Ein Beispiel praktischer Friedenserziehung in der Schule

"Wir sind Kinder eines Planeten!"

von Robert Hülsbusch
Schwerpunkt
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Der "Wille zur friedli­chen Konfliktregelung, die Bereitschaft zur internationalen Solidarität und die Einsicht, daß es auf dieser Welt keine isolierten Wohlstandsinseln geben kann..." (Willy Brandt), wie sind diese Ein­sichten, Fähigkeiten und Bereitschaften bei SchülerInnen zu wecken? Wie ist Friedenserziehung in diesem Sinne re­alisierbar?

Konstruktive Antworten auf diese Fra­gen gibt eine Projektwoche, die im Mai 1992 an der Gesamtschule Havixbeck stattfand.  Havixbeck ist eine kleine 10.000 Einwohner-Gemeinde im schwarzen Münsterland. Dort wurde vor drei Jahren auch mit den Stimmen der CDU eine 5-zügige Gesamtschule ein­gerichtet. Mittlerweile werden dort Schülerinnen und Schüler in den Jahr­gängen 5,6 und 7 unterrichtet.

"Wir sind Kinder eines Planeten!" So lautete das Motto dieser Projektwoche. In einem schulinternen Diskussionspro­zess hatten sich Lehrer und Schüler dar­auf verständigt. Die Idee dazu lieferte das Fach Gesellschaftslehre, in dem das Thema Unterentwicklung immer wieder eine Rolle spielt. In der Projektwoche nun hatten die Schüler zum ersten Mal die Gelegenheit, sich eine Woche lang in selbstgewählten Gruppen projektori­entiert und klassenübergreifend intensiv mit dem Leben, der Arbeit und der Kultur der Menschen in anderen Län­dern zu beschäftigen. Die Situation der Kinder in der Welt - und besonders der Kinder in den Entwicklungsländern - stand dabei im Vordergrund. Das Ziel der Projektaktivitäten formulierte der Schulleiter der Gesamtschule Hannes Niehaus gegenüber den örtlichen Zei­tungen so: "Es soll der Versuch unter­nommen werden, bei den Schülern das Gefühl der Solidarität mit Menschen auch aus uns fremden Ländern zu stär­ken und bewusst zu machen, daß wir in der Tat alle Kinder eines Planeten sind." Besonders erfreut zeigten sich Lehrer und Schüler über die große Resonanz, die die Projektwoche auch bei außer­schulischen Organisationen fand. Mit einem Brief hatte die Vorbereitungs­gruppe die vielen Gruppen aus Ha­vixbeck und der näheren Umgebung, die sich in der Friedens- und Dritte-Welt-Bewegung engagieren, eingeladen, sich in die Projektwoche einzubringen und ihre Kompetenz zur Verfügung zu stel­len. Über 20 Vereine, Gruppen, aber auch Einzelpersonen und Eltern der Schüler folgten der Einladung. Sie boten Vorträge an, halfen in den Projektgrup­pen mit, bereiteten das internationale Fest zum Ende der Projektwoche mit vor oder boten eigenständig Gruppen an. Nicht zuletzt aus diesem Grund war es möglich, den Schülern ein breites Spektrum an Projektthemen zur Aus­wahl zu stellen. Der Überblick über die einzelnen Projektgruppen zeigt die Viel­falt: Kinder im Regenwald/ Straßenkin­der in Brasilien/ Favelas in Südamerika/ Afrikanische und Lateinamerikanisch Musik/ Was essen Kinder in Asien?/ Afrikanisches Spielzeug/ Nordafrikani­sche Kleidung/ Die Ureinwohner Au­straliens/ Die Kinder von Tschernobyl/ Kinder im Krieg/ Ausländerfeindlichkeit gegen Kinder/ Gewalt gegen Kinder usw..

An zwei Beispielen soll deutlich ge­macht werden, wie die einzelnen Pro­jektgruppen arbeiteten:

