U.S.-Friedensbewegung: Habt Geduld mit uns

von George Lakey

Ein amerikanischer Aktivist spricht mit Europäern und beantwortet fünf Schlüsselfragen zur U.S.-Friedensbewegung

1. Wie gegenwärtig ist die Sorge um Frieden in den U.S.A.?

Die Vereinigten Staaten sind ein sehr egozentrisches Land. Die meisten Menschen wachsen mit dem Glauben auf, dass die U.S.A. das Zentrum des Universums sind. Das bedeutet, dass sich nur eine geringe Anzahl von Menschen ständig mit dem Zustand der Welt unter friedenspolitischen Gesichtspunkten befasst, wie die starke nukleare Ausbreitung, Waffenhandel, ethnische Säuberung, die wirtschaftliche Unterdrückung von armen Ländern und Menschenrechten.

Die amerikanische Bevölkerung wird nur dann wachgerüttelt, wenn Krieg die U.S.A. direkt und dramatisch bedroht. Zum Beispiel, als in Vietnam die Zahl der Opfer seitens der U.S.A. anstieg und mehr junge Männer zwangseingezogen wurden, wurde ein Großteil der Bevölkerung aufmerksam. Obwohl die Massenmedien den Krieg größtenteils unterstützten, wandte sich die öffentliche Meinung gegen ihn.

Ich war einer der wenigen in den U.S.A., die sich von Anfang an gegen den Vietnamkrieg stark machten, und es war aufregend, an diesem Prozess des Aufwachens teilzuhaben. Ein Großteil der schläfrigen Öffentlichkeit stellte sich, als er aufwachte, gegen den Krieg, was der aktiven Friedensbewegung verhalf zu wachsen und militanter in ihren Aktionen zu werden. Nach vielen Jahren steuerten wir etwas dazu bei, die U.S.-Regierung zum Rückzug zu zwingen.

Verglichen mit Vietnam, wachte die U.S.-Öffentlichkeit beim Irakkrieg viel schneller auf. Es war eine Hilfe, dass im Vorfeld des Zweiten Golfkriegs bereits so viel gute Friedensarbeit geleistet wurde. Also führte der erste Präsident Bush 1991 ein fast gleichmäßig geteiltes Land in den Krieg. Der zweite Präsident Bush hatte es sehr schwer, das Land in den jetzigen Krieg zu führen, obwohl so Viele von der schrecklichen Erfahrung des 11. Septembers verängstigt waren. Dieses Mal benötigten die Halsabschneider dramatische Lügen, Zwangsherrschaft und Manipulation, um den Krieg in Gang zu bringen. Und sie konnten wegen der Stärke der Antikriegsverbände den Krieg nicht auf effektivste Weise führen (durch Einsatz ausreichender Truppen).

Die schlechte Nachricht ist, dass ein Großteil der U.S.-Öffentlichkeit weiterhin egozentrisch sein wird und versuchen wird, kritische Friedensthemen zu ignorieren. Die gute Nachricht ist, dass die Aufwachphase kürzer wird und es jetzt leichter ist, für Frieden in den U.S.A. zu mobilisieren.

2. Was ist die Rolle der europäischen Opposition (und die anderer Länder) für den U.S.-Militarismus?

Der Anlauf zum derzeitigen Irakkrieg beleuchtet diese Frage. Die meisten der bekannten und glaubwürdigen Wortführer der U.S.A., die gegen den Krieg waren, entschlossen sich, ihre Stimme nicht zu erheben. Die U.S.-Massenmedien funktionieren so, dass Berühmtheiten benötigt werden, um einen Standpunkt zu vertreten. Die Medien glauben nicht, dass die Konsumenten auf Nachrichten achten, wenn es dabei nur um normale Menschen geht.

Deshalb wurde im Anfangsstadium des Krieges, obwohl es Hunderte von Demonstrationen gegen den Krieg gab, diese Meinung nicht von den Massenmedien vertreten und die Friedensbefürworter wussten selbst nicht, wie stark diese Bewegung an ihren Wurzeln war. Dann sprachen sich die Europäer und andere (zum Beispiel Nelson Mandela) gegen den Krieg aus, und die U.S.-Medien begannen darüber zu berichten. Das wiederum kurbelte die Proteste an, da endlich "jemand Berühmtes" eine Meinung vertrat und die Medien darüber berichten konnten.

