Weitere Freisprüche für Golfkriegsgegner in Bonn

von Martin Singe

Im letzten Friedensforum berichteten wir u.a. über Bonner Prozesse ge­gen Golfkriegsgegner, die unter dem Verdacht des Aufrufs zu einer Straftat (Befehlsverweigerung) standen. Heute können wir einige zen­trale Aussagen aus dem freisprechenden Urteil zitieren:

"Den Angeklagten ist zur Last gelegt worden, gemeinschaftlich mit ande­ren...durch Unterzeichnung eines von "Pax Christi" herausgegebenen Flug­blattes gegen den Golfkrieg zu einer rechtswidrigen Tat im Sinne des  111 StGB - nämlich Soldaten zur strafbaren Gehorsamsverweigerung gemäß  20 WStG - aufgefordert zu haben. Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ließ sich dieser Vorwurf aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht auf­rechterhalten.

Beide Angeklagten haben sich überein­stimmend dahingehend eingelassen, daß sie mit der Unterzeichnung des Flug­blattes kurz vor dem drohenden Aus­bruch des Golfkrieges einen eindringlichen Appell zur Wachsamkeit, zum Protest und zum Widerstand gegen den Golfkrieg bzw. gegen die diskutierte Beteiligung der Bundeswehr an diesem Krieg an die Bevölkerung hätten richten wollen. Sie hätten diesen Krieg mit all seinen schrecklichen Konsequenzen für die Menschen und die Umwelt am Golf für ethisch nicht vertretbar, für völker­rechtswidrig und die mögliche Beteili­gung von deutschen Truppen für verfas­sungswidrig gehalten. Sie hätten sich deshalb dazu berechtigt, ja sogar ver­pflichtet gefühlt, jeden einzelnen Bürger zu einer gründlichen Gewissensüberprü­fung und zu einer eigenverantwortlichen Meinungsbildung über die Berechtigung des Golfkrieges aufzurufen.

Diese Einlassung der Angeklagten ist aus der Sicht des Gerichts glaubhaft und nachvollziehbar. Sie widerspricht nicht dem objektiven Erklärungswert des von ihnen unterzeichneten Flugblatts. Vielmehr enthält dieses bei der gebotenen umfassenden und sorgfältigen Ausle­gung des gesamten Textes aus der Sicht eines verständigen Lesers keine eindeu­tige Aufforderung zur rechtswidrigen Gehorsamsverweigerung im Sinne des 20 Wehrstrafgesetze...

Aus dem aufgezeichneten Zusammen­hang zwischen den Ausführungen zur Ablehnung des Golfkrieges aus rechtli­chen, politischen und ethischen Gründen und dem nachfolgenden Appell an un­terschiedliche Adressaten zum Handeln wird nach Auffassung des Gerichts deutlich erkennbar, daß es den Unter­zeichnern des Flugblattes in erster Linie darum ging, die Bevölkerung aufzurüt­teln, das Problembewusstsein zu schär­fen, das Gewissen des Einzelnen anzu­sprechen und ihn aufzufordern, entspre­chend der so gewonnenen Überzeugung "jeder an seiner Stelle" eigenverant­wortlich zu handeln. So werden die Sol­daten nicht aufgefor­dert, unterschiedslos jedem Befehl im Zu­sammenhang mit dem Golfkrieg den Gehor­sam zu ver­weigern, sondern nur demjeni­gen Be­fehl, der ihrem Gewissen wider­spricht. Aus dieser Verknüpfung zwi­schen Ge­wissensentscheidung und Gehorsams­verweigerung wird nach Auffassung des Gerichts die Absicht der Flugblattunter­zeichner hinreichend klar und unmissverständlich deutlich, auch die Soldaten der Bundeswehr vorrangig zu einer ei­genverantwortlichen Gewissensent­scheidung aufzurufen. Daß ein solcher Appell keine Aufforderung zu einer Straftat im Sinne des 111 StGB dar­stellt, liegt auf der Hand.

111 StGB fordert eine öffentliche Äu­ßerung, aus der der Wille des Täters eindeutig und unmissverständlich er­kennbar wird, den Adressaten seiner Er­klärung zu einer rechtswidrigen Tat auffordern zu wollen. Gerade weil diese Vorschrift das Recht auf freie Mei­nungsäußerung und den in der Demo­kratie notwendigen offenen Streit um das politisch Richtige berührt, ist sie nach Auffassung des Gerichts eng aus­zulegen und im Zweifelsfall ihre Ver­wirklichung  zu verneinen. Dies umso mehr, als durch die genannte Vorschrift die Grenze der Strafbarkeit weit vor die Begehung der strafbaren Handlung selbst, deren Vorbereitung ja sogar vor deren konkrete Anstiftung vorverlegt wird. Dabei war die erkennbare Inten­tion des Gesetzgebers, einer den Be­stand des Staates gefährdender öffentlicher Aufwiegelung der Bevölkerung oder einzelner Bevölkerungsgruppen zur Be­gehung politisch motivierter Straftaten entgegenzuwirken.

Nach alledem sind die Angeklag­ten...freizusprechen.

Der Wortlaut kann für DM 1,- im Büro der Friedenskooperative, Römerstr. 88, 5300 Bonn bezogen werden.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".