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Bespitzelung
US-Nachrichtendienste in Deutschland und das Recht - Was tun?
vonDie Enthüllungen des für den US-amerikanischen militärischen Nachrichtendienst NSA und dann bis 2013 für einen Dienstleister der NSA tätigen Insiders Edward J. Snowden und anderer Whistleblower haben heftige politische und gesellschaftliche Debatten ausgelöst. Dabei geht es vor allem auch um die Fragen, welche Befugnisse und Handlungsräume den Nachrichtendiensten der USA und anderer Verbündeter in Deutschland zur Verfügung stehen, welche rechtlichen Grenzen ihnen gezogen sind und ob insoweit Änderungsbedarf besteht.
Deutschland ist völkerrechtlich gesehen ein souveräner Staat. Im sogenannten 2+4-Vertrag, der am 15. März 1991 in Kraft getreten ist, ist wirksam vereinbart worden, dass die drei Westmächte und die Sowjetunion "hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes" beenden. Außerdem wurde darin festgelegt, dass "die entsprechenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der vier Mächte aufgelöst" werden. Das vereinte Deutschland habe "demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten". Das normiert Artikel 7 des 2+4-Vertrages ausdrücklich. Damit gibt es in Deutschland kein originäres Besatzungsrecht mehr, das die völkerrechtliche Souveränität Deutschlands beschränkt oder gar aufhebt.
Es existieren jedoch nach wie vor vertragliche Souveränitätsbeschränkungen Deutschlands zugunsten der USA auf der Grundlage völkerrechtlicher Abkommen, in die früheres Besatzungsrecht eingeflossen war. Diese Verträge, Vereinbarungen, diplomatischen Notenwechsel usw. verschaffen den Stationierungsstreitkräften der USA und ihrem zivilen Gefolge, zu dem auch nachrichtendienstliche Stellen und andere „Sicherheits“-Behörden gerechnet werden, nach wie vor erhebliche Handlungsmöglichkeiten in Deutschland, die nur sehr schwer zu kontrollieren sind.
Rechtspolitischer Handlungsbedarf – 9 Thesen
These 1: Ohne Whistleblower sind wir den Datenangriffen der NSA und anderer Dienste weithin schutzlos ausgeliefert, weil wir nicht einmal davon erfahren.
Whistleblower, die solche schweren Angriffe auf Menschenrechte aufdecken und enthüllen, benötigen Hilfe und Unterstützung. Das erfordert einen wirksamen Whistleblower-Schutz auf allen Ebenen. Notwendige Schutzregelungen müssen u.a. die Aufnahme solcher Whistleblower in ein Zeugenschutzprogramm, einen gesicherten Aufenthaltsstatus, den Schutz vor Auslieferung und Bestrafung, die Sicherung des Existenzminimums und Hilfen bei der gesellschaftlichen Integration gewährleisten. Bei dieser Schutzaufgabe sind der nationale Gesetzgeber sowie die nationale und die internationale Rechtsprechung gefordert. Außerdem sind internationale Regelungen in völkerrechtlichen Abkommen erforderlich. Die Zivilgesellschaften müssen hier für den notwendigen Druck sorgen.
These 2: Bei Vorliegen eines Anfangsverdachts, also von tatsächlichen Anhaltspunkten für die Möglichkeit eines Verstoßes von Nachrichtendiensten gegen Strafrechtsnormen zum Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses und persönlicher Daten muss entsprechend dem Legalitätsprinzip unverzüglich von den Strafverfolgungsbehörden ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und wirksam betrieben werden. Dies gilt nicht nur dann, wenn es um das Abhören des Mobiltelefons der Bundeskanzlerin geht.
Gegen jeden Amtswalter, der sich weigert, wirksame Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten und durchzusetzen, muss ein Verfahren wegen Strafvereitelung im Amt durch die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft eingeleitet werden.
Durch illegale Ausspäh- und Abhöraktionen werden neben dem Grundrecht auf Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) vor allem bedroht und verletzt
- das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 u. Art. 1 GG), also die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen,
- das Grundrecht auf Wahrung der Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer Systeme (Art. 2 Abs. 1 u. Art. 1 Abs. 1 GG),
- das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), in das mit akustischer und optischer Wohnraumüberwachung sowie mit der Messung von elektromagnetischer Abstrahlung, die mit der Nutzung von IT-Systemen verbunden sind, eingegriffen wird.
