Über Häuserzerstörungen in Israel und den Alltag in Hebron

,,Warum bestraft uns die Armee?''

von Peter OehmenNazef Assaily

aus: Querbrief

Die Zerstörung von Wohnhäusern unschuldiger Zivilisten, der Bau einer endlosen Mauer in der Westbank, nervenaufreibende Kontrollen an willkürlichen Checkpoints, ein erschwerter Zugang zu Wohngebieten und Arbeitsstätten sind Probleme, die den palästinensischen Alltag prägen. Seit vielen Jahren bereits unterstützt der Weltfriedensdienst die palästinensische Friedensinitiative LOWNP - Library on Wheels for Nonviolence and Peace mit Sitz in Hebron. Anlässlich eines Besuchs in Berlin gab ihr Direktor Nafez Assaily Auskunft darüber, wie die Menschen mit diesen Problemen umgehen.

Ist Obdachlosigkeit ein Problem in Hebron?

Die Zerstörung von Wohnraum wird von der israelischen Besatzung als eine Methode benutzt, um uns zu bestrafen. Nicht nur diejenigen, die etwas getan haben, sollen bestraft werden, sondern auch deren Familien. Darüber hinaus soll allen anderen gezeigt werden: ,,Tut dieses oder jenes besser nicht oder euer Haus wird zerstört!" Wenn die israelische Armee Häuser zerstört, dann gibt es obdachlose Familien. Die ziehen dann zu Familienangehörigen und bleiben dort für ein oder zwei Monate wohnen, bis .sie wieder etwas Eigenes gefunden haben. Ansonsten versorgt das Rote Kreuz sie mit Zelten, damit sie vorübergehend darin wohnen können - aber nicht dauerhaft. In Hebron spielen Kinder auf der Straße, aber es gibt keine Straßenkinder. Abends gehen sie alle nach Hause und schlafen bei ihren Familien. Obdachlosigkeit in diesem Sinn ist kein großes Problem. Aber wenn das Haus zerstört wird - und fast jeder steckt hier schließlich ein ganzes Vermögen in sein Haus - bedeutet es, dass die Zukunft der Menschen zerstört wird und sie hoffnungslos, hilflos und natürlich auch verzweifelt zurückbleiben. Viele Menschen haben ihre Häuser durch die israelische Armee verloren. Dann haben sie Häuser aus Wellblech gebaut und darin gewohnt. Es dauert Jahre, um das Geld zu verdienen und dann ein neues Haus zu bauen. Ernste Wohnraumprobleme gibt es immer nur für eine kurze Zeit, wenn Häuser zerstört worden sind, aber dafür wird dann immer schnell eine Lösung gefunden.

Wie ist die Situation in Hebron?

Die Stadt ist geteilt, aber nicht durch eine Mauer, wie man es von der West Bank kennt, sondern vielmehr durch Tore, um die Straßen abzusperren. Aber lassen Sie mich über die Geschichte der Stadt im Allgemeinen sprechen. Nach Oslo II und dem Hebron Protokoll war Hebron eine Zone unter palästinensischer Verwaltung. Da die Israelis aber Siedlungen in der Altstadt haben, wurde die Stadt geteilt - in Hl und H2. Hebron 1 ist hauptsächlich der Teil, außerhalb der Altstadt und hat etwa 170.000 Einwohner unter palästinensischer Kontrolle. Hebron 2 - und das ist der östliche Teil der Stadt in der Nähe der jüdischen Siedlungen - steht vollständig unter israelischer Kontrolle, Verwaltung und Sicherheit. Insgesamt leben dort ca. 40.000 Palästinenser, und direkt in der Altstadt, auf-ungefähr 1 qkm, leben um die 6.000 Palästinenser mit etwa 400 Siedlern, die wiederum von 2.000 israelischen Soldaten geschützt werden. Weil die Armee es den Siedlern recht machen will und nicht als Verräterarmee beschimpft werden möchte, reagieren sie fast immer auf die Forderungen der Siedler. ,,Sperrt diese Straße" - und sie sperren die Straße, „Verhängt eine Ausgangssperre" - und es wird eine Ausgangssperre verhängt. Die Siedler sind die eigentlichen Herrscher hier in dieser Gegend. Es leben viele Menschen in der Altstadt, aber viele davon ertragen die Demütigungen und Erniedrigungen der Siedler und der Armee nicht mehr und sind weggezogen. Einige, die Land besitzen, haben Häuser gebaut und sind dorthin gezogen. Die Läden in der Altstadt wurden geschlossen und viele haben in Hl neue Geschäftsmöglichkeiten gefunden. Diejenigen, die jedoch keine Alternativen hatten - das sind die 6.000 von denen ich sprach - sind geblieben. Alle Geschäfte sind geschlossen - bis auf 62 Läden, die von 9-14 Uhr geöffnet sind - danach ist das Zentrum eine Geisterstadt.