Diese Interaktion zwischen europäischen und anderen ausländischen Führungen, den U.S.-Medien und der U.S.-Öffentlichkeit vergrößerte den politischen Raum, so dass mehr politische Führer, wie Al Gore, gegen den Krieg auftreten konnten. Als sie dies taten, berichteten die Medien mehr über die Antikriegsbewegung, so dass sie bis zu ihrem Höhepunkt im Februar 2003 wachsen konnte, als die U.S.A. die kraftvollsten und umfassendsten Antikriegsdemonstrationen seit Jahrzehnten hatte, die sich mit dem weltweiten Protest vereinten.

3. Was sind die hinderlichsten Faktoren für das interne Wachstum der Friedensbewegung und ihrer Führung in den U.S.A.?

Dies ist eine wichtige Frage, da man denken könnte, in den U.S.A. gäbe es jede Menge Anstoß innerhalb der Friedensbewegung, eine Führungsrolle zu übernehmen. In den U.S.A. gibt es drei historische Friedenskirchen - die Mennoniten, die Kirche der Brüder (Church of the Brethren) und die Quäker - die Jahrhunderte hindurch eine pazifistische Aussage vertraten und eine wichtige Rolle in der Friedensarbeit übernehmen. Es gab beispielsweise Zeiten, da war das "American Friends Service Comittee" (Quäker) die größte und geographisch am besten positionierte Friedensorganisation der U.S.A.

Die U.S.A. haben auch einige langfristige pazifistische Gruppierungen wie den Versöhnungsbund (Fellowship of Reconciliation) und die Liga der Kriegsgegner (War Resisters League), deren Mitglieder wach bleiben, mit oder ohne aktuellen Krieg.

Den Europäern ist bewusst, dass, zusätzlich zu führenden Intellektuellen wie Noam Chomsky, die akademische Welt der U.S.A. einen wachsenden Bereich der Friedensforschung hat. Wieso gibt es mit Jahrhunderten von pazifistischer Tradition und einer Art von "Friedens-Studien-Industrie" nicht mehr effektive Führungsqualitäten für Frieden innerhalb der U.S.A.?

Wir müssen uns anschauen, wie die U.S.A. durch Rasse und Klasse geteilt ist. Demographisch gesehen sind der am konstantesten gegen den Krieg eingestellte Teil der U.S.A. die Afroamerikaner. Jahrzehnte hindurch ist es diese Gruppe, die am vehementesten den Frieden unterstützt. Wenn Umfragen zum Krieg gemacht werden, sind es die Afroamerikaner, die als Erste aufwachen. Bürgerrechtsgruppen waren in den 60ern unter den Ersten, die sich gegen den Vietnamkrieg aussprachen. Als die U.S.A. in Grenada einmarschierte, und es gab praktisch keine Aufwachphase bei so einer kurzfristigen Intervention, unterstützten 70% der Weißen die Invasion und 70% der Schwarzen waren dagegen. Der "Congressional Black Caucus" ist die Gruppe im Kongress, die am konstantesten Friedenspolitik vertritt und bestimmte Kriege ablehnt. Und was die Präsidentschaftspolitik angeht: Abgesehen von der Krise des Vietnamkriegs, die Eugene McCarthy und Robert Kennedy produzierte, ist Jesse Jackson der einzige Friedenskandidat, der ein Hauptbewerber in der Vorwahl zur Nominierung des Präsidentschaftskandidaten der Demokraten wurde.

Die tragische Geschichte des Rassismus in den U.S.A. trennt Weiße von Schwarzen. Ein Ergebnis davon ist, dass selbsterklärte Friedensgruppen normalerweise von Weißen geleitet werden. Und diese Weißen wissen nicht, wie sie sich (oder wollen sich nicht) mit den meisten friedensinteressierten Menschen in den U.S.A. verbinden - den Schwarzen. Das öffentliche Profil von Friedensgruppen in den U.S.A. ist deswegen weiß, was Schwarze kaum motiviert, ihnen beizutreten!

