Nachgedachtes zur Tagung in der Evangelischen Akademie in Mülheim/Ruhr

Ziviler Friedensdienst

von Kurt Südmersen

Voraussetzungen: Mit kräftigen Linien hatte Andreas Buro·seine politische Analyse an den Anfang der Tagung gestellt. Unter vier Überschriften machte er deutlich, in welchen Kontext sich die Diskussion um den Zivilen Friedensdienst stellen muß.

 

  1. Europa:

Während die westeuropäische Wohlstandsgesellschaft sich unter Führung der BRD anschickt, die militärische Absicherung ihrer Festung zu perfektionieren, gerät Ost-Europa mit zunehmender Geschwindigkeit in einen Macht- und Verteilungskampf, in dem Konfliktparteien immer häufiger militärische Gewalt als Mittel wählen, um Entscheidungen zu beschleunigen.

  1. Militär:

Es gibt niemand, der ernsthaft behaupten könnte; wir müßten uns zur Zeit militärisch verteidigen. Dieser Legitimationsverlust wird durch eine Ausweitung des Sicherheitsbegriffs und die Suggestion, der Militärapparat könne all diese Probleme lösen, aufzufangen versucht. Daß diese Omnipotenzphantasien vieler Militärs und Militärpolitiker völliger Quatsch ist, wird bei einem rationalen Austausch von Argumenten schnell deutlich. Man kann nun mal mit einem Düsenjäger das Ozonloch nicht stopfen, sondern nur vergrößern.

Militärintervention zur Durchsetzung humanitärer Interessen wird in dieser Diskussion zum neuen Generalargument; und auch hier zeigt sich bei näherem Hinsehen rasch, daß Militärs weder die beste Motivation noch die ausreichende Ausbildung, noch die richtigen AuftraggeberInnen und Strukturen haben, um tatsächlich effektive humanitäre Hilfe zu leisten oder auch nur durchzusetzen. In diesem Zusammenhang sei ein hoher Bundeswehrsoldat in Somalia zitiert, der meinte, die Sachlage beim Ausladen von Lebensmitteln mit dem Hinweis "Wir sind nicht die Schauerleute der Nation" klarstellen zu müssen. Nicht zuletzt wird die Rede vom Militär·als letztem Mittel, die oft wie eine Heilslehre daher gebetet wird, zur Dauerlegitimation für Rüstungsausgaben. Wenn die Friedensbewegung dieses akzeptiert, gibt es keine vernünftige Begründung mehr gegen die Umrüstung der Bundeswehr zur weltweit agieren den Militärmaschine.

  1. Ist die UNO nicht schon die Alternative?

Der Weltsicherheitsrat baut die UNO zur Weltpolizei um. Die Mitglieder des Rates und ihre engen Verbündeten sind aber nicht eo ipso die Guten, sondern ein Teil des Problems. Aufgrund der Machtverhältnisse im Weltsicherheitsrat ist eine Intervention der UNO nur in kleinen Staaten denkbar; damit wird sie zum·Herrschaftsinstrument der Metropolen.

  1. Welche Alternativen lassen sich vorstellen?

Die Voraussetzung für die Entwicklung vielfältiger Strategien zur zivilen Konfliktaustragung ist das Nicht-Akzeptieren der Eskalationsleiter mit Krieg als letztem Mittel. Hier ist die Zielsetzung eine grundsätzlich andere als bei deeskalierenden Maßnahmen und gewaltmindernden Mitteln. Krieg als letztes Mittel setzt immer ein Sieg-Niederlage-Denken voraus, während die Philosophie der Gewaltfreiheit eher mit einem Win-Win-Spiel zu vergleichen- ist.

Der Zivile Friedensdienst ist ein Konzept, das von verschiedenen Seiten wächst. Angestoßen von der Landeskirche in Berlin-Brandenburg, die inzwischen eine ständige Arbeitsgruppe hierzu eingerichtet hat, wird die Idee von verschiedenen Landeskirchen aufgegriffen und weiterentwickelt. Die Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands hat einen Beschluß gefaßt, in dem es heißt: "Die Synode bittet den Rat. eine Arbeitsgruppe zu bilden und sie damit zu beauftragen, in einem gründlichen Beratungsprozeß mit den Beteiligten ein Gesamtkonzept zu entwickeln, zur Zukunft von christlichen Friedensdiensten, zur Gestaltung eines Zivilen Friedensdienstes und zu seiner Realisierung". Die EKD richtete hierzu eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Oberkirchenrat Martin Schindehütte ein.