Die Verletzung dieser Rechte ist in Deutschland in weitem Maße strafbar. Dies gilt etwa für die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB), die Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB), das Ausspähen von Daten (§ 202a StGB), das Abfangen von Daten (§ 202b StGB), das Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten (§ 202c StGB) und die Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses (§ 206 StGB).
These 3: Art. 10 Grundgesetz (GG) und das G-10-Gesetz müssen reformiert werden.
Seit der Änderung des Art. 10 GG und des Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG im Rahmen der sog. Notstandsgesetze von 1968 ist dem Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, den gerichtlichen Rechtsschutz gegen Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses auszuschließen. Von dieser Möglichkeit – eine Verpflichtung dazu bestand und besteht nicht - hat der deutsche Gesetzgeber in § 13 G10-Gesetz Gebrauch gemacht. Nach dieser bis heute geltenden Regelung ist „gegen die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen … und ihren Vollzug ... der Rechtsweg vor der Mitteilung an den Betroffenen nicht zulässig.“ Ob und wann eine solche Mitteilung ergeht, ist ungewiss.
Dieser weitgehende Ausschluss des Rechtsschutzes im G10-Gesetz sollte ersatzlos gestrichen werden, damit künftig jeder von nachrichtendienstlichen Eingriffen deutscher Stellen in Art. 10 GG Betroffene uneingeschränkt von dem rechtsstaatlichen Fundamentalrecht auf Anrufung eines unabhängigen Gerichts jederzeit Gebrauch machen kann.
These 4: Die parlamentarischen Kontrollrechte gegenüber den deutschen Nachrichtendiensten sind unzureichend und müssen gestärkt werden. Dabei geht es auch um deren Zusammenwirken mit ausländischen Diensten.
Die im G10-Gesetz vorgesehene parlamentarische Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) und die vierköpfige G10-Kommission stellen schon deshalb keinen wirksamen Ersatz für eine gerichtliche Kontrolle dar, weil ihre Mitglieder nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt werden. Es dominieren damit die VertreterInnen der politischen Regierungsmehrheit.
PKG und G10-Kommission tagen und verhandeln zudem ausnahmslos geheim in Abwesenheit der Betroffenen. Diese haben vor ihnen nicht die Verfahrensrechte, die ihnen vor unabhängigen Gerichten nach den Prozessordnungen zustünden.
Nach § 4 PKGrG entscheidet die Bundesregierung selbst, über welche „allgemeine Tätigkeit“ bzw. welche „Vorgänge besonderer Bedeutung“ sie das PKG in Kenntnis setzt. Für die Abgeordneten, die die Handlungen und Unterlassungen von ca. 12.000 Mitarbeitern der deutschen Geheimdienste und deren Abläufe nicht kennen, ist es schwer einzuschätzen, ob die ihnen von der Exekutive vorgetragenen oder verschwiegenen Sachverhalte es tatsächlich rechtfertigen, sie als „Vorgänge besonderer Bedeutung“ oder als „allgemeine Tätigkeit“ zu qualifizieren oder nicht. Deshalb muss zumindest der Inhalt der Unterrichtungspflicht durch Regelbeispiele konkretisiert werden, die insbesondere auch das Zusammenwirken deutscher Stellen mit ausländischen Diensten einschließen. Eine Verletzung der Unterrichtungspflicht muss mit strafrechtlichen und anderen wirksamen Sanktionen verbunden sein.
Es sollte ferner gesetzlich gewährleistet werden, dass sich Mitarbeiter der Nachrichtendienste ohne vorherige Beteiligung ihrer Vorgesetzten an die parlamentarischen Kontrollgremien oder an die Bundesdatenschutzbeauftragte wenden dürfen; daraus dürfen ihnen keine Nachteile entstehen.
Die strafrechtlich bewehrte Geheimhaltungspflicht hindert im Grundsatz die Mitglieder der Kontrollgremien, die Regierung öffentlich fundiert zu kritisieren. Die insoweit bestehenden Beschränkungen von öffentlichen Darstellungen über die Gremiumsarbeit müssen deshalb modifiziert werden. Insbesondere ist sicherzustellen, dass schon ein Minderheitenquorum zu öffentlichen Stellungnahmen berechtigt.
