Buchbesprechung:

Wir wollen dazu was sagen

von Klaus Vack
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"Wir wollen dazu was sagen, auch wenn sie uns nicht fragen." So hieß es in dem Refrain eines der "Lieder gegen die Bombe", mit denen die frühen Ostermärsche der Atomwaffengegner sich in den Straßen und auf den Plätzen Gehör verschafften. Viele solcher Texte stammten von dem Schriftsteller Gerd Semmer. "Feuer, Vorsicht, man legt Feuer, ein Atomminengürtel wird geplant" - ein anderes Semmer-Lied, vertont und gesungen von Fasia Jansen, die als Jugendliche wegen ihrer Hautfarbe in ein KZ gesteckt worden war.

Anfang der sechziger Jahre war sie dabei, als es um den Protest gegen das atomare Wettrüsten, gegen die geplante Atombewaffnung der Bundesrepublik ging. Vor allem Jugendgruppen waren es, Arbeiterjugend, Bündische Jugend, Kriegsdienstverweigerer..., die mit ihren Gesängen und Bands dem Ostermarsch eine Stimme gaben. Die Lieder dieser Protestbewegung kannten noch nicht den Rückgriff auf die Agitpropkultur aus der Weimarer Republik, wie er 1968 in Mode kam. Sie griffen im Folklorestil den politischen Wahnsinn der aktuellen Politik direkt an, scheuten sich nicht vor moralischen Aussagen: "Atombomben zu Gottes Ruhm, was ist das für ein Christentum", klang es in einem der Semmer-Lieder.

Politische Texte und Chansons von Gerd Semmer sind nun dokumentiert in einem großformatigen Band, illustriert mit vielen zeitgenössischen Zeichnungen und mit Fotos von Toni Tripp, der damals bei keiner der antimilitaristischen Aktionen fehlte. Im Mittelpunkt der Dokumentation stehen die Kampagne für Abrüstung, die schon Mitte der sechziger Jahre zigtausende von Bürgerinnen und Bürgern auf die Beine brachte und einen guten Teil dazu beitrug, die westdeutsche Demokratie an das Recht auf Demonstrationen zu gewöhnen, - nicht ohne hinhaltende Abwehr des Staatsapparats und der Vorstände der "Volksparteien".
 

Mit den Ostermärschen brach sich in der Altbundesrepublik ein Politikverständnis Bahn, das aus den Fronten des Kalten Krieges ausscherte und dem drohenden Heißen Krieg Verweigerung ansagte: "Ihr sogenannten Herrn, ich sage Euch ganz offen, die Wahl ist schon getroffen: Ich werde desertiem!" Das war eine Zeile des Liedes "Der Deserteur" von Boris Vian, von Gerd Semmer ins Deutsche übersetzt.

Semmer war bis zu seinem Tode 1967 einer der wenigen Literaten in der Bundesrepublik, die sich unmittelbar auf die außerparlamentarische Opposition einließen. Das bedeutete damals noch den Verzicht auf publizistischen Erfolg. Immerhin gelang es ihm, die Lieder der französischen Revolution in einer Übersetzung in Deutschland bekannt zu machen ("Ca Ira"), und mit dem Musiker und Sänger Dieter Süverkrüp machte er den Anfang der Schallplattenproduktion im Verlag Pläne, der die Ostermarschlieder verbreitete. Damit entstanden in dieser Zeit immer mehr sogenannte Skifflegroups und Folkloregruppen von Laien, die in oppositionellen Veranstaltungen auftraten und den Ostermärschen ihr politisch-kulturelles Flair gaben. So war Gerd Semmer auch Anreger und Mitgestalter der Folksong-Festivals, die in den sechziger Jahren jährlich auf der Burg Waldeck stattfanden.

Das Buch "Wir wollen dazu was sagen" ist für die Friedensveteranen Andenken und Erinnerung und kann (auch junge Antimilitaristen) Impulse geben und Mut machen für stets erneutes Engagement für Frieden, Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenrechte.

Gerd Semmer: Wir wollen dazu was sagen. Texte für eine andere Republik 1949 - 1967; herausgegeben von Udo Achten mit einem Vorwort von Arno Klönne. ISBN 3-921541-90-5, 230 Seiten, 19,80 DM. ASSO Verlag, Martin-Heix-Platz 3, 46045 Oberhausen.

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