Zukunft sichern - Kriegsdienste verweigern

von Gregor Witt

40 Jahre Grundgesetz waren für das offizielle Bonn Anlaß, die "Errungenschaf­ten" der bundesdeutschen Demokratie zu feiern. Die Realität, wie sie Ausländer und Asylsuchende, Arbeitslose oder Kranke erfahren, hatte in diesem Blitzlichter­glanz keinen Platz. Das prägte auch den Umgang mit der unbequemen Tatsache, daß bis Mai 1989 eine Million junger Männer den Artikel 4 Absatz 3 des Grund­gesetzes nutzten, um den Kriegsdienst in der Bundeswehr zu verweigern.

Die DFG-VK nahm das Zusammen­treffen des 40. Jahrestages des Grund­gesetzes und der 1 Million Kriegs­dienstverweigerer seit Bestehen dieser Republik zum Anlaß zu einem eigenen Empfang. Wie gehen Regierung und Gesetzgeber mit dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung um? Warum werden jene, die JA zum Le­ben sagen, diskriminiert und bestraft? Welche Bedeutung hat die wachsende Zahl der Kriegsdienstverweigerer für die Durchsetzung einer Friedenspoli­tik? Das sind Fragen, die aus Sicht der DFG-VK auch in der Friedensbewe­gung unzureichend diskutiert und aus deren Beantwortung kaum praktische Konsequenzen gezogen werden. Die RednerInnen auf dem Empfang waren gebeten, hierzu Diskussionsanstöße zu geben.

Renate Schmidt, stellvertretende Vor­sitzende der SPD-Bundestagsfraktion, meinte in ihrer Rede, Kriegsdienst­verweigerung sei heute notwendiger denn je. Sie kritisierte, daß der Zivil­dienst in die Kriegsführung eingeplant sei und forderte, ihre Partei müsse Konzepte entwickeln und sich dafür einsetzen, daß der "Zivildienst ein echter Friedensdienst" werde.

Die Hamburger Friedensforscherin Hanne-Margret Birckenbach stellte an Hand ihrer Forschungen fest: "Nicht nur Kriegsdienstverweigerer haben Gewissensgründe gegen den Wehr­dienst, sondern auch bei Soldaten bzw. zukünftigen Soldaten regt sich ein Ge­wissen. Nicht in dem Sinne, daß wie manche Politiker weismachen wollen, Soldaten aus Gewissensgründen sich für die Bundeswehr entscheiden, son­dern daß immer mehr Soldaten sich mit Gewissensbissen, mit schlechtem Gewissen oder wider ihr Gewissen entscheiden. Das heißt, im Prinzip ist die Zahl der potentiellen Kriegsdienstver­weigerer sehr viel größer." Hierin sieht Birckenbach einen wichtigen friedens­politischen Ansatz.

Für Prof. Dr. Ulrich Klug, ehemaliger Justizsenator in Hamburg, ist das heu­tige Grundgesetz nur die zweitbeste Verfassung, die wir je hatten. Damit kritisierte er die Verschlechterungen der Verfassung durch die Notstands­gesetzgebung sowie die im Wider­spruch zum Art. 12a GG stehende Re­gelung des um ein Drittel längeren Zi­vildienstes. Dagegen stellte er die Überlegung: "Wir sollten immer wie­der daran erinnern, daß das KDV-Recht in unserer Verfassung eine ver­fassungsrechtliche Spitzenleistung von Weltniveau ist, und daß jede Ein­schränkung dieses Rechtes eine Manipulation gerade an einem derjenigen Grundrechte ist, die unsere Verfas­sung trotz allem ein so hohes Ansehen im Weltmaßstab verschafft haben."

Deutliche Worte gegen die Angriffe aus CDU-CSU/FDP und Teilen der SPD auf die Informationskampagne von IG Metall-Jugend und DFG-VK zur Kriegsdienstverweigerung fand Christian Götz vom Vorstand der Gewerkschaft Handel, Banken und Ver­sicherungen. Den PolitikerInnen warf er vor, "die Bundeswehr als Selbst­zweck zu tabuisieren", und erinnerte an eine Äußerung des früheren Bun­despräsidenten Gustav Heinemann: "... jede Bundeswehr muß grundsätzlich bereit sein, sich um einer besseren po­litischen Lösung willen in Frage stellen zu lassen."

Seine Motive zur Verweigerung stellte der millionste Kriegsdienstverweigerer Frank Walther aus Fürth vor. Für ihn liegt die Bedrohung nicht bei "ima­ginären Feinden", sondern in Umwelt­zerstörung, Ozonlöchern, Hochrü­stung und Kernenergie. Als Jugend­vertreter und aktives Gewerkschafts­mitglied setze er sich für seine Kolle­gInnen ein, für höhere Löhne, mehr Freizeit und Arbeitszeitverkürzungen. Er verweigere, denn: "Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, Kriegsdienst zu leisten, wo ich im Eventualfall bereit sein müßte, alles das, wofür ich mich jetzt engagiere, kaputt zu machen."

Die Dokumentation des Empfangs ist mit einem Geleitwort von Inge Aicher-Scholl in der Reihe "Zivilcourage - Pa­zifistisches Forum", als Heft 2/89 er­schienen und kann für DM 4,- plus Porto bei der DFG-VK, Schwanenstr. 16, 5620 Velbert 1, Tel. 02051-4217 be­stellt werden.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen