Belarus – Nash Dom

„Unser Haus“: Gewaltfreier Einsatz für Demokratie und Menschenrechte

von Ute Finckh-Krämer

Seit 15 Jahren begleitet der Bund für Soziale Verteidigung die belarussische (weißrussische) Graswurzelorganisation „Nash Dom“ (Unser Haus). Die Arbeit dieser Organisation war und ist darauf gerichtet, die Menschen in Belarus zu befähigen, ihre Interessen gegenüber staatlichen Institutionen zu vertreten und die ihnen nach dem Buchstaben der belarussischen Gesetze oder internationaler Abkommen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Wir unterstützen diese Arbeit deswegen, weil ein gewaltfreier Weg zur Überwindung eines autoritären Regierungssystems Menschen voraussetzt, die sich auf der Graswurzelebene für Verbesserungen engagieren und andere befähigen, das auch zu tun. Und die vermitteln, dass gewaltfreier Protest gegen staatliches Unrecht auch und gerade dann funktioniert, wenn der Staat mit Gewalt auf gewaltfreie Proteste reagiert.

15 Jahre lang haben wir uns über kleine Erfolge mitgefreut und die Aktiven von Nash Dom für ihren langen Atem bewundert. Sie haben sich durch Rückschläge nie entmutigen lassen, haben immer nach neuen Wegen gesucht und wurden langsam, aber sicher für immer mehr Menschen in Belarus zu verlässlichen Ansprechpartner*innen. In den letzten Jahren z.B. für die Eltern von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die wegen minimaler oder sogar von Sicherheitskräften provozierten Drogendelikten zu langjährigen Lagerhaftstrafen verurteilt wurden. Oder als Belarus im Frühjahr 2020 von der Covid-19-Epidemie erreicht wurde und die hohen Erkrankungs- und Todesraten vertuscht wurden, während Präsident Lukaschenko zu „Wodka und Sauna“ als Gegenmitteln riet.

Im Mai war klar, dass die Unzufriedenheit wuchs und sich auf die Präsidentenwahl am 9. August auswirken würde. Mehrere Männer, die ankündigten, als Gegenkandidaten anzutreten, wurden nicht zur Wahl zugelassen und unter Vorwänden inhaftiert. Daraufhin traten mehrere Frauen als Präsidentschaftskandidatinnen an, und Lukaschenko schaffte es mit einem Satz, die Hälfte der Bevölkerung gegen sich aufzubringen: „Belarus ist nicht bereit für eine Frau als Präsidenten“. Als immer mehr Menschen, insbesondere Frauen, für die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja unterschrieben und immer deutlicher wurde, dass sie viele Stimmen bekommen würde, gab es für Lukaschenko nur noch einen Weg: keine internationalen Wahlbeobachter*innen einladen, massive Einschüchterung der Wahlvorstände und der lokalen Wahlbeobachter*innen. Und  massiver Einsatz brutaler Gewalt gegen alle, die sich für eine korrekte Auszählung einsetzten.

YouTube und Telegram
Jetzt war Nash Dom eine der Organisationen, deren Expertise gebraucht wurde. Die Videos auf dem YouTube-Kanal Nash Dom TV werden seit dem Wahltag hunderttausendfach abgerufen. Dank der aufstrebenden IT-Unternehmen in Belarus gibt es dort genug Leute, die Internet-Sperren umgehen können. Ansonsten bleibt immer noch der Messenger-Dienst Telegram. Die brutale Gewalt der Sicherheitskräfte, die in erheblichem Umfang auch Unbeteiligte traf und trifft, führte innerhalb von Tagen dazu, dass die Protestbewegung sich auf alle Städte des Landes und alle Schichten der Bevölkerung ausdehnte. Seitdem erleben wir von Tag zu Tag, wie kreativ und einfallsreich die Proteste sind. Praktisch alle Plakate sind in russischer oder belarussischer Sprache, und die Protestaktionen nutzen so eindeutig landestypische Bilder, Farben, Lieder und Gedichte, oft mit nur für Insider*innen erkennbaren lokalen Bezügen, dass die Behauptung von Lukaschenko, die Proteste seien aus dem Ausland gesteuert, von kaum jemandem geglaubt wird. Seine Versuche, Menschen zu Gegenkundgebungen zusammenzutrommeln, hatten keinen Erfolg. Wie aus dem Nichts erscheinen überall weiß-rot-weiße Fahnen und Mauerbilder mit Protestmotiven. Und in vorderster Linie stehen meist Frauen. Oft mit Blumen, in bunten Kleidern, freundlich lächelnd. Es werden Menschenketten gebildet und kleine Protest“spaziergänge“ in Kiezen und Stadtteilen, die wesentlich schwieriger eingekesselt werden können als zentrale Kundgebungen. Über Handyvideos, die ins Netz gestellt werden, werden sie trotzdem landesweit wahrgenommen. Es gibt Konzerte, Theateraufführungen und Hoffeste in Wohnblocks. Und ein ausgefeiltes System der Unterstützung für die, die inhaftiert und verletzt wurden. Dort können sich auch die engagieren, die sich nicht trauen, an den Kundgebungen teilzunehmen, weil sie notfalls nicht wegrennen könnten oder kleine Kinder haben.

Die Forderungen sind einfach und erfüllbar: freie und faire Wahlen. Anerkennung des Wahlsiegs von Swetlana Tichanowskaja als Übergangspräsidentin. Freilassung der politischen Gefangenen. Ende der Gewalt. Wir wissen noch nicht, ob und wann die Proteste Erfolg haben. Aber sie verändern das Land und die Menschen dort. Je länger sie dauern, desto gründlicher.

Unterstützung der Bewegung
Da jede Unterstützung von außen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Belarus diskreditiert werden kann, arbeitet nicht nur der BSV, sondern arbeiten auch andere Organisationen, die Partnerbeziehungen zu Graswurzelorganisationen in Belarus haben, sehr behutsam. Ein Erfahrungsaustausch zu sozialen, kommunalpolitischen, juristischen Fragen auf Augenhöhe lässt sich nicht so einfach als Einmischung in innere Angelegenheiten diskreditieren. Man kann aber auch diejenigen, die wegen drohender Inhaftierung Belarus verlassen müssen, diskret unterstützen bzw. die eigenen Regierungen auffordern, entsprechende Unterstützungsprogramme aufzubauen, unbürokratisch Visa und Aufenthaltsberechtigungen zu erteilen, medizinische Hilfe für Traumatisierte und Verletzte im Exil zu leisten etc. Man kann manchmal auch einfach zuhören, ein offenes Ohr für die Probleme der Partnerorganisationen haben (was machen wir mit Tausenden neuer Freiwilliger?) und ein Feedback geben, wie das, was in Belarus passiert, auf uns wirkt, wie beeindruckt wir von den kreativen Aktionen sind und für welche Probleme vielleicht in anderen Staaten, in denen gewaltfrei gegen autoritäre Regierungen protestiert wurde und aus denen wir Aktive kennen, spannende Lösungen gefunden wurden.

Wenn soziale Projekte unter Vorwänden ihrer finanziellen Mittel beraubt werden, macht es im Einzelfall auch Sinn, Geld für das entsprechende Projekt zu sammeln. Und dort, wo entsprechende Städtepartnerschaften bestehen, kann ein*e deutsche*r Bürgermeister*in auch mal behutsam nachfragen, warum das aus deutscher Sicht so sinnvolle Sozialprojekt jetzt finanzielle oder bürokratische Probleme hat.

Auch der rechtzeitige Hinweis, dass die Fähigkeiten, die für eine erfolgreiche Ablösung eines autoritären Regimes notwendig sind, sich komplett von denen unterscheiden, die anschließend für den Aufbau eines sozialen, demokratischen Rechtsstaates notwendig sind (s. den Beitrag von Jörgen Johansen in diesem Heft), ist wichtig und notwendig. Damit nicht einfach eine autoritäre Regierung durch eine andere abgelöst wird und ansonsten alles beim Alten bleibt.

Ausgabe

Rubrik

Friedensbewegung international