Die Bewegung gegen den Vietnamkrieg

US-Trauma

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
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Der Vietnamkrieg begann 1945/46 mit dem Widerstand vietnamesischer Kommunisten gegen die französische Kolonialherrschaft. 1954 wurde das Land in einen kommunistischen, von der Sowjetunion unterstützten Norden und den sich dem westlichen Block zurechnenden Süden geteilt. In der Folge kam es in Südvietnam zu einem Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und kommunistischer Guerilla, den Viet Cong, die den Anschluss an Nordvietnam anstrebten. 1960 hatten die USA 800 Berater in Südvietnam; 1963, ein Jahr nach der Kubakrise, waren es bereits 16.000, die die Regierung unter Diem bei der Aufstandsbekämpfung unterstützten. (1).

1965 begannen die USA nach einem Zwischenfall im Golf von Tonkin, bei dem angeblich zweimal ein US-Kriegsschiff angegriffen worden war, Nordvietnam zu bombardieren und setzten Kampftruppen in Südvietnam ein. Später wurde bekannt, dass dieser Vorfall von den USA selbst produziert worden war, um eine Rechtfertigung für ihre Angriffe zu haben. (2) Ab 1969/1970 weitete sich der Krieg unter dem neuen Präsidenten Nixon (sein Vorgänger Johnson war 1968 nicht mehr angetreten) auch auf die Nachbarstaaten Laos und Kambodscha aus. Schließlich wurde am 27. Januar 1973 ein Abkommen mit Nordvietnam unterzeichnet, und die USA zogen ihre Bodentruppen ab. Die Bombardierungen von Kambodscha wurden zunächst fortgesetzt. Mitte August 1973, nach dem Watergate-Skandal, zwang der Kongress Nixon, alle militärischen Operationen in Indochina zu beenden.

1975 nahmen die Viet Cong die südvietnamesische Hauptstadt Saigon (heute: Ho Chi Minh Stadt) ein. Nordvietnam hatte den Krieg, der insgesamt drei Mio. Menschen das Leben gekostet hat, gegen die Supermacht USA gewonnen, und das geteilte Vietnam wurde unter sozialistischen Vorzeichen wiedervereinigt.

Die Antikriegsbewegung: Entstehung und Verlauf
Die Antikriegsbewegung wurde durch ‚alte‘, zuvor existierende Friedensorganisationen ins Leben gerufen, u.a. die War Resisters' League, die amerikanische Sektion der War Resisters' International, die schon 1963 zu einem ersten Protest aufrief. Sie gewann an TeilnehmerInnenzahlen durch eine Kombination mehrerer Faktoren, wobei die Medienberichte über den Krieg zweifellos eine große Rolle spielten, wie auch die Ausweitung der Wehrpflicht auf Studierende. Allerdings tat sich die Bewegung in den ersten Jahren damit schwer, die Mehrheit der Bevölkerung auf ihre Seite zu bringen.

Die Bewegung stand in Wechselwirkung mit der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in den USA und einem kulturellen Umbruch, der von den USA ausgehend sehr schnell auch Europa und die anderen Industrieländer erreichte, getragen von der (vornehmlich weißen) Hippie-Bewegung der 1960er Jahre, der jungen feministischen Bewegung, zu deren Erstarken auch die Dominanz der Männer in der Friedensbewegung wesentlich beitrug, und der linken Studierendenbewegung gegen Ende der 1960er Jahre.

Der Höhepunkt der Antivietnamkrieg-Bewegung war der Zeitraum zwischen 1967 und 1969. Im April 1967 protestierten 100.000 Menschen in Washington gegen den Krieg, und die Forderung nach dem Rückzug der amerikanischen Truppen wurde angesichts der im US-Fernsehen ausgestrahlten Berichte über die Grausamkeit der Kampfhandlungen unüberhörbar. Im Oktober 1969 nahmen insgesamt über drei Millionen Menschen in über 200 Städten an Antikriegsprotesten teil, die die Forderung nach einem Moratorium zum Mittelpunkt hatten. Im November 1969 demonstrierten 500.000 in Washington.

Als Nixon das Ende der Bodeninvasion in Kambodscha verkündete und die Zahl der US-Truppen ab 1970 immer weiter reduziert wurde, verlor auch die Antikriegs-Bewegung an Schwung, wenngleich die Proteste auch 1971 und 1972 noch weiter gingen. 1971 nahmen aber in Washington gerade noch 15.000 Menschen teil.

Ein wichtiges Element der Antikriegsbewegung war neben den Demonstrationen, die hauptsächlich von der weißen Mittelschicht getragen waren, die Kriegsdienstverweigerung: Junge Männer entzogen sich ihrer Einberufung durch offene Kriegsdienstverweigerung oder durch Flucht ins Ausland. Soldaten und Veteranen, viele von ihnen eher Angehörige der unteren Schichten und Schwarze, schlossen sich den Kriegsprotesten an. Die öffentliche Verbrennung von Einberufungskarten ab 1967 wurde zu einer bis heute unvergessenen Aktionsform. Insgesamt wurden rund 570.000 junge Männer als „Verletzer der Wehrpflicht“ klassifiziert. Von ihnen wurden 8.750 verurteilt und 3.250 mussten eine Haftstrafe absitzen. 170.000 Männer wurden als Kriegsdienstverweigerer klassifiziert. Es entstanden verschiedene Untergrundzeitungen, kriegskritische Soldaten trafen sich mit Gleichgesinnten und zivilen UnterstützerInnen in sog. Antikriegscafés, die in unmittelbarer Nähe von Militärbasen eingerichtet wurden. Aktive GIs bezogen auch öffentlich Stellung gegen den Krieg, z. B. durch Zeitungsanzeigen. Der Krieg wurde bei den US-Soldaten so unpopulär, dass ab ungefähr 1969 von einer extrem schlechten Truppenmoral gesprochen werden muss. Drogenkonsum stellte ein erhebliches Problem dar, und es kam zu zahlreichen Fällen offener Befehlsverweigerung und sogar zur Tötung von Vorgesetzten durch ihnen untergebene Soldaten.

