Plädoyer für "Polizeibeauftragte"

Wer kontrolliert die Polizei

von Mani Stenner

Das „Bonner Forum Bürgerinnen und Polizei" plädiert für die Einrichtung von mit umfassenden Rechten ausgestatteten „Polizeibeauftragten". Ihre Tätigkeit wäre vergleichbar einer Art Mischung der Funktionen von Ombudsmann, Wehr- und Datenschutzbeauftragten, sollte also sowohl Beschwerden über Polizeiverhalten nachgehen und - wo es möglich ist- in Konflikten zwischen Bürgern und Polizeibeamten vermitteln als auch vertrauliche Anlaufstelle für Polizistinnen und Polizisten selbst bei Anregungen, Beschwerden und Berichten über Missstände sein können. Das „Bonner Forum" ist ein Dialogkreis zwischen Aktiven aus der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung und aktiven Polizeibeamten, der bis vor einigen Jahren in Bonn etliche Diskussionsveranstaltungen zu Konfliktthemen zwischen Polizei und sozialen Bewegungen organisiert hat. Der Text ist ein gekürzter Auszug eines Buchbeitrages von Polizeidirektor Udo Behrendes, Sprecher der „Polizeiseite" im Bonner Forum, und mir als Sprecher der „Bürgerseite".

Die Kontrolle der Staatsgewalt ist ein konstitutives Element unseres demokratischen Rechtsstaats. Polizistinnen und Polizisten, die von Staat und Gesellschaft mit weit reichenden Eingriffsbefugnissen ausgestattet worden- sind, müssen es als selbstverständlich ansehen, bei Ausübung ihrer Tätigkeit auch von außen möglichst umfassend kontrolliert zu werden. Effektive Kontrolle der Polizei ist insoweit nicht nur das Recht, sondern die Pflicht einer Gesellschaft, die die von ihr abgeleitete Staatsgewalt (Artikel 20 II Grundgesetz) nicht als „Persilschein" vergeben darf.
Die große Mehrheit der deutschen Polizistinnen und Polizisten braucht kein zusätzliches Kontrollgremium zu fürchten. Eine allgemein anerkannte neutrale Kontrollinstanz würde im Gegenteil die Position solcher Beamtinnen und Beamten stärken, die zu Unrecht beschuldigt werden. Die für polizeiliches Handeln typische Endgültigkeit und Unumkehrbarkeit von Grundrechtseingriffen erfordern andere bzw. ergänzende Kontrollmechanismen der Gesellschaft als gegenüber sonstigen Verwaltungszweigen. Die besondere Kontrolle polizeilichen Handelns ergibt sich aus der Natur der Sache und unterstellt in-soweit keine höhere Machtmissbrauchsaffinität von Polizisten gegenüber anderen Trägern der Staatsgewalt.
Die positiven Erfahrungen mit Wehr- und Datenschutzbeauftragten in der Bundesrepublik sowie die Akzeptanz unabhängiger Kontrollgremien der Polizei in anderen demokratischen Ländern sollten für die Einrichtung von Polizeibeauftragten nutzbar gemacht werden. Damit würde einer wiederholten Empfehlung von internationaler Ebene entsprochen werden, auch in Deutschland unabhängige Kontrollgremien im Themenfeld Polizei einzurichten. So haben sich der UN-Menschenrechtsausschuss in seinen abschließen¬den Bemerkungen zur Umsetzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte im Mai 2004 und die europäische Kommission gegen Rassismus
und Intoleranz (ECRI) des Europarates in ihrem im Juni 2004 veröffentlichten Bericht entsprechend geäußert.
Unter den Aspekten Mediation und Monitoring sollten Polizeibeauftragte einerseits reaktiv als eine auf Einzelfälle bezogene Schlichtungsstelle fungieren und andererseits proaktiv, als die polizeilichen (Organisations- und Handlungsstrukturen) beobachtende, begleitende und beratende Institution agieren.

