Wintex-Cimex 1989: Vierzehn Tage dritter Weltkrieg

von Ulla EberhardChristine Schweitzer

Für den Bundeskanzler war der 3. Weltkrieg nach der ersten Atombombe auf deutschem Boden vorbei. Mit dieser "Verweigerung" störte er, glaubt mensch dem SPIEGEL vom 13.3.89, die Eintracht der Bündnisfreunde empfindlich. Sie wollten nämlich die einmarschierenden Truppen des Warschauer Vertrags mit einem massiven zweiten Atomschlag - über Polen und der Sowjetunion waren zu diesem Zeitpunkt schon 25 Atomraketen explodiert zum Stehen bringen.

Die heldenhafte "Verweigerung" ihres Bundeskanzlers nicht ahnend, hatten auch Friedensgruppen im ganzen Bundesgebiet vom 24. 2. bis 9. 3. mobil gemacht - allerdings nicht gegen Osten, sondern gegen das makabre Szenario, das in der (alle zwei Jahre stattfindenden) Wintex-Cimex-Obung durchgespielt werden sollte. Bei dieser Stabsrahmenübung geht es bekanntlich darum, die Verfahren der Gesamtverteidigung zu üben: das Zusammenwirken von zivilen Behörden mit militärischen Stellen und die Anwendung der Zivilverteidigungs- und Notstandsgesetze. Es liegt allerdings der Verdacht nahe, daß nicht alle Übungsinhalte nur für den Krisen- und Kriegsfall benötigt werden. (Ober die Inhalte Informationen zu erhalten, ist sehr schwierig. Schon die Frage, ob eine Kommune oder ein Land an der Obung teilnimmt, kann in der Regel nur auf parlamentarischem Wege über offizielle Anfragen, wie sie besonders die Grünen in vielen Kommunen dieses Jahr gemacht haben, erlangt werden.) Allerdings liegt der Nutzen von Wintex-Cimex wohl weniger im zivilen Katastrophenschutz, wie viele Politikerinnen von CDU und SPD mit Vorliebe behaupten; sondern in dem Einüben von Polizeieinsätzen gegen DemonstrantInnen: Im Landratsamt von Schwandorf (bei Wackersdorf) wurde z.B. "gespielt", daß der Landrat Hans Schuierer, bekannter WAA-Gegner, in seinem Dienstwagen von Attentätern mit Maschinenpistolen beschossen werden. Die Polizei nahm die Täter sofort fest - sie waren ausgerechnet Mitglieder einer Friedensinitiative! Bei Bekanntwerden brach das bayrische Innenministerium: diesen Teil der Schwandorfer Szenario-Variante ab und gab Order, die entsprechenden Unterlagen zu vernichten. (Nicht zurückgenommen wurde im übrigen eine andere Einlage, die vorsah, da WAA-GegnerInnen von der Schwandorfer Bevölkerung tätlich angegriffen worden seien.) Solche bekanntgewordenen Vorfälle, die vermutlich nur den Gipfel eines Eisberges darstellen, machen deutlich, was wirklich gespielt wird: Einsatz gegen alle "subversiven Aktionen". Als solche gelten den Behörden dabei "scheinbar legale wie illegale, gewaltlose wie gewaltsame Aktionen", bis zu "Agitation und Demonstration gegen unseren Verteidigungswillen": Ihr Ziel sei, "den Selbstbehauptungswillen der Bevölkerung zu untergraben", "das Vertrauen in unsere politische Führung zu erschüttern und letztlich jede Verteidigung als sinnlos darzustellen." (H. J. Schmidt, Polizei und zivile Verteidigung, Stuttgart 1985, S. 16)

