Aktionscamp am Gefechtsübungszentrum

WAR-STARTS-HERE-Camp 2013

von Monty Schädel

Auf einer Fläche von ca. 230 Quadratkilometern erstreckt sich in der Altmark zwischen Magdeburg im Süden und Stendal und Gardelegen im Norden der nach Bundeswehr- und Eigenwerbung „modernste Truppenübungsplatz Europas“. Heute wird, auf dem von den Nazis zur Erprobung von besonders weit reichender Artillerie geschaffenen Gelände, wieder besonders intensiv für den Kriegseinsatz geübt. Bundeswehr und andere Armeen werden dazu nicht nur von der Rüstungsindustrie mit modernster “Übungs“technologie ausgestattet, sondern bekommen auch eine komplette Kleinstadt zum Trainieren des Stadt-, Guerilla- und Häuserkampfes errichtet. So entstehen in den nächsten Jahren in den Weiten der Colbitz-Letzlinger-Heide, am Ort des in den dreißiger Jahren plattgemachten Schnöggersburg, eine Vielzahl von neue Straßen und Häusern, aber auch Schule, Krankenhaus, Einkaufszentrum und U-Bahnstation. Bedauerlich für die überall nach Finanzmitteln suchende Allgemeinheit, dass die U-Bahnstation Schnöggersburg keine (direkte) Verbindung zu anderen Stationen auf der Welt hat, in der Schule keine Kinder lernen oder spielen werden, im Krankenhaus im besten Fall „verletzte“ Soldaten trainingsmäßig wieder kriegsverwendungsfähig gemacht werden, die Straßen dem Krieg trainierenden Militär vorbehalten bleiben.

Seit mehr als 20 Jahren streitet in der Region die Bürgerinitiative OFFENE HEIDE gegen diese Kriegsvorbereitung und machte mit einer Vielzahl von Mahnwachen, Gedenkmärschen, Saal- und Außenveranstaltungen, Ortsbesichtigungen sowie umfangreicher Medienarbeit darauf aufmerksam. Mit dem Bekanntwerden der jüngeren Planungen für den „Wiederaufbau“ von Schnöggersburg und dem Ziel, hier für Armeen aus der ganzen Welt ein Kriegstrainingszentrum zu errichten, erlangte das Gelände auch für bundesweiten und internationalen Protest gegen Krieg und Militär Aufmerksamkeit. „Krieg beginnt hier! - Lasst ihn uns hier stoppen!“ ist das Motto des 2011 in Schweden gegründeten europäischen antimilitaristischen Netzwerkes, und so ist es nicht verwunderlich, dass sich das in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindende WAR-STARTS-HERE-Camp in der Altmark auch internationaler TeilnehmerInnen erfreute.

Mehr als 250 (zu etwa 4/5 jungen) Teilnehmende (bis 30 Jahren) aus der Bundesrepublik, Belgien, Schweden, Frankreich, Spanien, Russland, Finnland u.a. Ländern diskutierten über Fragen von Krieg, Kapitalismus, Patriarchat, Diskriminierung, Rassismus, Kolonialismus, Rüstungsindustrie, Militarisierung des Alltags, Zivil-Militärische Zusammenarbeit, Protest- und Aktionsformen, … . Dass trotz des umfangreichen und höchsten Ansprüchen genügenden Programms und durchgängigen Tagestemperaturen über 30 Grad die meisten Teilnehmenden noch Zeit und Energie für Aktionsvorbereitung und -trainings sowie Spaß und Erholung fanden, kann wohl nur der jugendlichen Energie zugeschoben werden.