Unter anderem haben wir die Kampagne „Buy and Win" ins Leben gerufen, um mehr Menschen zum Einkaufen in der Altstadt zu bewegen. Durch mehr Käufer sollen mehr Geschäfte öffnen und die Stadt belebt werden. Vielleicht kehren so längerfristig auch wieder mehr Familien in Hebrons Altstadt zurück.

Es gibt kleine Häuser mit nur einer Etage, die meistens privat genutzt werden. Miet- und Eigentumswohnungen werden von Wohnungsbauprojekten angeboten und es gibt natürlich noch die Villen der reichen Leute - die schönen mit Kameras und Satellitenschüsseln.

Welche Einschränkungen gibt es im Alltag?

Wenn beispielsweise die Kinder zur Schule gehen, werden sie von den Kindern der Siedler und oft auch den Siedlern selbst erniedrigt, beschimpft oder auch mit Steinen beworfen. Palästinenser, die hier leben, müssen die streng kontrollierten israelischen Checkpoints passieren. Wenn ich eine Familie besuchen möchte und kein Familienangehöriger bin, werde ich nicht durchgelassen. Man braucht einen Grund, um passieren zu können und das ist alles nur aus Sicherheitsgründen, sagen sie. Sie übertreiben mit der Sicherheit. Sicherheit wird zum Komplex in der israelischen Gesellschaft, und ich weiß nicht, wie sie in einigen Jahren damit umgehen wollen.

Durch die Teilung haben die Menschen den Kontakt zueinander verloren. Ich meine, sie haben wohl telefonischen Kontakt, aber sie müssen sich auch besuchen können. Das ist aber deren Politik, sie wollen die Menschen dazu bringen wegzuziehen und ihnen keine Zeit zum Nachdenken geben. Sie wollen die Menschen bestrafen, das ist uns allen klar.

Sind Sie persönlich von der Teilung betroffen?
Im Sommer lebe ich in Hebron. Mein Haus liegt etwa 100 Meter südlich der Siedlung Harsina. Früher, in den späten 8oern, während der ersten Intifada, haben sie einen Sicherheitszaun um Harsina herum gebaut. Später, seit 2000, haben sie den Sicherheitsbereich um die Siedlung langsam ausgedehnt und heute steht der Grenzzaun nur wenige Meter von meinem Haus entfernt. Das Land gehörte mir und einigen Nachbarn und wir haben dort Wein und Oliven angebaut. Sie haben uns das Land einfach weggenommen, die Bäume gefällt und das Feld planiert. Ich verstehe das Bedürfnis nach Sicherheit der Siedler. Ich verstehe auch, dass sie uns unser Land deswegen wegnehmen. Was ich aber nicht verstehe ist, dass ich jeden Tag zwei Kilometer von meinem Auto nach Hause laufen und dabei zwei israelische Checkpoints passieren muss. Östlich von meinem Haus verläuft die Straße, die Harsina und die Siedlung Kiryat Arba weiter im Süden verbindet. Das Land neben der Straße haben sie auch konfisziert, und Palästinenser können die Straße nur an den Checkpoints überqueren oder einen großen Umweg um die Siedlungen herum machen. Ich muss mein Auto jenseits der Straße parken, mit allem Gepäck durch die beiden Checkpoints und dann zwei Kilometer zu Fuß gehen. Wenn wir Material brauchen, um unsere Häuser zu reparieren, müssen wir es tragen. Es gibt keine Möglichkeit, mit dem Auto zu unseren Häusern zu gelangen.
Warum bestraft die Armee uns, nachdem sie uns schon das Land zur Sicherheit der Siedler weggenommen hat? Was wir hier sehen, ist weniger die Politik der Armee, sondern die der Siedler, um uns das Leben schwer zu machen, damit wir hier letztendlich wegziehen. Vor Gericht haben wir keine Chance. Es ist eine militärische Anordnung, und daran können wir nichts ändern. Die Wohnsituation wird dazu benutzt, uns zu bestrafen, das ist unser Problem mit Wohnraum in Hebron.

 

Quelle: Querbrief, Zeitschrift des Weltfriedensdienstes (WFD) 4/2005.

 

Ausgabe

Rubrik

Krisen und Kriege