Eine ähnliche Dynamik beobachten wir auf der Ebene der sozialen Klassen. Demographisch betrachtet waren unter der weißen Bevölkerung die mit einem niedrigen Einkommen und ohne Abitur am ehesten gegen den Vietnamkrieg. Die Antikriegsbewegung wurde aber von der Mittelklasse geführt, die unbewusst durch ihre Klassenvorurteile gehemmt war. Sehr wenige der Organisatoren wussten oder kümmerten sich darum, dass die Weißen, die gegen den Krieg waren, größtenteils aus der Unterklasse stammten.

Diese Dynamik gibt es noch heute den Irakkrieg betreffend. Der Teil der weißen Bevölkerung, der am ehesten gegen den Krieg ist, ist der der Menschen mit niedrigem Einkommen. Weiße der Mittelklasse unterstützen den Krieg zum Großteil. Und wen versuchen die meisten Antikriegs-Organisatoren als Mitglieder ihrer Gruppen zu gewinnen? Weiße der Mittelklasse!

Damit der Kern der U.S.-Friedensbewegung der Öffentlichkeit effektiver den Weg weisen kann, muss er seine Klassen- und Rassenvorurteile loswerden und sich integrieren.

4. Was will die U.S.-Friedensbewegung wegen des amerikanischen Imperiums unternehmen?

In der Antwort auf die erste Frage zeigte ich die reaktionäre Natur der U.S.-Friedensbewegung auf, die auf aktuelle Kriege wartet, bis sie politisch wird. Das bedeutet, während sich viele Friedensaktivisten als antiimperialistisch bezeichnen würden, gibt es wenig Initiative, eine Vision einer U.S.A. ohne ihr Imperium zu erschaffen. (Ganz abgesehen von der Vision einer Welt ohne das amerikanische Imperium.)

Über "eine Vision der U.S.A. ohne Imperium" lautet der öffentliche Diskurs so: Welchen Stil der imperialistischen Führung bevorzugt man? Im Kampf Kerrys gegen Bush ging es teilweise darum, welchem Team wir eher zutrauen, unser Weltreich zu führen.

Das Gute ist, dass es in den U.S.A. eine substantielle Überlappung zwischen Friedens- und Umweltaktivisten gibt. Die Umweltbewegung ist neuer als die Friedensbewegung - sie zeigte ihre Kraft in den 70ern, indem sie den Plan der Atomwaffenindustrie stoppte, die Nutzung der Kernkraft auszuweiten. Als eine neue Bewegung ist sie auch offener für neue Ideen als die Friedensbewegung. Zum Beispiel hat sie als eine weiß-dominierte Bewegung alle Rassen gründlicher angesprochen. Sie war außerdem eine eher visionäre Bewegung, die mehr Ressourcen in Alternativen steckte.

Ähnlicherweise gibt es auch eine Überlappung zwischen der globalisierungskritischen Bewegung, die seit der "Schlacht von Seattle" aktiv ist, und den Friedensaktivisten. Die globalisierungskritische Bewegung ist auch interessierter an Visionen als die traditionelle Friedensbewegung.

5. Was ist die Rolle der gewaltfreien Aktion in der U.S.-Friedensbewegung?

Die Theorie und Praxis von gewaltfreier Aktion - eine Technik, die manchmal "people power" genannt wird - ist eine Kraft, die einige Grenzen der U.S.-Friedensbewegung überwindet. Gewaltfreier Kampf hat durch die Bürgerrechtsbewegung Legitimität in den U.S.A. erlangt und ist in diesem Sinne ein Geschenk der Afroamerikaner an die Bewegungen für soziale Gerechtigkeit.

Obwohl gewaltfreie Aktionen historisch betrachtet der Arbeiterklasse die meisten Erfolge gebracht hatten (z.B. durch Streik und Boykott), gab es bis zu den 60ern wenig Bewusstsein dafür. Andere Bewegungen in den U.S.A. schauten dann ab: Frauen, Umweltkämpfer, Menschen mit Behinderung, Landarbeiter geleitet von Cesar Chavez, sexuelle Minderheiten, Senioren und so weiter. Ich habe selbst "den Kreis geschlossen", als ich Workshops für Gewerkschaftler hielt, die meist weiß waren, um sie in diese Technik, die auf der Erfahrung der Schwarzen beruht, einzuführen.