Mediation
Den internen Kontrollorganen der Polizei (Vorgesetzten, Aufsichtsbehörden) ste¬hen nicht wenige Menschen insbesondere dann skeptisch gegenüber, wenn es um die Aufklärung evtl. Fehlverhaltens bei der polizeilichen Durchsetzung politisch umstrittener Entscheidungen geht. Betroffene und kritische Beobachter bezweifeln die notwendige Neutralität und Objektivität der internen Ermittlungen.
Die Staatsanwaltschaft wird aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs mit der Polizei ebenfalls nicht immer als neutrales Kontrollorgan empfunden. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen Menschen, die ihrerseits Beschuldigte in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sind, Vorwürfe gegen Polizeiangehörige wegen ihres Verhaltens bei Festnahmen, Durchsuchungen und Vernehmungen erheben. Der Zugang zu den Strafgerichten ist für potentiell Betroffene durch das dazwischen geschobene Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft erschwert. Stellt die Staatsanwaltschaft Verfahren gegen Polizeiangehörige ein, haben die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in der Praxis kaum eine Chance, ein Klageerzwingungsverfahren durchzusetzen.
Im Rahmen von internen wie externen Überprüfungen potenziellen Fehlverhaltens von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten stehen die Ermittler häufig vor der oft zitierten „Mauer des Schweigens". Die Ursachen hierfür liegen zum einen im psychologischen und soziologischen Bereich (Gruppendruck, Kameraderie, "Nestbeschmutzer"-Syndrom). Darüber hinaus „produziert" aber auch die Rechtslage das Schweigen potenzieller Zeugen. Polizeibeamte, die Zeugen einer „Körperverletzung im Amte" werden, müssen sich nach der Struktur des§ 340 StGB dem entsprechen-den Kollegen sofort aktiv entgegenstellen und ihn anschließend anzeigen (§ 163 StPO i. V. m. § 258a StGB), um sich nicht selbst strafbar zu machen. Rücksprachen mit dem betroffenen Kollegen, anderen Mitarbeitern oder Vorgesetzten sind nicht vorgesehen - im Gegenteil: mit jeder Verzögerung der Anzeigenerstattung steigt das Risiko der eigenen Strafbarkeit. Darüber hinaus würde auch durch jede Mitteilung an andere Kolleginnen und Kollegen, die Anzeigepflicht auf diese ausgedehnt. In dieser Konfliktlage entscheiden sich da¬her viele dafür, ,,nichts gesehen" zu haben.
Das strafrechtliche (§§ 258a, 340 StGB) und strafprozessrechtliche Zwangskorsett (§ 163 StPO) ist also zu eng, um Freiräume für einen konstruktiven Umgang mit polizeilichem Fehlverhalten zu schaffen. In den allermeisten Fällen wünschen selbst die Opfer polizeilicher Übergriffe keine Bestrafung, sondern lediglich eine Entschuldigung des Beamten, da auch sie häufig bereit sind, punktuelle Fehleinschätzungen und Überforderungen anzuerkennen.
Die große Mehrzahl der bei der Polizei eingehenden Beschwerden bezieht sich im übrigen nicht auf eklatante Übergriffe, sondern auf eher alltägliche Vorwürfe aus dem zwischenmenschlichen Bereich (Unfreundlichkeit, fehlende Empathie etc.). Die betroffenen Polizistinnen und Polizisten streiten jedoch in aller Regel die gegen sie erhobenen Vorwürfe stereotyp ab - oftmals aus Sorge vor disziplinarischen Maßnahmen oder _negativen Einflüssen auf dienstliche Beurteilungen und Beförderungen. Der Beschwerdevorgang wird dann in der Regel ohne konkretes Ergebnis (,,Aussage gegen Aussage") abgeschlossen, was bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern Ohnmachtsgefühle und Wut auslösen kann.
Aus dem Umgang mit Beschwerden über Polizeibeamte (die keine strafrechtlichen Vorwürfe enthalten) weiß man, dass ein moderierter „runder Tisch" mit den Beteiligten oft zu einer Schlichtung führt, die im Schriftverkehr nicht erreichbar gewesen wäre.
Diese Erfahrungen sind sicherlich auch auf solche strafrechtlichen Bereiche übertragbar, die keine gravierenden Folgen nach sich gezogen haben, zum Beispiel unangemessene, jedoch im Grundsatz gerechtfertigte Zwangsanwendung ohne bleibende gesundheitliche Schäden; ungerechtfertigte Freiheitsbeschränkung oder -entziehung von wenigen Stunden; unter situativer Anspannung gefallene, diskriminierende Äußerungen. Solche Fehlverhaltensweisen könnten durch Polizeibeauftragte im Rahmen einer gesetzlich geregelten Schlichtungsstelle behandelt werden, die ohne absoluten strafrechtlichen Verfolgungszwang zunächst die Möglichkeiten der Mediation und des Täter-Opfer-Ausgleiches im vorgerichtlichen Raum ausschöpft und dann unter Berücksichtigung der Voten beider Partei¬en nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheidet, ob eine Strafanzeige erstattet wird oder nicht. Die Entscheidung der Polizeibeauftragten sollte sowohl für die Strafverfolgungsorgane als auch für die Polizeibehörden hinsichtlich ihrer Disziplinargewalt (allerdings nicht für die Konfliktparteien, die ja ein Schlichtungsergebnis nur freiwillig mittragen können) bindend sein, d.h. eine erfolgreiche Schlichtung sollte parallele oder anschließende Straf- oder Disziplinarverfahren durch staatliche Stellen ausschließen.
Polizeibeauftragte als Mediatoren bzw. als neutrale Schlichtungsstelle könnten somit helfen, die aufgezeigten rechtlichen und strukturellen Probleme zur konstruktiven Aufarbeitung tatsächlichen oder behaupteten polizeilichen Fehlverhaltens entscheidend zu minimieren.