Die Mitglieder der Kontrollgremien sollten außerdem von ihrer Schweigepflicht im Falle von ihnen bekannt gewordenen Verstößen gegen das Grundgesetz, die Strafgesetze oder gegen von Deutschland abgeschlossene völkerrechtliche Abkommen kraft Gesetzes ausdrücklich entbunden werden. Vorbild für eine solche Regelung könnte die 1951 durch eine interfraktionelle Initiative geschaffene Vorschrift des § 100 Abs. 3 StGB zum Schutz von Bundestagsabgeordneten vor Strafverfolgung wegen Landesverrat bei im Bundestag oder seinen Ausschüssen erfolgter Erwähnung oder Enthüllung von illegalen Staatsgeheimnissen sein, die im Rahmen der Notstandsgesetzgebung 1968 leider wieder beseitigt worden ist.
These 5: Angesichts der globalen Betätigungsfelder der Nachrichtendienste reicht einzelstaatlicher Grundrechtsschutz nicht aus. Wir benötigen zusätzlich baldmöglichst eine EU-Datenschutzgrundverordnung, die gegen Eingriffe im gesamten EU-Raum wirksam schützt.
Die Einhaltung der grundrechtlichen Mindest-Schutzstandards, die sich u.a. aus Art. 8 der EU-Grundrechte-Charta (EU-GrCh), Art. 8 EMRK und auch aus nationalen Verfassungen wie dem Grundgesetz sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung ergeben, muss wirksam gesichert werden. Es gilt insbesondere zu verhindern, dass Nicht-EU-Mitgliedsstaaten wie die USA Zugang zu personenbezogenen Daten von EU-Bürgerinnen und Bürgern erhalten, solange dafür keine ausdrückliche Zustimmung der zuständigen EU-Datenschutzbehörde vorliegt.
In- und ausländische Unternehmen, die in der EU geschäftlich tätig sind und rechtswidrig geschützte Daten an staatliche oder private Stellen weitergeben, müssen mit empfindlichen Strafen belegt werden, die sich zu Abschreckungseffekten an der Höhe des Konzernumsatzes orientieren.
These 6: Die EU sollte mit den USA ferner ein völkerrechtliches Abkommen über den Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts sowie der Integrität der IT-Systeme aushandeln und abschließen.
In diesem „EU-US-Datenschutzabkommen“ sollte ein individueller Rechtsschutz verankert werden, der allen Bürgerinnen und Bürgern der EU und der USA wechselseitige Klagerechte bei Verstößen gegen das Schutzniveau des IV. Zusatzartikels zur US-Verfassung sowie von Art. 17 ICCPR, Art. 8 EMRK und Art. 8 EU-GrCh sowohl vor US-Gerichten als auch vor Gerichten der EU und ihrer Mitgliedsstaaten einräumt.
Ferner sollten sich alle EU-Mitgliedsstaaten und die USA in dem Abkommen verpflichten, für Streitigkeiten über die Auslegung dieses Abkommens und ergänzender völkerrechtlicher Vereinbarungen die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag nach Art. 36 UN-Charta und Art. 36 des IGH-Statuts anzuerkennen.
These 7: Das NATO-Truppenstatut (NTS) und das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut (ZA-NTS), in dem eine Vielzahl früherer besatzungsrechtlicher Regelungen Niederschlag gefunden hat, bedürfen einer grundlegenden Revision.
Ziel der Revision sollte sein, insbesondere zu gewährleisten, dass die in Deutschland befindlichen ausländischen Truppen und ihr ziviles Gefolge ausnahmslos das deutsche Recht zu beachten haben und dass die zuständigen deutschen Stellen uneingeschränkt befugt sind, in den überlassenen Liegenschaften sowie im gesamten Bundesgebiet und im Luftraum darüber die Einhaltung dieser Fundamentalpflicht sowie der weiteren Verpflichtungen effektiv zu überprüfen. Dies muss erst Recht für Straftaten gelten.
These 8: Die Altlasten des sog. Deutschland-Vertrages vom 24.10.1954 (DV) müssen beseitigt werden. Alle von Deutschland abgeschlossenen geheimen Verträge, Abkommen usw. müssen ausnahmslos gegenüber dem Parlament offengelegt und publiziert werden.
