischer legitimierter, internatio­naler Mechanismus zur Deeskalation oder zur Beilegung regionaler Kon­flikte noch nicht existiere' und deshalb 'nur das Greifen zu militärischen Kon­fliktregelungsmechanismen' naheläge. In diesem Zusammenhang zieht er auch eine Parallele zum 2. Weltkrieg und fragt, ob die KritikerInnen des militärischen Aufmarsches am Golf denn auch einen Krieg gegen Hitler unter allen Umständen abgelehnt hätten.

Gewaltfreie Volksverteidigung

Hussein ist nicht Hitler, aber um der Diskussion willen soll einmal diese Parallele angenommen werden, wenn es um die Frage geht, welche Metho­den legitimerweise gegen einen Ag­gressor angewendet werden dürfen. Im Ost-West-Konflikt stellte sich diese Frage für die überwiegende Mehrheit der westlichen Friedensbewegten und FriedensforscherInnen nicht, weil kaum jemand an eine tatsächliche Be­drohung durch den Warschauer Ver­trag glaubte. Dies mag eine Erklärung für die Hilflosigkeit der Friedensbe­wegung angesichts einer Situation wie am Golf darstellen.

Hätte es 1939 und in den Jahren zuvor Möglichkeiten gegeben, Deutschland daran zu hindern, seine Nachbarn zu überfallen und/oder sich gegen den öberfall ohne Waffeneinsatz zur Wehr zu setzen? Fragen dieser Art gehören in das Reich der Spekulation. Aber genauso spekulativ ist ihre strikte Verneinung:

  • Es ist weidlich bekannt, wieviel inter­nationale Duldung und Unterstüt­zung Hitler in den dreißiger Jahren erfuhr und wie dies die Nazis ermu­tigte, ihre Expansionsträume in die Praxis umzusetzen.
  • Vielleicht weniger bekannt ist, daß niederländische PazifistInnen im Jahr 1938 angesichts der Bedrohung durch Deutschland ein vollentwic­keltes Konzept gewaltfreier Volks­verteidigung der ôffentlichkeit vor­legten (1), das allerdings - wie kaum anders zu erwarten - keinerlei be­achten erfuhr.
  • Weiterhin gibt es eine Reihe Studien über den 2. Weltkrieg, die belegen, daß die deutschen Invasoren ange­sichts gewaltlosen Widerstandes, wie er ihnen gelegentlich, z.B. von Seiten norwegischer Lehrer, die sich gegen die Gleichschaltung im Schul­system erfolgreich wehrten, begeg­nete, ziemlich hilflos waren.
  • Und letztlich: Der Massenmord in den KZs ist nicht durch die Allier­ten verhindert worden. Im Gegen­teil, er wurde seinen schlimmsten systematischen Formen erst wäh­rend des Krieges praktiziert.

All dies sind m.E. Argumente dafür, daß es eine Alternative zur Entfesse­lung des 2. Weltkrieges gegeben haben könnte. Gewaltfreiheit ist selbstver­ständlich kein Schutz vor Niederlagen; aber das ist militärische Verteidigung bekanntlich auch nicht, wobei die öberlebenschancen im ersteren Fall zudem höher sein dürften. Deshalb scheint mir, daß gerade angesichts der Gefährlichkeit moderner Kriege, auf die Knapp verweist, um militärisches Eingreifen zu rechtfertigen, die Zeit gekommen ist, es mit gewaltloser Konfliktaustragung zu versuchen.

Weltregierung und Weltpolizei?

Internationale Systeme der Friedenssi­cherung werden auf westeuropäischer gesamteuropäischer und weltweiter Ebene diskutiert. Unabhängig von der Ebene sind diesen Ansätzen (2) ver­schiedene Annahmen gemein:

Grundgedanke ist die völkerrechtliche Idee, auf zwischenstaatlicher Ebene Gewalt durch Recht zu ersetzen. Dies wird als möglich angesehen, weil die in Frage stehenden Nationen bestimmte gemeinsame Interessen entwickelt ha­ben, etwa: Vermeidung eines Atom­krieges oder die Aufrechterhaltung von Verknüpfungsgliedern ziviler Art. Die angestrebte politische Struktur ist die einer Föderation oder eines Bun­des mit einer Regierung, die bindende Entscheidungen für die gesamte Föde­ration treffen kann (3). Die Mehrzahl der AutorInnen hält weiterhin die Unterhaltung von internationalen Truppenverbänden auf der entspre­chenden Ebene für unabdingbar, die nach dem Vorbild nationaler Polizeien eigens werden können, sobald ein Konflikt eskaliert.

Es gibt allerdings auch Stimmen, die Notwendigkeit solcher "Friedenstruppe" bezweifeln. Zum Bei­spiel verweist Roger Fisher (4), ein amerikanischer Völkerrechtler, darauf, daß es falsch sei, innerstaatliches posi­tives Recht einem internationalen Recht ohne Erzwingungsgewalt , weil auch Teile des nationalen Rechtssy­stem funktionieren, ohne sie mit Ge­walt durchgesetzt werden könnten (z.B. befolgen Regierungen in der Re­gel gegen sie ergehende Urteile aus verschiedenen Gründen). Deshalb gab es durchaus eine CHANCE, daß auch internationale Rechtsprechung befolgt werden könne. 

 

Aber selbst wenn - was wohl realistisch ist, - es Konflikte gibt, wo die Gegner nicht bereit sind, sich der Meinung der internationalen Schlichtungsstelle zu unterwerfen: Braucht man für diesen Fall bewaffnete Kräfte? Selbst das Konzept der UNO-Friedenstruppen ist eigentlich ein anderes, nämlich nicht die gewaltsame "Befriedung", sondern die Vermittlung zwischen den Kontra­henten, was auch schon darin deutlich wird, daß sie nur mit Zustimmung bei­der Seiten eingesetzt werden. Was liegt näher als der Vorschläge, dann doch gleich unbewaffnete, aber gut ausgebildete Gruppen von Freiwilli­gen, etwa nach Vorbild der Peace Bri­gades International, für die Vermitt­lung ein­zusetzen? Wenn hierzu  hierzu ein Ausbau des Apparates internatio­naler Sanktionen kommen würde (Südafrika und Irak sind zwei Bei­spiele für die Effektivität von Boy­kotts), wäre vor­stellbar, daß der größte Teil an Kon­flikten bereits auf internationaler Ebene, noch bevor ge­waltfreie Vertei­digungskonzepte wie Soziale Verteidi­gung eigens werden müßten, gelöst werden könnten.

 

Anmerkungen

  1. In Auszügen abgedruckt in: Gernot Jochheim, Soziale Verteidigung - Verteidigung mit einem menschli­chen Gesicht, Düsseldorf, 1988.
  2. Zum Beispiel: Dieter Senghaas, Eu­ropa 2000, Frankfurt 1990; Frank Barnaby, "Pan-european Society", in: Peace Courier 6/90, Helsinki.
  3. Angesichts der Fragwürdigkeit des Funktionierens von Demokratie selbst auf der heutigen einzelstaatli­chen Ebene kann ich mich aller­dings einem solchen Ideal einer Weltregierung nicht anschließen. Ist es nicht viel eher die Stärkung der regionalen Demokratie, die erfor­derlich ist?
  4. Roger Fisher, "Bringing Law to Bear on Governments", in: Harry B.Holling, A.L. Powers, M. Som­mer, The Conquest of War. Alter­native Strategies for Global Secu­rity, Boulder u.a.: Westview Press 1989, S. 69



 

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.