Pressehütte Mutlangen

Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung - und der Weg zum Mutlanger Manifest

von Silvia Bopp
Pressehütte Mutlangen im Winter 1984
Pressehütte Mutlangen im Winter 1984

1983 installierte die Friedensbewegung in einer alten Scheuer Telefone für JournalistInnen, die von Blockaden gegen die Stationierung der Pershing II berichten wollten. Die Scheuer wurde Pressehütte getauft. Heinrich Böll und andere bekannte Personen saßen damals vor dem Atomwaffenlager in Mutlangen. Wie hat sich die Bewegung in Mutlangen entwickelt, und was ist heute in Mutlangen noch von der Zeit des gewaltfreien Widerstands gegen Atomraketen übrig?

Schon vor dem NATO-Doppelbeschluss gab es weltweit Proteste wegen der Ausbreitung der nuklearen Gefahr. Atomtests wie die Wasserstoffbombe auf dem Bikini-Atoll, genauso wie die Katastrophe der Kernschmelze 1979 in Harrisburg, bereiteten den Menschen zunehmend Angst und Schrecken. Der Nato-Doppelbeschluss machte die nukleare Aufrüstung und damit die Gefahr für Europa, Schauplatz eines Atomkriegs zwischen Ost und West zu werden, zum Anstoß des entschlossenen Widerstands, der sich auch in Mutlangen konsequent entwickelte. Die Tübinger Bezugsgruppe „Heiter und moralisch“, zu der auch Volker Nick gehörte, zeigte sich an mehreren Atomstandorten entschlossen, Zivilen Ungehorsam als gewaltfreies Mittel gegen den NATO- Doppelbeschluss zu praktizieren. Sie trainierten Methoden, wie sie Gewaltfreiheit aufrechterhalten konnten, auch wenn ihnen bei ihren Blockadeaktionen Gewalt entgegengebracht wurde. Des Weiteren diskutierten und initiierten sie Kampagnen, die dem Widerstand einen langen Atem und Form und Rahmen gaben. Ihre Ideen prägten die Mutlanger Proteste maßgeblich.

Auf der Mutlanger Heide waren Pershing I Raketen stationiert. 1983 mehrten sich die Protestformen gegen die geplante Aufrüstung. Fastenmarsch, Friedenscamp, lokale Gruppen und zunehmend Menschen, die aus der gesamten Bundesrepublik nach Mutlangen zogen, um dort im Friedenscamp gegen die Stationierung der neuen Mittelstreckenraketen zu protestieren. Im September 1983 kam es zur Promiblockade, an der sich 1.000 Menschen, darunter zahlreiche prominente Personen beteiligten. Spätestens seit diesem Zeitpunkt war Mutlangen durch die dort stattfindenden Proteste weit bekannt.

Die Pershing II konnte nicht verhindert werden. Am 26.11.1983 um 2 h morgens wurden die ersten Raketenteile auf die Mutlanger Heide gefahren. Eine Dauerpräsenz entstand. Die Kampagne „Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung“ mobilisierte Menschen, sich selbst zu verpflichten, einmal im Jahr bis zur Abrüstung in Mutlangen Zivilen Ungehorsam zu leisten. So kam es zwischen 1983 bis 1988 zu zahlreichen Protesten und Aktionen auf der Mutlanger Heide. Fast 3.000 Menschen wurden wegen ihres Widerstands zu Geldstrafen verurteilt. 200 davon saßen ihre Strafen in Gefängnissen ab. Erst mit dem INF-Vertrag, der die Mittelstreckenraketen der UDSSR und der USA zur kontrollierten Abrüstung brachte, änderte sich das Szenario. In den kommenden Jahren blieben Menschen wie Lotte Rodi, Wolfgang Schlupp-Hauck und Volker Nick in der Friedensarbeit Mutlangen aktiv. Die Pressehütte veränderte sich durch die Mithilfe junger Menschen in internationalen Workcamps zu einem einfachen Selbstversorgerhaus für Workshops und die Friedensarbeit.

2015 mit dem massiven Ansturm der Flüchtlinge nach Deutschland haben die FriedensaktivistInnen einen schnellen Umbau der Pressehütte eingeleitet. Sieben Menschen aus Afghanistan fanden ein friedliches Haus auf der Flucht vor Krieg und Terror. Friedensbildung, Kampagnen- und Netzwerkarbeit und Dialog mit Entscheidungsträgern stehen in Mutlangen heute auf der Tagesordnung.

Das Mutlanger Manifest
Im Dezember 2017 wurde das „Mutlanger Manifest“ von verschiedenen BürgermeisterInnen und AktivistInnen gezeichnet. Auszug aus dem Manifest:
„Der INF-Vertrag muss erhalten bleiben.
Der 30. Jahrestag der Vertragsunterzeichnung ist ein Grund zum Feiern. Aber die USA und Russland beschuldigen sich seit einiger Zeit gegenseitig, den Vertrag über das Verbot zu verletzen: Russland entwickele angeblich einen landgestützten Marschflugkörper. Die USA könnten die in Osteuropa stationierten Raketenabwehrsysteme auch offensiv nutzen. Der dem US-Kongress kürzlich vorgelegte Gesetzentwurf »INF Treaty Preservation Act« fordert eine militärische Reaktion der USA, um Russland zu einer Rückkehr zum INF-Vertrag »zu ermutigen«.Verletzungen des INF-Vertrags oder gar sein Scheitern hätten weitreichende Folgen für die Rüstungskontrolle in Europa. Würde er aufgekündigt, droht der Beginn einer neuen Aufrüstungsspirale.“
Das gesamte Mutlanger Manifest findet sich auf: www.pressehuette.de.

Besonders wichtig ist es den AktivistInnen der Pressehütte aber immer noch, den Zivilen Ungehorsam gegen Atomwaffen weiter zu leben. Jährlich kommen sie mit ihrer Aktionsform nach Büchel, um dort eine atomwaffenfreien Welt einzuklagen. Spenden sind herzlich willkommen - Mitarbeit und Bereitschaft zur Beteiligung an den Aktionen, vor allem an denen in Büchel, sind noch mehr willkommen.

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