Thesen zu Entwicklungen im Zeitalter von Globalisierung und Klima-Bedrohung

Wie weiter in Europa?

von Andreas Buro

Angesichts der Vielfalt und Dynamik internationaler Beziehungen lassen sich einzelne gewaltsame Konflikte nur in besonderen Situationen langfristig prognostizieren. Ein Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte lässt erkennen, welche großen unerwarteten neuen Konstellationen sich ergeben können. Trotzdem lassen sich einige große Tendenzen erkennen, wenngleich keine Einzelheiten.

  1. Die Machtverschiebungen zwischen den Großmächten: Nach Prognosen der US-Geheimdienste werden die USA mehr und mehr zu einer Macht unter Gleichen. Das gilt allerdings nicht für den militärischen Bereich, in dem die USA uneinholbar vorn liegen. Im Bereich der Rüstung zeichnet sich ein neues großes Kampffeld ab – der „Cyberwar“. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit werden von vielen Seiten die Vorbereitungen getroffen für militärischen Konfliktaustrag im Weltraum. Spitzenreiter sind wiederum die USA. Durch den „Cyberwar“ werden möglicherweise alle Kategorien bisheriger Kriege überholt. Vielleicht entsteht sogar so etwas wie ein permanenter Krieg. Der Motor ist auch hier die Sicherung der Eskalationsdominanz.
  2. Bei den Machtverschiebungen geht es meist um den Zugriff auf Rohstoffe und ihre Transportwege, um Märkte, um die Kontrolle der Leitwährung und um militär-strategische Interessen, um solche Zugriffe abzusichern. Um keinen Illusionen zu verfallen: Alle der an diesem Großprozess beteiligten Staaten werden geneigt sein, je nach Opportunität militärische Mittel einzusetzen oder von Satellitenstaaten einsetzen zu lassen. Es gibt keine Guten und keine Bösen, sondern nur Machtorientierte.
  3. Die große Gefahr besteht darin, dass die USA mit ihren „westlichen“ Verbündeten versuchen werden, mit militärischen Mitteln diesen Prozess zu stoppen. In diesem Zusammenhang ist die NATO als wichtiges, wenn auch nicht alleiniges Instrument zu verstehen. Die USA können durchaus auch alleine oder zusammen mit Willigen Interventionen durchführen.
  4. Dabei ergibt sich eine Zusammenarbeit zwischen den Zentren im Zentrum und den Zentren in der Peripherie (s. Galtung). Diese Zusammenarbeit erfolgt rücksichtslos gegenüber der Bevölkerung der Länder, aus denen Rohstoffe extrahiert werden sollen. Wenn diese sich wehrt, wird sie unter dem Stichwort Terroristenbekämpfung bekämpft. Es ist vorauszusehen, dass solche Konflikte an vielen Orten der Erde auftreten werden.
  5. Ein weiterer großer Konfliktbereich ergibt sich aus den Bestrebungen großer Teile marginalisierter Bevölkerung, die ihren Anteil an dem Reichtum der Gesellschaften fordern, der ihnen von den reichen Bevölkerungssegmenten verweigert wird. In Lateinamerika, aber auch in Ländern wie Thailand und den Philippinen spielen die Ansprüche indigener Völker schon jetzt eine große Rolle. Mit diesen Konflikten verbinden sich Auseinandersetzungen um den Status von Nationalen Minderheiten wie z.B. in Tibet, bei Uiguren, den Kurden u.v.a.m.
  6. Die Klimaveränderungen werden ebenfalls zu innergesellschaftlichen Konflikten und großen Flüchtlingsströmen führen. Weide- und Ackerland gehen verloren. Klima-Katastrophen usw. nehmen zu.

Was bedeutet dies für EU-Europa und Deutschland?

  1. Europa hat bereits im vergangenen Jahrhundert eine große Machtverschiebung erfahren. Der europäische Imperialismus und Kolonialismus ist zusammengebrochen. Das Machtzentrum der Welt hat sich in die USA verlagert. Das bürgerlich-kapitalistische Europa musste sich unter den Schutz und die Vormachtrolle der USA stellen. Es ist damit in eine Vasallenposition geraten und musste sich weitgehend den US-Interessen unterwerfen. Die Mitgliedschaft in der NATO unter Führung der USA und die gefährliche Einbindung in den West-Ost-Konflikt war eine Folge dieser Situation.
  2. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich insbesondere für die führenden Industriestaaten – so auch für Deutschland – die Unterwerfung unter die Führung der USA ökonomisch und auch sozial-stabilisierend gelohnt. Der Lebensstandard in diesen Ländern liegt weit im oberen Bereich. Ausschlaggebend war hierfür nicht zuletzt der hohe Standard und Vorsprung gegenüber den meisten Ländern im Bereich technologischer Produktion. Deutschland wurde zum Exportweltmeister.
  3. Mit der nicht zuletzt vom Westen forcierten Globalisierung, um Wachstum zu sichern, wird auf Sicht der technologische Vorsprung nicht aufrechterhalten werden können. Da EU-Europa rohstoffarm ist, wird es den Absatzausfall auf vielen Märkten nicht durch Rohstofflieferungen kompensieren können. Kapital wird verstärkt in aufstrebende Märkte auswandern und in der EU nicht mehr für die Schaffung von Arbeitsplätzen zur Verfügung stehen. Es entsteht eine instabile wirtschaftliche und soziale Situation.
  4. Die USA führen auch unter Obama ihre Politik der Aufrüstung und der Sicherung ihrer militärischen Eskalationsdominanz fort. Das deutet daraufhin, dass sie nach wie vor Militär „als letztes Mittel“ einsetzen werden, um ihre Ziele zu erreichen. Das wird voraussichtlich angesichts der asymmetrischen Kriegführung nicht nur wenig erfolgreich sein, sondern auch sehr teuer. Damit wird die dringend erforderliche Modernisierung der Infrastruktur und des Schuldenabbaus der USA erheblich beschnitten. Die USA werden ständig bemüht sein, ihren Bündnispartnern zusätzliche Lasten abzuverlangen, während diese kaum Mitspracherechte aufgrund ihrer relativen militärischen Schwäche über grundsätzliche politische Entscheidungen haben werden. Zugleich werden aber die EU-Staaten weiterhin als Vasallen der USA in der aufsteigenden Welt wahrgenommen werden, wodurch ihnen der Weg verbaut wird, sich als kooperative Partner eine neue Position in dem sich verändernden ökonomischen Gefüge aufzubauen.
  5. Für Europa ergibt sich deshalb die wichtige Frage: Wird das EU-NATO-Europa eine eigenständige kooperative Politik entwickeln können? Militärische Kapazitäten haben den EU-Staaten bislang keinen Nutzen gebracht und dies ist auch in Zukunft nicht zu erwarten. Deshalb müsste EU-Europa viel stärker auf zivile und politische Mittel zurückgreifen. Hier ergibt sich die interessante Perspektive für die Friedensbewegung unter dem Aspekt, militärischen Konfliktaustrag zugunsten Ziviler Konfliktbearbeitung zurückzudrängen.

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