Der DV ist zwar als solcher seit dem 15.3.1991 nicht mehr in Kraft. Auf seiner Grundlage sind jedoch zahlreiche Regierungs- und Verwaltungsvereinbarungen abgeschlossen worden, die besatzungsrechtliche Wurzeln haben und bislang nicht förmlich aufgehoben worden sind. Der Deutsche Bundestag sollte gegenüber der Bundesregierung aktuell darauf dringen und durchsetzen: Alle völkerrechtlichen Verträge, Regierungs- und Verwaltungsabkommen sowie sonstigen Vereinbarungen, die Deutschland mit den Truppen-Stationierungsländern USA, Frankreich und dem Vereinigten Königreich auf der Grundlage des DV abgeschlossen hat oder die ggf. unabhängig davon die in Art. II NTS normierte Pflicht der Entsendestaaten, ihrer Truppen, ihres zivilen Gefolges, ihrer Mitglieder und deren Angehörigen, das Recht des Aufnahmestaates Deutschland „zu achten“, einschränken ober beeinträchtigen oder Sonderrechte gewähren, müssen ausnahmslos gegenüber dem Deutschen Bundestag offengelegt werden. Die Notwendigkeit ihrer Fortexistenz muss jeweils konkret überprüft werden.
These 9: Der mit den USA (sowie dem U.K. und Frankreich) abgeschlossene Aufenthaltsvertrag muss neu verhandelt werden.
Im Aufenthaltsvertrag (AV) vom 23.10.1954, der an sich mit dem Abschluss des 2+4-Vertrages ausgelaufen wäre, jedoch durch Regierungsnotenwechsel vom 25.9.1991 ohne Zustimmung des Gesetzgebers verlängert worden ist, wird in seinem Art. 1 das in Art. 4 Abs. 2 S. 2 DV zum Ausdruck gebrachte Einverständnis der Bundesrepublik mit der weiteren alliierten Stationierung von Truppen „der gleichen Nationalität und Effektivstärke“ bekräftigt; lediglich Erhöhungen der – nicht näher definierten – Effektivstärke werden von der Zustimmung der Bundesregierung abhängig gemacht. Das macht es äußerst schwierig einzuschätzen und zu kontrollieren, welche Verbände oder „Spezialkräfte“ der US-Streitkräfte und ihres zivilen Gefolges im Bereich der Nachrichtendienste hier bereits stationiert sind oder ggf. neu verlegt werden, welche Aufgabenstellung sie haben und ob diese im Rahmen der NATO-Strukturen oder außerhalb derselben agieren. Immer wenn sie sich darauf berufen können, die bisherige „Effektivstärke“ werde nicht geändert, bestehen für die Gaststreitkräfte weite Handlungsräume, ohne dass zwingend die Zustimmung der deutschen Exekutive und des Gesetzgebers eingeholt werden muss. Das zeigte sich jüngst etwa bei der Einrichtung des US-Command in Stuttgart und Ramstein für Drohnen-Einsätze in Afrika außerhalb von NATO-Strukturen.
Jedenfalls in einem Militär-Bündnis wie der NATO, in dem vor allem die dominierende Macht sanktionslos nicht gerade selten Völkerrechtsbrüche begeht (u.a. 2003 Aggressionskrieg gegen Irak; Menschenrechtsverletzungen in Guantanamo und anderen Internierungslagern; gezielte Tötungen von Terrorismus-Verdächtigen ohne rechtsstaatliche Verfahren, nicht selten unter Inkaufnahme erheblicher Schäden für unbeteiligte Zivilpersonen; Steuerung von Drohnen-Angriffen durch US-Kommandoeinrichtungen in Deutschland; CIA-Renditions-Aktionen), muss uneingeschränkt gewährleistet sein und sichergestellt werden, dass deutsche Stellen an solchen gravierenden Rechtsbrüchen nicht mitwirken und diese auch nicht durch „Wegschauen“ oder gar durch aktive Unterstützungsmaßnahmen ermöglichen.
Der Text beruht auf Ausführungen, die der Verf. auf einer Veranstaltung des „Studium Generale“ der Hochschule für Wirtschaft und Recht am 18.6.2014 in Berlin vorgetragen hat. Er wurde vom Autor für diese Veröffentlichung stark gekürzt.