Höhepunkt des WAR-STARTS-HERE-Camp war der antimilitaristische Aktionstag am 27. Juli 2013 an und auf dem GÜZ. Aktionen zur Information, Mahnwachen an mehreren Orten direkt an den Zufahrten und in Orten um das GÜZ sowie Aktionen auf dem Truppenübungsplatz waren angekündigt und fanden zahlreiche Beteiligung. Unterstützung fanden die Campteilnehmenden dabei von Aktiven der BI OFFENE HEIDE und anderen Anwohnenden der Region wie auch Angereisten der DFG-VK, der Antiatombewegung und der Partei DIE LINKE. Auf dem GÜZ waren in der Folge mehrere Orte und militärisch genutztes Material markiert und hatte ein kleineres Konzert von Aktiven der LEBENSLAUTE stattgefunden. Parallel zum Camp musste die Polizei feststellen, dass ein Gleis zum Transport von schwerer Technik auf dem Gelände des GÜZ über mehrere Meter geschottert worden war.

Relativ ungewöhnlich für Antikriegsaktionen war eine von einer Anwohnerin des GÜZ angemeldeten Gegendemonstration. Dass diese Demonstration incl. dem SPD-Bürgermeister der Stadt Gardelegen von knapp 20 Leuten teilnehmenden Nazis, die durch T-Shirts ihre Gesinnung deutlich nach außen trugen, nicht den Weg wiesen, wirft einen bezeichnenden „Schatten“ auf diese „demokratische“ Meinungsäußerung.

 

Der Brandanschlag und die Medien
Obwohl die KriegsgegnerInnen des Camps mit Unterstützung eines engagierten RechtsanwältInnenteams in der Woche vor dem Aktionstag die Allgemeinverfügung des Landkreises für ein allgemeines Demonstrationsverbot kippen konnten und die Polizei sich personell zurückhalten musste, bestimmten Aussagen der Polizei die Medien am und nach dem Aktionstag. Am Morgen des 27. Juli waren zwischen 01:00 und 04:00 Uhr in einem Bundeswehrdepot in Havelberg, ca. 90 Kilometer entfernt vom Ort des Camps, Militärfahrzeuge in Flammen geraten. Bereits drei Stunden später berichten Medien, dass die Polizei zwar keine Erkenntnisse habe, aber Verbindungen zum WAR-STARTS-HERE-Camp nicht ausgeschlossen werden könnten. Damit war dann die Verbindung auch schon hergestellt und stündlich wurden zwar nicht die Erkenntnisse mehr, die behaupteten Verbindungen dafür immer intensiver.

Auf die Spitze getrieben wurde die durch die Polizei angestifteten Hetze gegen das Camp und seine Teilnehmenden, als bereits 12 Stunden nach dem Brand, offenbar zur Rechtfertigung der morgendlichen Äußerungen, das Camp umstellt und ein mutmaßliches Täterauto beschlagnahmt wurde. Für die, die sehen und erkennen wollten, zumindest für Interessierte der Antikriegs- und Friedensbewegung, wurde an dieser Stelle aber auch die abenteuerliche Konstruktion polizeilichen Handels deutlich.

Um einen schnellen Erfolg der eigenen Propaganda zu präsentieren, sicher auch um den angekündigten Großeinsatz der Polizei zu rechtfertigen, wurde ein Auto beschlagnahmt, das dem bekannten freien Journalisten Michael Schulze von Glaßer, der seit einigen Jahren bereits über die Militarisierung der Gesellschaft und der Schule berichtete, gehört. Er hatte sich am Abend vor dem GÜZ-Aktionstag (und der Brandnacht) spontan einer Gruppe von Personen der BI OFFENE HEIDE und der LEBENSLAUTE angeschlossen, um über deren Aktion des zivilen Ungehorsams am Aktionstag zu berichten. Geplant war ein Konzert auf dem GÜZ am „U-Bahnhof“ des ehemaligen Ortes Salchau. Da die Gruppe in der Nacht zu ihrer Aktion aufgebrochen war und 20 Kilometer über das GÜZ-Gelände bis zu dem Ort wandern musste, ehe sie dort von Feldjägern gestellt und dann der Polizei übergeben worden waren, konnte diese Gruppe, abgesehen von anderen Umständen, die in den durch die Gruppe propagierten Aktionsformen liegt, gar nicht in Havelberg gewesen sein.