Bilanz der Friedensbewegung
Die Aktionen gegen Wintex-Cimex werden von dem Trägerkreis als durchschlagender Erfolg gewertet. An ungefähr 150 Orten in der Bundesrepublik wurden Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit (Infostände, Mahnwachen, Straßentheater usw.) gemacht, unter anderem getragen von Verweigererorganisationen, Parteien, Friedensinitiativen ·und Gewaltfreien Aktionsgruppen. So breit ist der Widerstand gegen Wintex-Cimex noch nie gewesen.
Bei einigen Behörden endeten die Aktionen nicht vor der Tür: In Köln ging z. B. eine Gruppe in das Arbeitsamt hinein und informierte die Arbeitslosen darüber, daß sie die Ehre haben, im Kriegsfall vorrangig zwangsverpflichtet zu werden. Besonderen Ärger staatlicherseits lösten Anschreiben mit städtischen Briefköpfen und Autoaufklebern aus, die Vorgaben, amtliche Mitteilungen zu sein und die BürgerInnen zur Mitwirkung an der Übung aufforderten.
Einen besonderen Schwerpunkt setzten die Zivildienstleistenden; Etwa 2500 von ihnen legten am 27.2. die Arbeit nieder. Sie protestierten damit gegen ihre Einplanung für den Regiemrigsbunker in der Eifel Kriegsfall und forderten ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das sich auch auf den Einsatz in der Zivilverteidigung bezieht.
In mehreren Fällen verweigerten Menschen ihre Mitwirkung am Manöver, angefangen bei dem Würzburger Oberbürgermeister, der nicht bereit war, seine Straßen mit Polizeieinsatz für flüchtende Bürger zu sperren, bis zu zwei Jugendpflegern in Lindau, die hierdurch ihre Stelle verloren. Eine weitere Entlassung ist aus Osnabrück zu vermelden: Dort mußte ein Mitglied einer Friedensinitiative seinen Stuhl in der Stadtverwaltung räumen, weil sein Name als Kontaktadresse auf einem Wintex-Flugblatt genannt war; Dadurch sei, so die offizielle Kündigungsbegründung, der "Betriebsfrieden" gestört worden.

Schleichende Kriegsvorbereitung
Ziemlich unbeobachtet von der allgemeinen Öffentlichkeit wird die Einplanung von Zivilpersonen in die Kriegsvorbereitung weiter vorangetrieben. Nachdem seit 1980 mehrere Anläufe, die Zivilschutzgesetzgebung zu vereinheitlichen, an der Kritik von Verbänden und Öffentlichkeit gescheitert waren, sollten jetzt in einem Anlauf gleich mehrere Verordnungen und Gesetze ohne großes öffentliches Echo durchgepeitscht werden: im Januar wurden bereits die Richtlinien zur Gesamtverteidigung verabschiedet, die ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur von Regierung, und NATO immer wieder angemahnten umfassenden Verteidigungskonzeption sind. Am 10. März lag dem Bundesrat die Verordnung über die Feststellung und Dekkung des Arbeitskräftebedarfs nach dem Arbeitssicherstellungsgesetz vor. Mit ihrem Inkrafttreten müssen die Arbeitsämter die Betriebe, Behörden und militärische Stellen schon in Friedenszeiten anhalten, ihren Bedarf an Arbeitskräften für den Kriegsfall zu melden. Ebenfalls noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll das Katastrophenschutzergänzungsgesetz. Es sieht unter anderem - die Feststellung von Nutzungsmöglichkeiten und des Bedarfs an Gütern und Personal in gesundheitlichen Einrichtungen, die Registrierung von Zivildienstleistenden und eine Meldepflicht für alle in Gesundheitsberufen Ausgebildeten, die ihren Beruf derzeit nicht ausüben sowie die berüchtigte "StayPut"-Regelung vor.
Immer mehr Teile des gesellschaftlichen Lebens sollen nach zivilmilitärischen Erfordernissen ausgerichtet wer-den. Hier ist die Friedensbewegung gefordert, rechtzeitig zu reagieren und innerstaatliche Aufrüstung zwischen Kriegsvorbereitung und Repression der Bewegungen zu verhindern.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Ulla Eberhard ist Mitglied des Koordinierungskreises gegen Wintex-Cimex und der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen.
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.