Überblick über die Gruppierungen in den einzelnen Republiken

von Werner Wintersteiner
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Im Folgenden sollen einige der Antikriegsgruppen im ehemaligen Jugo­slawien vorgestellt werden. Es gibt weit mehr Gruppen, als hier erwähnt werden können (s. auch die Adressenliste im Anhang).

Slowenien

Im Slowenien der 80er Jahre sind - im Vergleich zum übrigen Jugoslawien - die neuen sozialen Bewegungen relativ stark. Sie bildeten einen wichtigen Teil der Opposition gegen das Einparteien-Regime, einer Opposition, die einen na­tionalen und einen "zivilen" flügel hatte. Ihren stärksten Einfluss hatten die Pazifi­stInnen wohl in der Zeit nach den ersten Wahlen, als der Vorschlag für ein "Slowenien ohne Armee" in der breiten Öffentlichkeit und auch in parlamentari­schen Kommissionen debattiert wurde. Spätestens mit den Kämpfen nach der Unabhängigkeitserklärung vom Juni 1991 wurden aber die Hoffnungen von einer "Friedensrepublik" entscheidend geschwächt. Der nationale Flügel der Opposition hatte über den "zivilen" ge­siegt.

"Die Verbindungen von Friedensinten­tionen und nationaler Ideologie war ein wichtiger Motor für die Umgestaltung der Gesellschaft... (Doch der) Triumph der nationalistischen "Friedenspolitik", geleitet von der starken militärischen Verteidigung des Ex-Pazifisten und "Nationalhelden" Janez Jansa führte zu einer Situation, in der Friedensaktivist und nationaler Verräter gleichgesetzt wurde." (Tonci Kuzmanic)

Das "Zentrum für Friedenskultur und Gewaltfreiheit", das die meisten dieser Aktivitäten koordinierte und die älteste jugoslawische Friedensgruppe war, ist im Dezember 1992 aufgelöst und die Zeitschrift "The Intruder", die einzige englischsprachige Friedensbewegungs­zeitschrift aus Ex-Jugoslawien, einge­stellt worden.

Weiter bestehen tut das Friedensinsti­tut Ljubljana. Es wurde von Aktivi­stInnen der slowenischen Friedensbe­wegung aufgebaut und beschäftigt sich wissenschaftlich mit Themen wie: So­ziologie des Krieges, Sicherheitspolitik, interpersonale Gewalt, Entmilitarisie­rung usw. Mittelfristiges Ziel ist es, postgraduate Kurse zu Friedensstudien an der Universtität Ljubljana einzurich­ten und die Forschungsstelle mit der Abteilung Friedensstudien an der Uni­versität zusammenzuschließen.

Kroatien

In Kroatien stützt sich die Friedensbe­wegung ebenfalls teilweise auf opposi­tionelle Strömungen, die schon in den 80er Jahren aktiv waren und Kontakte zur slowenischen Opposition hatten, z.B. die Frauenbewegung "SVARUN" und die "Grüne Aktion". Im Herbst 1991 schlossen sich verschiedene Orga­nisationen in Zagreb zur Plattform "Antikriegskampagne" zusammen, die verschiedene öffentliche Aktionen ge­gen den Krieg und den Nationalismus durchführt, Menschenrechtsverletzun­gen anprangert, Seminare zur gewalt­freien Konfliktlösung in vielen Städten abhält und humanitäre Hilfe organisiert. Ihre aktivsten Gruppen sind derzeit das aus der Antikriegskampagne hervorge­gangene "Zentrum für Frieden, Ge­waltfreiheit und Menschenrechte" in Zagreb, das gleichnamige Zentrum in Osijek, das "Zentrum für Frieden und Gewaltfreiheit" in Rijeka und die Or­ganisation "Sonnenblume", die den Einsatz von Freiwilligen in Flücht­lingslagern organisiert. Die Antikriegs­kampagne gibt die kroatische Friedens­zeitschrift ARKzin heraus. Vesna Jan­kovic, die Herausgeberin von ARKzin, tritt gerade in der jetzigen Kriegssitua­tion für einen "gewaltfreien Weg" ein: "Es geht darum, die Idee der Gewalt­freiheit überhaupt erst zu verankern. Da sind wir erst ganz am Beginn, und es ist ziemlich schwierig. Christine Schweit­zer (Bund für Soziale Verteidigung, BRD) zum Beispiel denkt, daß der Krieg nicht nötig gewesen wäre, hätte es gewaltfreie Elemente in der Kultur schon vorher gegeben. Die Konflikte wären auch anders zu lösen gewesen, aber leider hat so eine Tradition nicht existiert. Das hat auch seine Wurzeln im sozialistischen System. Die Leute sind es nicht gewöhnt, darüber zu reden, was sie denken und was sie fühlen. Unsere Gruppe sieht es auch als ihre Aufgabe an, ihnen zu helfen, diese Fähigkeiten zu entwickeln...Unser langfristiges Ziel ist es, eine andere, gewaltfreie Kultur zu entwickeln. Denn bei uns ist Gewalt noch der übliche Weg, Konflikte zu be­seitigen."