Nach öffentlicher Kriminalisierung, Beschlagnahme und Durchsuchung des Autos und anderer journalistischer Arbeitsmittel hat Schulze von Glaßer nach drei Wochen sein Eigentum zwar wieder, konnten er und auch andere aber auch erleben, dass vor der Kriminalisierungswut von Polizei und Militär niemand sicher ist (oder war er gar aus anderen Gründen das Ziel?). Mit konstruierten Aussagen und durch nichts zu belegende Vermutungen wurde gegen KriegsgegnerInnen und ihr Camp Stimmung und der gerechtfertigte Protest gegen das Trainieren des Mordens auf dem GÜZ verächtlich gemacht.

So nachvollziehbar die Reaktion der Polizei, der Medien und der die Kriege verteidigenden Politik aus deren Überlegungen heraus sein mag, dass es eine Verbindung zwischen der brennenden Kriegstechnik in relativer Nähe mit dem WAR-STARTS-HERE-Camp gäbe, so sehr müssen sich die Verantwortlichen in Polizei und Medien auch den Vorwurf gefallen lassen, nicht nur nicht unvoreingenommen, sondern tendenziös zu ermitteln und zu berichten. Mit demokratischen Verhältnissen hat das wohl nicht mehr viel zu tun, obwohl doch alle aus den (unterstellten) Ermittlungspannen um den NSU und den rechten Terror gelernt haben müssten.

 

Der Diskurs in der Friedensbewegung
Während die Hinweise aus dem Camp bei Polizei und Medien folgenlos blieben, reichte ein Funken, um die Hetz gegen KriegsgegnerInnen zu entfachen. Am 25.07. hatte die Pressegruppe wegen sich ständig wiederholender Gewaltvorwürfe von Polizei und Medien an die Campteilnehmenden öffentlich verbreitet: „Es ist schon sehr zynisch, wenn Kriegsgegner_innen hier von Seiten der verschiedenen Behörden und sogar vom Militär generell Gewalttätigkeit unterstellt wird. Was kann es denn Gewalttätigeres geben als Krieg? Krieg bedeutet immer vor allem das Töten von Menschen, das Zerstören von Lebensgrundlagen und sozialen Strukturen. Krieg bedeutet, in unser Aller Namen Drohnen, Panzer, Bomben und Maschinengewehre gegen Menschen zu richten und soziales Leben komplett unmöglich zu machen. Angesichts all dessen das Wort „Gewalt“ in den Mund zu nehmen, wenn Kriegsgegner_innen Orte und Strukturen mit Farbe kenntlich machen, an denen Krieg und militärischer Terror geübt wird, oder sie längst überfällige Abrüstungsschritte endlich selbst in die Hand nehmen, sollte uns alle sehr, sehr nachdenklich stimmen. “

Schmerzlich ist es, wenn Teile der Friedensbewegung ebenso reflexartig und ebenso unbelegbar Verbindungen zwischen den Brandanschlägen und dem Camp herstellten und verbreiteten. Es bleibt nur der Appell, vor einer öffentlichen Distanzierung zu Fragen: Wem nützt das anlassgebenden Ereignis? und an die Worte von Martin Niemöller zu erinnern: „ ... Als sie mich holten, war niemand mehr da, der dagegen protestieren konnte!“ - So schwer es auch manchmal fällt, aber in einer Zeit, in der Krieg der Normalzustand dieser Gesellschaft ist, sollte (kritische) Solidarität unter KriegsgegnerInnen, und nicht die Distanzierung, selbstverständlich sein. Natürlich muss nicht jede Aktionsform unterstützt werden, doch solidarisches und faires Verhalten ist ein Minimum. Sobald regelmäßig die gleichen Argumentationen und Begründungen genutzt werden, wie sie die Organe dieses seit Jahren Krieg führenden Landes nutzen, sollte doch ein Denkprozess auch bei Aktiven der Friedensbewegung einsetzen. Zwanzig, dreißig oder auch vierzig Jahre Erfahrung sind keine Gewähr dafür, dass die Ansichten die richtigen und die Aktionsformen die passenden sind. Die Antikriegs- und Friedensbewegung sollte unterschiedliche Positionen diskutieren, sich durch gemeinsames, solidarisches und kritisch-faires Handeln auszeichnen und nicht durch eine Distanzierungskultur die die Frage offen lässt: Mit wem wollt ihr eigentlich die Gesellschaft ohne Militär erschaffen?