Obwohl viele weiße Studenten in der Antivietnamkriegsbewegung zu rassistisch waren, um bewusst auf ihre schwarzen Kameraden zuzugehen und von ihnen zu lernen, wie man den gewaltfreien Protest am effektivsten benutzt, waren sie dennoch von der Erfahrung der Schwarzen beeinflusst. Dieser Einfluss zieht sich noch heute durch die Friedensbewegung. Jetzt fließen die Erfahrungen verschiedener Bewegungen durch Trainer und Forscher zusammen, um die Theorie des gewaltfreien Protests selbst weiterzuentwickeln.

Jetzt ist es der U.S.-Friedensbewegung endlich möglich, die grundlegend verschiedenen Anwendungen von gewaltfreier Aktion zu klären und damit auch die strategischen Möglichkeiten. Gewaltfreie Aktion hat drei ziemlich verschiedene Anwendungsarten, die alle sowohl in den U.S.A. als auch auf der ganzen Welt verwendet werden. Die offensichtlichste ist die Anwendungsart von "gewaltfreier sozialer Veränderung", um zum Beispiel die Politik gegenüber dem Irak, Kolumbien oder Palästina zu ändern. Die zweite Anwendungsart ist die "gewaltfreie soziale Verteidigung", für Situationen, in denen eine Bewegung versucht, den Status Quo zu erhalten. Die Organisation Greenpeace ist ein bekanntes Beispiel hierfür, da sie oft versucht, durch gewaltfreie Aktion Wale oder Wälder zu schützen. (Greenpeace ist in Kanada gegründet worden, allerdings mit starker Beteiligung seitens der U.S.A.)

Die dritte Anwendung ist die gewaltfreie "Intervention durch dritte Parteien" für solche Situationen, in denen Aktivisten getötet oder bedroht werden. Sie benötigen eine dritte Partei, die als menschlicher Schutzschild fungiert. Nordamerikanische Friedensaktivisten haben eine führende Rolle bei der Entwicklung dieser Anwendung übernommen, zum Beispiel durch den Beitritt in die Peace Brigades International, die für den Friedensnobelpreis nominiert wurden.

Ich glaube, dass gewaltfreie Aktion das Potential besitzt, die U.S.-Friedensbewegung über ihre Grenzen hinauszuführen, da

- ihre Anfänge in der Arbeiterklasse und bei den farbigen Menschen liegt,

- sie immer häufiger von vielen Bewegungen, die durch das U.S.-Imperium unterdrückt werden, angewandt wird,
- sie als Strategie und Methode nicht weiße, männliche Professionelle privilegiert, sondern diese in eine Arena einlädt, in der Frauen, Farbige und Arbeiter bereits aufgetreten sind,
- ihre Theorie visionär ist, weil sie von Natur aus ein alternativer Kampf zu Gewalt und Krieg ist und sie als weitere Konsequenz das Imperium untergräbt,
- wenn sie international koordiniert ist, wie die weltweiten Antikriegsproteste vom Februar 2003, welche die New York Times die "andere Supermacht" nannte, reduziert sie die Selbsteingenommenheit, die sogar die Friedensaktivisten in den U.S.A. benebelt,
- die " Intervention durch dritte Parteien" eine Methode für Amerikaner zur Verfügung stellt, in aktiver Solidarität mit bedrohten Aktivisten des "Globalen Südens" zu stehen, OHNE unser imperialistisches Gepäck. Wenn wir die Intervention der dritten Partei anwenden, dienen U.S.-Aktivisten demütig und wir können nicht unsere Arroganz und unseren unberechtigten Anspruch zur Sprache bringen. Dies ist einer der menschlichsten Wege, gegen unser Imperium zu agieren.

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George Lakey war über 40 Jahre lang aktiv in der Friedensbewegung tätig. Als Quäker hat er sieben Bücher geschrieben, Soziologie an Universitäten unterrichtet und über 1000 Workshops in über 25 Ländern (inklusive Italien) gehalten. Während der Bürgerrechtsbewegung war er das erste Mal im Gefängnis. Lakey ist ein Hauptmitwirkender bei dem neuen Buch "Globalize Liberation" (City Lights Books, 2004), von David Solnit herausgegeben. Zur Zeit ist er der Direktor von "Training for Change".