Serbien

Das "Zentrum für Antikriegsaktion" in Belgrad wurde am 15. Juli 1991 ge­gründet. Es begann seine Arbeit damit, Wehrpflichtige aufzurufen, sich nicht am Bürgerkrieg zu beteiligen. Die erste öffentliche Demonstration wurde vor dem Parlament am 25. Juli 91 organi­siert. Seither gab es über 15 öffentliche Versammlungen auf den Straßen Bel­grads. Ein großes Ereignis war ein Rockkonzert mit dem Titel "Zählt nicht auf uns", das im April 92 stattfand und über 50.000 BesucherInnen hatte sowie eine Friedensdemonstration am 7. Juni mit 100.000 TeilnehmerInnen.

Lange Zeit wurde eine tägliche Mahn­wache mit Kerzen für alle Opfer des Krieges veranstaltet. Die "Frauen in Schwarz" halten seit Sommer 1991 einmal pro Woche eine Mahnwache ab.

"Am massivsten äußert sich der Wider­stand in Serbien wohl in den Massen­verweigerungen gegen den Militär­dienst. Die Einziehung zum Kriegs­dienst (offiziell: "zu Reserveübungen") stellt auch das subtilste Repressionsin­strument der Regierung gegenüber der Bevölkerung dar, mit dem Oppositio­nelle zum Schweigen gebracht werden sollen. Da in den Städten viele junge Männer untergetaucht sind, um so den Einberufungen zu entgehen - Schätzun­gen für Belgrad nennen 80% solcher "Entziehungen", wurden die Rekrutie­rungen zusehends auf ländliche Gebiete konzentriert, wo das Untertauchen viel schwerer möglich ist. Laut Berichten der Tageszeitung "Borba" kam es in mehreren dörfern zu geschlossenen Protesten und Straßenblockaden gegen die Zwangsrekrutierungen.

In der Vojvodina gab es Ende 1991 / Anfang 1992 eine Unterschriftenkam­pagne, die ein

Referendum über die Rechtmäßigkeit der Mobilisierung forderte. Innerhalb eines Monats (bis Ende Dezember 91) wurden an die 70.000 Unterschriften ge­sammelt."(Bericht von Hanz Holzinger)

Im Frühsommer 1992 beteiligte sich die Friedensbewegung z.B. an Großdemon­strationen gegen Milosevic. Frauen drückten in Losungen ihre Liebe zu Sa­rajevo und anderen bombardierten Städten aus, der Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche sprach von der Ge­fahr des "einheimischen Bösen" und beteiligte sich an den Umzügen, es gab Losungen wie "Verbannen wir den Krieg aus der Geschichte".

Das jüngste Projekt der Gruppe ist die Gründung eines Frauenzentrums, wo ge­folterte und vergewaltigte Frauen Zu­flucht finden können.