In der Gruppe "Favelas in Südamerika" informierten sich die Schüler zunächst mit Filmen und Dias über die Situation in den Slums der südamerikanischen Großstädte. Der Franziskaner Pater Beda, der seit 30 Jahren in Brasilien als Missionar tätig ist, führte ihnen dann am zweiten Projekttag in einem eindrucks­vollen Gespräch das oft erbärmliche Le­ben der Straßenkinder in Südamerika vor Augen. Die Projektgruppe beschloß, für die nächsten zwei Tage einmal in die Situation dieser Kinder einzutauchen. Einige Schüler besorgten sich alte Ki­sten und begannen in den Straßen von Havixbeck für einen lächerlichen Betrag Schuhputzdienste anzupreisen. Einige andere verkauften Tageszeitungen. Eine dritte Gruppe stöberte mit Karren und Kartons die Baustellen und Müllhalden der Umgebung auf. In liebevoller Klein­arbeit bauten sie aus Schutt und Abfäl­len eine Hütte nach, wie sie vielen Fa­milien in Brasilien als Wohnung dient. Eine Notiz am Rande: In der Nacht vor dem Abschlussfest wurde diese Hütte von Unbekannten niedergebrannt - auch in den Ländern Südamerikas bittere Wirklichkeit.

Die Projektgruppe "Was essen Kinder in Asien?" beschäftigte sich am ersten Tag mit einem Spiel: "Genug Reis für alle?". Die Kinder erfuhren, daß die Welt ei­gentlich genug Nahrungsmittel für alle Menschen produzieren könnte. An den kommenden Tagen stiegen die Schüler in die alltägliche Ernährungspraxis ein. Ein indisches Picknick wurde vorberei­tet. Dabei lernten die Kinder auch die "Rationen" kennen, mit denen viele Kinder dieser Welt täglich auskommen müssen. Am letzten Tag dann wurde das "Eine-Welt-Café" für das Abschlussfest vorbereitet.

Dieses Abschlussfest entwickelte sich zum Höhepunkt der Projektwoche. Da stellten nicht nur die einzelnen Projekt­gruppen ihre Arbeitsergebnisse vor. Auch die außerschulischen Organisatio­nen informierten über ihre Arbeit. Ein afrikanischer Gottesdienst, von einer Projektgruppe zusammen mit afrikani­schen Priestern vorbereitet, eröffnete das Fest. Neben der Darstellung der Ar­beitsergebnisse standen auch an diesem Tag Aktionen im Vordergrund. Da wurde afrikanisch getanzt, gesungen und gespielt. Afrikanische Spezialitäten fanden reißenden Absatz. Die Schuh­putzer waren unterwegs. Eine Gruppe sammelte DM 1500,-- um eine Ferien­freizeit für Tschernobyl-Kinder zu un­terstützen.

Zwei wichtige Aspekte entwicklungs­politischer Arbeit in der Schule wurden in dieser Projektwoche deutlich:

1.    Emotionale Betroffenheit der Schü­ler bezüglich der Probleme in der sog. Dritten Welt ist sehr wichtig. Sie reicht jedoch nicht aus.

      Entwicklungspolitische Bildungsar­beit, die auf einer emotionalen Stufe stehenbleibt, ist wie ein Strohfeuer, das sehr schnell wieder erlischt. Notwendig ist es, auch Ursachen zu analysieren und Perspektiven zu ent­wickeln und vor allem den Bezug zur eigenen Erfahrungswelt herzustellen.

2.    Von großer Bedeutung ist die prag­matische Dimension von Erfahrung. Durch ein Aufzeigen von Hand­lungsmöglichkeiten können die Schüler selbst aktiv werden. In der politischen Aktion wird politisches Lernen realisiert, wird Bewußtsein geschaffen und gefördert. Die politi­sche Apathie kann aufgebrochen werden, Begeisterung und Engage­ment für Entwicklungspolitik ent­wickelt sich.

"Kinder in der Welt viel besser verste­hen" - So überschrieb die örtliche Zei­tung ihren Bericht über das Abschluss­fest der Projektwoche an der Gesamt­schule Havixbeck. Und in der Tat dürfte diese Projektwoche - wie intendiert - bei den Schülern das Gefühl der Solidarität mit den Menschen in den Entwick­lungsländern gestärkt haben. Die Schü­ler, die einmal als Schuputzer für ein ge­ringes Entgeld durch Havixbeck zogen, die Schüler, die einmal in Kleinstarbeit eine erbärmliche Favela-Hütte bauten (und sie dann niedergebrannt sahen), die Schüler, die für strahlenverseuchte Kin­der betteln gingen, sind der Wahrheit ein Stück nähergekommen - nämlich, daß wir alle Kinder eines Planeten sind, Gleichheit und Gerechtigkeit jedoch nur zu erreichen sind, wenn wir uns dafür engagiert einsetzen.

Friedenserziehung hat hier stattgefun­den.

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Robert Hülsbusch, Friedensinitiative Nottuln.