Erfolge
Es kann kaum bezweifelt werden, dass die Proteste immer wieder politische Entscheidungen der US-Regierung während des Verlaufs des Krieges beeinflussten.

  • Besonders von Präsident Johnson wird berichtet, dass sein privates Umfeld gespalten war, und er sich als unter Druck stehend empfand. Dass er nicht zur Wiederwahl antrat und 1968 Verhandlungen vorschlug, um den Krieg zu beenden, dürfte ein direktes Ergebnis davon sein. Allerdings war die Bewegung nicht stark genug, die Wahl eines Präsidentschaftskandidaten zu erreichen, der ihre Ziele umsetzen würde. Statt Johnson wurde mit Nixon ein Präsident gewählt, der den Krieg weiter eskalierte.
  • In der Regierungszeit von Johnson stand die Frage an, ob eine Invasion Nordvietnams versucht werden sollte. Johnson entschied sich dagegen, weil er die Effektivität bezweifelte und Angst vor einem Eingreifen Chinas hatte, aber auch, weil er die Reaktion zu Hause fürchtete.
  • Nach der Tet-Offensive (30.1.-–23.9.1968) Nordvietnams und des Viet Cong überlegten die USA, ob mehr Truppen entsandt werden sollen. Präsident Johnson entschied sich schließlich dagegen, anscheinend weniger aufgrund der Proteste auf der Straße, sondern weil ein Panel von unabhängigen außenpolitischen Beratern ihm davon abriet. Aber dies kann auch als ein Beispiel dafür interpretiert werden, wie die Spaltung von Eliten politische Veränderung herbeibringen kann.
  • 1969 begann Nixon, den Krieg zu eskalieren. Als Nixon im Oktober 1969 dem Rebellenführer Ho Chi Minh ein geheimes Ultimatum stellte, fanden zeitgleich, ohne dass die Bewegung von dem Ultimatum wusste, Massendemonstrationen mit über drei Millionen TeilnehmerInnen statt. Der Präsident ließ das Ultimatum verstreichen.

Was die Beendigung des Krieges angeht, so wird die Rolle der Bewegung kontrovers debattiert. Viele AutorInnen wie politische und militärische Akteure der damaligen Zeit sprechen der Antikriegsbewegung einen wesentlichen Einfluss auf die Kriegsführung der USA zu und machen sie für den Rückzug der USA verantwortlich. Zu ihnen gehören nicht nur KriegsgegnerInnen, sondern auch KriegsbefürworterInnen, die der Antikriegsbewegung die Schuld an der Niederlage der USA geben. Einige Generäle sprachen sogar von einem „Dolchstoß“.

Es gibt aber auch eine Gegensicht in der wissenschaftlichen Literatur und Kritik an der Bewegung. Dazu gehört zum einen, dass die Präsidenten Angst hatten, als ‚schwach‘ wahrgenommen zu werden und „der Straße“ nachzugeben, und die Bewegung so unabsichtlich einen Friedensschluss mit Nordvietnam behindert habe. Zum anderen hat die Auswertung der inzwischen geöffneten Archive in Vietnam gezeigt, dass Nordvietnam die Antikriegsbewegung mit in sein Kalkül der wahrscheinlichen nächsten Schritte der US-Regierung einbezog. Und dass Nordvietnam nicht nur von seinem militärischen Sieg überzeugt war, sondern auch davon, dass eine wachsende öffentliche Ablehnung des Krieges in den USA Nixon schließlich zwingen werde, Frieden nach den Bedingungen Nordvietnams zu schließen.

Fazit
Die Antikriegsbewegung fand in einer Zeit eines kulturellen Umbruchs statt, wurde von ihm mitgeprägt und prägte ihn – die Hippiebewegung, die Studierendenbewegung, die US-Bürgerrechtsbewegung und die Frauenbewegung veränderten die politische und gesellschaftliche Kultur nicht nur in Nordamerika, sondern im gesamten globalen Norden.

Zwischen den Wahlen gelang es der Bewegung, die Form der Kriegsführung durch die US-Regierung zu beeinflussen, gelegentlich Eskalationen des Krieges zu verhindern und Einfluss bis in die Eliten hinein auszuüben. Aber ihre Kraft reichte nicht aus, einen schnellen Friedensschluss zu erzwingen. Und bei jeder Wahl kam es dann zu einem Backlash, weil die nicht gewonnene Bevölkerungsmehrheit Präsidentschaftskandidaten bevorzugte, die dem Krieg positiv gegenüber standen.

Das Kriegsende war in erster Linie eine militärische Niederlage – allerdings eine Niederlage, die durch die offenbar desaströsen Verhältnisse innerhalb des US-Militärs und die Kriegsmüdigkeit im und außerhalb des Militärs mit verursacht wurde.

Anmerkungen
1 Für Quellen siehe die Literaturangaben in dem Ursprungsartikel: Der Beitrag beruht auf dem Artikel der Autorin zur Antivietnamkriegs-Bewegung in Arbeitspapier Nr. 26 des Instituts für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung,  Kriege verhindern oder stoppen. Der Beitrag von Friedensbewegungen, Juli 2014 (www.ifgk.de).
2 Siehe auch http://aixpaix.de/muenchhausen/tonking.html

Ausgabe

Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.