Rechtsprobleme des "Prinzips Verantwortung" im Arbeitsleben

Verantwortung und Verweigerung

von Ulrike Wendeling-Schröder

Im vergangenen Jahr hat der Philosoph Hans Jonas den Friedenspreis des deutschen Buchhandels für seine Arbeiten zur Verantwortung jedes/r Einzelnen für den Zustand der (Um-)Welt in unserer Zeit erhalten. Dies läßt sich als ein deutliches Zeichen dafür werten, daß das gesellschaftliche Bewußtsein für die besonderen Risiken der Gegenwart ("Überrüstung"/Ökologische Krise/riskante Techniken) deutlich gewachsen ist. Wenig diskutiert wird bisher allerdings, welche praktischen Probleme sich ergeben, wenn man ein in diesem Sinne verantwortliches Handeln nicht nur im Privatleben; sondern auch am Arbeitsplatz realisieren will.

Besondere Konflikte können sich hier zum einen ergeben, wenn aus Gewissensgründen die Arbeit verweigert wird, zum anderen, wenn Behörden und/oder Öffentlichkeit über unverantwortliches Tun des Arbeitsgebers unterrichtet werden.

Das traditionelle Arbeitsrecht geht davon aus, daß es das Recht des Arbeitgebers ist, darüber zu bestimmen, was und wie produziert wird. Er setzt dieses Recht mittels des sogenannten Direktionsrechts gegenüber dem Arbeitnehmer durch. Grenzen des Direktionsrechts ergeben sich nur aus den Gesetzen, den Tarifverträgen, dem Arbeitsvertrag und soweit eine Mitbestimmung des Betriebsrats besteht. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers ist also die Basis der "Fremdbestimmtheit" der abhängigen Arbeit i. e. S.

Das traditionelle Arbeitsrecht geht auch davon aus, daß das Arbeitsverhältnis eine "Privatsache" zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern ist, Anzeigen des Arbeitnehmers bei den zuständigen 'Behörden sollen selbst dann unzulässig sein, wenn der Arbeitgeber sich erwiesenermaßen strafbar gemacht hat.

Gerade in neuerer Zeit· häufen sich jedoch die Fälle, in denen Arbeitnehmer sich nicht mehr vor die Wahl zwischen Märtyrer und Duckmäusertum stellen lassen wollen und in denen sie es als ihr gutes Recht reklamieren, gewissenswidrige Arbeiten zu verweigern und Mißstände an die Öffentlichkeit zu bringen.

Das bekannteste Beispiel" für die gewissensbedingte Arbeitsverweigerung ist in der neueren Rechtsprechung der Fall des Druckers, der sich weigerte, Werbematerialien für kriegsverherrlichende Literatur zu drucken. Der bekannteste aktuelle Fall betrifft mehrere Ärzte und Krankenschwestern, die sich weigerten, an der Erforschung eines Medikaments mitzuwirken, das bestimmte Symptome der Strahlenkrankheit (Durchfälle, Erbrechen) mildert, weil für. dieses Pharrnazeutikum auch ein militärischer Einsatz ins Auge gefaßt war und die Arzte befürchteten; daß Medikament könnte militärstrategisch für die "Führbarkeit" eines Atomkrieges verwendet werden. Einige Aufmerksamkeit hervorgerufen hat weiter die Weigerung mehrerer Flugbegleiter, "abgeschobene" Ausländer gegen deren Willen in die Heimatländer zu fliegen. Ähnliches gilt für die Weigerung einer Beschäftigten eines Dienstleistungsbetriebes, in einem Kernkraftwerk zu arbeiten und für die Weigerung eines Brieträgers, Werbebroschüren der NPD zu verteilen.

Zu den Fällen der "Flucht in die Öffentlichkeit'', die in der letzten Zeit größere Aufmerksamkeit erregten, gehören zum einen die Kündigung eines Arbeitnehmers aus Berlin, der sich in der Sendung Panorama zu den Bleiemissionen "seines" Unternehmens geäußert hatte, sowie die Kündigung eines Chemiearbeiters, der entlassen worden war, weil er im Verdacht stand, über Benzolemissionen "seines'; Unternehmens in der Sendung Reportbericht zu haben ( die Äuße-rungen waren im Fernsehen nur als Schattenbild und mit Stimmverzerrungen wahrzunehmen).·

Für beide Aktionsbereiche gibt es ausbaufähige Ansätze in der Rechtsprechung. So ist es inzwischen anerkannt, daß die Gewissensfreiheit des Art. 4 Grundgesetz auch im Arbeitsverhältnis gilt. Das· Bundesarbeitsgericht hatte das Recht des Arbeitgebers, bestimmte Arbeiten zuzuweisen, unter den Billigkeitsvorbehalt § 315 BGB gestellt. Eine Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen berechtigt danach den Arbeitgeber nur dann zur Kündigung, wenn der Arbeitnehmer schon bei Vertragsabschluß wissen mußte, daß er die gewissenswidrige Tätigkeit würde ausführen müssen;
- zwingende betriebliche Erfordernisse nicht zulassen, daß der Arbeitnehmer mit· einer anderen Arbeit beschäftigt wird und
- zu erwarten ist, daß es in Zukunft zu zahlreichen weiteren Gewissenskonflikten kommen wird, weil eine anderweitige Beschäftigung nicht möglich ist.

Auch die Möglichkeiten der Information von Behörden und Öffentlichkeit sind inzwischen besser. Von Bedeutung ist hier zum einen eine vorsichtige Öffnung der Rechtsprechung, wie sie sich etwa im Urteil des Bundesgerichtshofs im Streit Wallraff, Bildzeitung andeutet. Das Gericht hat hier die unmittelbare Veröffentlichung von innerbetrieblichen Mißständen gerechtfertigt, weil durch diese die Öffentlichkeit ernstlich betroffen war und weil ein betriebsinternes Vorstellig werden für nicht aussichtsreich gehalten wurde. Zum zweiten haben sich die Möglichkeiten, externe Stellen anzu-rufen, dadurch verbessert, daß neue Gesetzesregelungen dies explizit erlauben (§ 21 Gefahrstoffverordnung/Datenschutzgesetze Hamburg und Hessen)."

Wichtig erscheint es schließlich, den hier dargestellten individualistischen Ansätzen durch kollektive Ergänzungen mehr Schlagkraft' und Perspektive zu verleihen. Kern des individalistischen "Prinzips Verantwortung" im Arbeitsleben ist es, die Entscheidungen über die Produkte nicht mehr nur dem Arbeitgeber/Unternehmer zu überlassen. Das gleiche Problem wird unter kollektiven Aspekten unter dem Stichwort "Mitbestimmung bei Produkten" diskutiert Sinnvoll wäre es, beide Diskus-sionen miteinander zu verzahnen und sie so zu konkretisieren, daß sie in größerem Maße als bisher handlungsleitend werden können.
 

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