Deutschland und die anderen europäischen Länder haben alles getan, um eine Flüchtlingsaufnahme zu verhindern

Wichtiges Ziel: Abschottung

von Beate Roggenbuck
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Schaut man sich die aktuelle Entwicklung im Kosovo nach dem Ende der Bombardierungen an, so scheinen die immensen Rückkehrerzahlen die rigide Abschottungspolitik westlicher Politiker gegenüber kosovarischen Flüchtlingen zu bestätigen. Allerdings mit starken Abstrichen. Es sind zwar alle Vertriebenen zurückgekehrt, aber die Bedingungen sind oft chaotisch. Dörfer sind zerstört, weite Teile vermint, die Folgen des Einsatzes von abgereichertem Uran seitens der NATO noch nicht absehbar.

Die immensen Zahlen bereiten bei der Versorgung der Flüchtlinge Probleme, denn viele rückgekehrte Flüchtlinge sind nach wie vor auf die Versorgung und Unterbringung durch internationale Hilfswerke angewiesen. Zudem muss die gesamte gesellschaftliche und politische Infrastruktur neu aufgebaut werden, waren doch alle zentralen Funktionen durch Serben besetzt. D.h. die Situation im Kosovo ist auf absehbare Zeit mehr als kompliziert, hinzu kommt der notwendige Transformationsprozess einer bisher noch agraisch und patriarchal ausgerichteten Gesellschaft zu einer moderneren Gesellschaft.

Was aber aus heutiger Sicht absolut beschämend und unverzeihlich ist, ist die Tatsache, dass die "internationale Gemeinschaft" nicht in der Lage war, die mit dem Rückkehrprozess aufkommenden Racheakte zu verhindern und umgekehrt die wenigen verbleibenden Serben vor Vergeltungsaktionen zu schützen. Bis jetzt sind knapp 300 Serben aus Rache getötet worden. Hier muss die Frage erlaubt sein, ob nicht eine strukturiertere Rückkehr - verbunden mit einer höheren Präsenz von ausländischen Polizisten - die Racheakte hätte verhindern können? Eine theoretische Frage, gewiss. Aber so, wie es gelaufen ist, sind einige ehemalige Opfer sehr schnell zu Tätern mutiert.
 

Auch auf zukünftige Konflikte bezogen, muss die rigide Abschottungspolitik westlicher Staaten alle Alarmglocken schrillen lassen. Ich bin davon überzeugt, dass die Art und Weise der Aufnahmeblockade auch in anderen Fällen angewendet wird, um eine Wiederholung des Szenarios der Bosnienflüchtlinge zu verhindern. Der gesellschaftliche Protest gegen die Abschottung war relativ gering, anders als zu Beginn des Bosnienkrieges gab es (noch ) keine erregte Debatte in der Bevölkerung, die Menschen reinzuholen. Die Gründe dafür sind noch genau zu erforschen. M.E. besteht hier ein enger Zusammenhang mit der politischen Suggestion, dass der Krieg ganz schnell vorbei sein wird. Aber sehen wir uns die Flüchtlingspolitik von April bis Juni nochmals genauer an.

Es ist unseren Innenpolitikern in diesem Krieg gelungen, fast alle Wege zur Flüchtlingsaufnahme zu blockieren, wobei die Innenminister der Länder die härtesten Positionen vertreten haben. Aufgenommen wurden insgesamt 15.000 Menschen als Bürgerkriegsflüchtlinge. Angesichts der Vertreibungszahlen in Höhe von fast 900.000 Menschen eine lächerlich geringe Zahl. Das Gros der vertriebenen Kosovaren musste monatelang unter schwierigen Bedingungen in den Lagern in Albanien, Makedonien und Montenegro ausharren, während unsere Politiker nur ein Ziel kannten; alles zu tun, um eine großzügigere Aufnahme von Flüchtlingen hier zu verhindern. Den ärmsten Ländern Europas wurde auf die Schulter geklopft, weil sie diese enormen Flüchtlingsmassen bewältigen mussten was teilweise -wie im Falle Montenegros - zur eigenen innenpolitischen Destabilisierung führte. Auf die versprochene finanzielle Kompensationen warten diese Länder wohl heute noch. Man/frau muss sich das nochmals vor Augen führen; Länder wie Albanien nehmen bis zu 10 % der eigenen Bevölkerung auf und westliche Politiker, die den Krieg doch mit dem Schutz der kosovarischen Bevölkerung begründet haben, wenden sich eiskalt ab, sobald diese an die eigene Tür klopfen. Das ist eine inhumane Politik.

Familienzusammenführung, Verpflichtungserklärungen und Aufnahme aus humanitären Gründen, alles legale Instrumente zur Flüchtlingsaufnahme, die "Den Krieg Überleben" während des Bosnienkrieges einsetzen konnte, waren jetzt unterbunden, Verpflichtungserklärungen, d.h. die Unterschrift eines/r Deutschen, für entstehende Kosten aufzukommen" wurden von Seiten der Ausländerämter nicht angenommen. Jede individuelle Einreise wurde verweigert. Auch die Aufnahme nach 30 Ausländergesetz aus humanitären Gründen wurde verweigert, denn, so der NRW Erlass vom 6.5.99: "Der Bund und die Länder haben sich am 30.4. verständigt, in dringenden humanitären Einzelfällen Kosovo-Albanern Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet nach 30 Abs. 1 AuslG zu ermöglichen. Angesichts der Sondersituation aller vertriebenen Kosovo-Albaner besteht Einigkeit, dass Bezugnahmen auf das allgemeine Vertriebenenschicksal die derzeitige Unterbringungssituation oder verwandtschaftliche Beziehungen im Bundesgebiet weder allein noch kumulativ ausreichen, um eine außergewöhnliche Härte im Sinne der genannten Vorschrift zu belegen." Da bleibt nur noch die zynische Frage: Wenn dieses Schicksal nicht ausreicht, was muss dann noch kommen?
 

DKÜ und viele andere Flüchtlingsorganisationen haben intensive Lobbyarbeit für eine adäquate und großzügigere Aufnahme der Vertriebenen gemacht. Wichtig ist jetzt, vor einer schnellen Abschiebung der vielen Kosovoflüchtlinge, die schon jahrelang in Deutschland sind, zu warnen. Das kleine zerstörte Land wäre heillos überfordert mit weiteren hunderttausend Menschen ohne Bleibe. Wichtig ist auch, Druck auszuüben, damit der zivile Aufbau von westlicher Seite massiv unterstützt wird und ausreichend Gelder in den Kosovo fließen. Aber schon jetzt ist absehbar, dass die Bewilligung der Milliarden für den Kriegseinsatz in krassem Gegensatz steht zu den bereitgestellten Geldern für den Wiederaufbau.

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Beate Roggenbuck ist Mediatorin BM, Trainerin und war Vorstandsmitglied von „Den Krieg überleben“ von 1994 – 2002.