 

Bewertung
Jetzt, einige Wochen nach dem Camp, kann ausgewertet werden, dass dieses Camp wieder ein Erfolg war. Politisch wurde deutlich, regional wie bundesweit, dass Krieg nicht anonym irgendwo und irgendwie passiert, sondern HIER beginnt. Die Aktiven haben nicht nur viel Verständigung miteinander und thematisch betrieben, sondern auch positiv erfahren können, dass Protest gegen den Krieg, sei es praktisch um und auf dem Gelände des GÜZ wie auch juristisch sinnvoll und möglich ist. Bereits im Vorfeld wurde mit Mobilisierungsveranstaltungen an verschiedenen Orten im gesamten Bundesgebiet, organisiert von unterschiedlichen Strukturen der Antikriegs- und Friedensbewegung, deutlich, dass die Bedeutung des GÜZ als ein möglicher zentraler Ort des Protestes gegen Krieg und Militär erkannt wird/wurde.

Letztlich war auf und mit dem Camp erkennbar, dass Antikriegsarbeit trotz der wahrgenommenen Alterserscheinungen in der Friedensbewegung auch von jungen Menschen aktiv betrieben wird. Das nährt Hoffnungen und macht Mut für die Zukunft. Bleibt nur noch, dass die Generationen in der Antikriegs- und Friedensbewegung zusammen finden und das Verständnis für die z.T. unterschiedlichen Ansichten des Lebens und politische/gesellschaftliche Entwicklungen wächst.

Auch wenn das Camp in Selbstorganisation und mit der tatkräftigen Unterstützung vieler organisiert und durchgeführt wurde und dadurch die Kosten überschaubar blieben, sind doch trotzdem eine Reihe von größeren Posten aufgetreten. Finanzielle Unterstützung für die Camporganisation erbitten u.a. wir unter dem Kennwort „WAR-STARS-HERE-CAMP“ auf das Konto der DFG-VK, Bank für Sozialwirtschaft  830 46 01 BLZ 370 205 00.

 

Weitere Informationen zum GÜZ und zum WAR-STARTS-HERE-CAMP: www.warstartsherecamp.org

 

Monty Schädel ist Politischer Geschäftsführer der DFG-VK. Er nahm für die DFG-VK an den Internationalen WAR-STARTS-HERE-CAMPs 2011 in Nordschweden sowie 2012 und 2013 in der Altmark teil.

Aktionsvorschlag zum Thema Gefechtsübungszentrum
Einer der in der Praxis sich bereits mehrfach bewährte Aktionsmöglichkeiten kann das Aufstellen eines U-Bahnschildes auf einem Platz und der Verkauf von U-Bahnfahrkahrten von diesem Ort zum U-Bahnhof Schnöggersburg sein. Den „verwirrten“ Blicken und Fragen der PassantInnen, dass ja an diesem (Aktions)Ort gar keine U-Bahn-Haltestelle (mit oder ohne Netz) nach Schnöggersburg ist, kann einfach begegnet und das Gespräch/Nachdenken begonnen werden: In Schnöggersburg gibt es auch kein U-Bahn und kein U-Bahn-Netz, aber trotzdem eine U-Bahnstation. Wozu?

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