In der Konkretion von einzelnen Aspekten des Zivilen Friedensdienstes ist wohl die Gruppe "Ökumenische Dienste im konziliaren Prozeß / Schalom Diakonat" und der Bund für Soziale Verteidigung am weitesten vorangeschritten. Die Gruppe für das "Schalem Diakonat“ bezieht ihre Motivation aus den Beschlüssen der Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Auf dieser religiös motivierten Grundlage arbeitet sie an Konzepten, um Menschen bei gewaltfreien Einsätzen in Krisen- und Kriegssituationen zu begleiten. Ein erster Ausbildungslehrgang hat in diesen Wochen begonnen. Von Reinhard Voss, einem Mitarbeiter des Schalem-Diakonats, wurde die Arbeit als Feldversuch für den Zivilen Friedensdienst bezeichnet.

Der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) arbeitet zielstrebig mit anderen westeuropäischen und internationalen Friedensorganisationen an der Aufstellung des Balkan-Peace-Teams, das Friedens-, Menschenrechts- und Oppositionsgruppen auf dem Balkan begleiten und in ihrer Arbeit unterstützen soll. In dieser Arbeit wird schmerzhaft deutlich, wie sehr uns fundiert-ausgebildete und effektiv organisierte FriedensarbeiterInnen fehlen. Die Erfahrungen, die bei der Arbeit des Balkan-Peace-Teams und in anderen Projekten & BSV gemacht werden, fließen ein in die begonnene Konzeption eines Curriculums zum Zivilen Friedensdienst, das in der Arbeitsgruppe Ziviler Friedensdienst im BSV beraten wird.

Offene Fragen:

Wie es bei der Entwicklung dieses jungen Konzeptes einer effektiven gewaltmindernden Friedensarbeit nicht anders sein kann, gibt. es unter dem wachsenden Kreis der Diskutierenden eine Reihe offener Fragen.

  • Die leidige Wehrpflicht / Dienstpflicht:

Während der BSV definitiv festgelegt hat, daß er sich einen Zivilen Friedensdienst in der Größenordnung von 100.000 aktiven Menschen nur als einen Freiwilligendienst vorstellen kann - wobei die Freiwilligen allerdings von jedweder anderen Dienstpflicht befreit sein sollte - sähe es die, Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg gern, wenn „die Wasser der Wehrpflicht auf die Mühlen des Zivilen Friedensdienstes umgeleitet würden". Dies ruft die Proteste der AGDF auf den Plan, die einen Friedensdienst nur unterstützen kann, wenn er ein Freiwilligendienst reinsten Wassers ist, also seine Wahl auch keine Befreiung von anderen Diensten zur Folge hat.

  • Wer hat das Sagen im Zivilen Friedendienst?

Weiter ungeklärt ist auch noch die richtige Antwort auf die Frage, wer denn eigentlich über Art, Umfang und Zeitpunkt eines Einsatzes bestimmen soll. Großen Zuspruch fand die Forderung von Pax Christi-Mitarbeitern, den Zivilen Friedensdienst nach dem Subsidiaritätsprinzip zu organisieren, d.h. alle Aufgaben, die kleinere Organisationen als der Staat übernehmen können, darf der Staat nicht übernehmen. Allerdings ist allen an der Diskussion Beteiligten klar, daß der Friedensdienst ein Instrument staatlicher Außenpolitik werden soll - und auf diesem Hintergrund muß über Konzepte nachgedacht werden, wie staatliche Träger und freie Organisationen zusammenarbeiten können. Dem Entwicklungsdienst wird in diesem Zusammenhang oft Modellfunktion zugesprochen.

Besonders beeindruckend an der Mülheimer Tagung war die konkrete und konstruktive Diskussion entlang der drängenden Probleme des Friedens. Die Idee des Zivilen Friedensdienstes hat an Gestalt gewonnen; es gibt konkrete Verabredungen der Weiterarbeit. Was noch fehlt, ist der Durchsetzungswille breiter Kreise der Sozialen Bewegungen, hier muß der Diskussionsprozeß beschleunigt werden und Durchsetzungsstrategien wollen ausgedacht sein.

 

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Kurt Südmersen ist Mitarbeiter des Bundes für Soziale Verteidigung (BSV)