Neben dieser Gruppe gibt es in Belgrad sowie in anderen Orten Serbiens und der Vojvodina weitere Gruppen, z.B. die Friedensgruppe in Pancevo, das Zen­trum für Antikriegsaktion in Novi Sad und Friedensräte im Sandjak.

Makedonien

Die makedonische Gruppe der Helsinki BürgerInnenversammlung ist nur eine unter mehreren Gruppen in Makedo­nien. Sie sticht aber durch eine beson­dere organisatorische Leitung heraus: Sie war die Ausrichterin der "Internationalen Friedenskonferenz der BürgerInnen und Gemeinden" in Ohrid im Oktober 1992.

Bosnien-Herzegowina

In Bosnien war der Wille, sich nicht aufspalten zu lassen, vor allem in den multikulturell zusammengesetzten Städten besonders stark. Friedensde­monstrationen fanden ein besonders breites Echo und wurden von Fernseh­stationen wie YUTEL unterstützt, ein Sender, der lange Zeit das wichtiste (und einzige) objektive Forum und In­formationsmedium für ganz Jugosla­wien galt. Im Frühjahr 1992 ist es der Friedensbewegung in Sarajevo noch gelungen, immer wieder zur Entspan­nung der Situation beizutragen und die nationalistischen Gemüter zu beruhigen. Hunderttausende demonstrierten für den Frieden, beseitigten Barrikaden, die nach dem Referendum für die Unabhän­gigkeit Anfang März errichtet worden waren, und es kam noch einmal zu Übereinkommen zwischen Armee und bosnischen Ordnungskräften, das einen brüchigen Frieden brachte. Dies war, wie Ibrahim Spahic vom Internationalen Friedensforum schreibt, "ein erster Sieg eines zivilen Geistes und der Toleranz über den Nationalismus und kulturelle Engstirnigkeit. Die Hoffnung Bosniens liegt in diesem Prozeß der Selbstbefrei­ung der BürgerInnen, durch Bürgerfo­ren, Friedenszentren, Bürgerinitiiviven genauso wie durch gute Medien wie YUTEL, Good Vibrations, Jugend-Stu­dio, Studio 99 und staatliche Kanäle."

Dies ist tatsächlich auch heute noch die einzige Hoffnung,a uch wenn wir wis­sen, daß die Kräfte der Vernunft zu schwach waren, den Krieg zu verhin­dern.

Das "Internationale Friedensforum" (oder BürgerInnenforum) ist die größte Organisation in Sarajevo. Seine Funk­tionärInnen kommen überwiegend aus dem alten sozialistischen Regime und stehen der bosnischen Regierung sehr nahe. Nach der Zerstörung seines alten Büros ist die Gruppe ins gleiche Ge­bäude wie der Bürgermeister und andere städtische und staatliche Stellen umge­siedelt. Das Forum gibt immer noch eine Notausgabe der Zeitschrift "Warum" heraus. Im Dezember 1992 war es Gastgeber einer Gruppe von 500 internationalen FriedensaktivistInnen, die der belagerten Stadt einen Solidari­tätsbesuch abstatteten.

Eine zweite Gruppe nennt sich "Zentrum für Antikriegsaktivitäten". Sie ist eine politisch unabhängige Gruppe, die sich vor allem um Men­schenrechtsfragen kümmert. So stellte sie den ersten systematischen Bericht über Menschenrechtsverletzungen im bosnischen Krieg zusammen. In Frank­furt/Main richtet sie derzeit ein Büro ein, um als "Stiftung für Kriegsopfer" die Behandlung von schwerverletzten Kindern und anderen Opfern in europäi­schen Krankenhäusern zu gewährlei­sten.

Dieser Überblick wurde zum Teil dem Artikel von Werner Wintersteiner in "Aufrisse 3/92" entnommen, aber durch andere Quellen und aus eigener Kennt­nis ergänzt.

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Krisen und Kriege
Werner Wintersteiner, Universität Klagenfurt, ist Herausgeber der friedens-politischen Zeitung alpe adria.