Monitoring
Über die reaktive Funktion von staatlichen Schlichtungsstellen hinaus sollten Polizeibeauftragte jedoch auch ohne konkretes Bürgerersuchen die polizeiliche Arbeit ständig mit kritischer Empathie begleiten, als gelebte Form demokratischer Gewaltenteilung und Volkssouveränität.
In Anlehnung und Weiterentwicklung entsprechender Modellvorschläge und Erfahrungen, namentlich mit der 2001 aufgelösten „Hamburger Polizeikommission" sollten Polizeibeauftragte im Rahmen einer gesetzlichen Regelung (die unter Beachtung des Datenschutzes und des Schutzes von Amts- und Dienstgeheimnissen zu konzipieren wäre) ein jederzeitiges Zutrittsrecht zu allen Polizeidienststellen mit Publikumsverkehr, ein Auskunfts- und Hospitationsrecht bei allen polizeilichen Einsatzmaßnahmen und ein umfassendes Recht auf Auskunftserteilung und Akteneinsicht gegenüber den Polizeibehörden haben. Die gleichen Auskunfts- und Hospitationsrechte sollten auch für alle Aus- und Fortbildungsmaßnahmen der Polizei gelten. Polizistinnen und Polizisten sollten sich vertraulich, außerhalb des Dienstweges, an die Polizeibeauftragten wenden können. Bundes- und Landespolizeibeauftragte sollten vom Bundestag bzw. Landtag gewählt und kontrolliert werden, unabhängig sein und keiner Fachaufsicht der Landesregierung unterliegen. Ihnen sollten öffentliche Mittel zum Aufbau einer Büroorganisation (mit möglicherweise regionalen Dependancen) und zur zeitlich befristeten Einstellung entsprechenden Fachpersonals für ihr gesamtes Aufgabenspektrum (darunter Wissenschaftler, Sozialpädagogen, ehemalige oder vom Dienst freigestellte Polizeiangehörige) zur Verfügung gestellt werden. Die zeitlich befristete Einstellung von Fachpersonal soll ebenso wie die befristete Wahl der Polizeibeauftragten eine zu starke Bürokratisierung dieses Organs verhindern. Andererseits würde jedoch eine lediglich ehrenamtliche Struktur oder ein Organ mit reinem Initiativencharakter weder die erforderliche Qualität und Nachhaltigkeit, noch die erforderliche Akzeptanz in der Polizei, der Politik und der Öffentlichkeit erreichen können.
Die Polizeibeauftragten sollten den jeweiligen Parlamenten jährliche Tätigkeitsberichte mit Empfehlungen und Anregungen vorlegen. Darüber hinaus sollten sie sich auch als Beratungsorgan sowohl für zentrale als auch örtliche Polizeibehörden verstehen. Sie sollten das Recht haben, neben den jährlichen Tätigkeitsberichten auch einzelne Empfehlungen und Stellungnahmen zu veröffentlichen und sich am öffentlichen Diskurs über Polizeifragen zu beteiligen.
Es spricht viel dafür, dass die hier skizzierte Einrichtung von Polizeibeauftragten als unabhängige Institution, die für Bürger und Polizisten gleichermaßen ohne Hemmschwelle und außerhalb des Dienstweges zugänglich wäre, das Verhältnis zwischen Bürgerschaft und Polizei insgesamt weiter verbessern würde.
Maßgebend für die interne wie externe Akzeptanz von Polizeibeauftragten wä¬re der neutrale, faire und empathische Umgang mit allen Konfliktbeteiligten. Um im Polizeijargon zu sprechen, müssten siege¬nau zwischen den Polen „polizeifreundlich" und „polizeifeindlich" angesiedelt sein, allerdings möglichst gute Insiderkenntnisse aufweisen.

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