Paramilitarisierung der Inneren Sicherheit. Die Änderung des Grundgesetzes soll den Weg zur Amtshilfe qua Militärgewalt freimachen.

Zukunftsmodell "Politär"

von Jürgen Rose

Als die Bundesregierung im Herbst 2006 ihr neues „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr" vorlegte, wurde darin nicht nur die „Transformation" der Bundeswehr von einer klassischen Abschreckungs- und Verteidigungstruppe zur postmodernen Interventions- und Angriffsarmee mit globalem Auftrag festgeschrieben. Darüber hinaus ging es der Exekutive darum, für das deutsche Militär neue Aufgabenfelder im Berekh der Inneren Sicherheit zu erschließen.

Der Schlüsselbegriff zum Verständnis dieser Entwicklung lautet: Entgrenzung - und zwar in vielfacher Hinsicht. Diese manifestiert sich nicht nur in einem geographisch, sondern auch inhaltlich „globalisierten" Sicherheitsbegriff, durch den das Verständnis von Sicherheit tautologisch ausweitet wird, wenn es im Weißbuch heißt: ,,Nicht in erster Linie militärische, sondern gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und kulturelle Bedingungen, die nur in multinationalem Zusammenwirken beeinflusst werden können, bestimmen die künftige sicherheitspolitische Entwicklung. Sicherheit kann daher weder rein national noch allein durch Streitkräfte gewährleistet werden. Erforderlich ist vielmehr ein umfassender Ansatz, der nur in vernetzten sicherheitspolitischen Strukturen sowie im Bewusstsein eines umfassenden gesamtstaatlichen und globalen Sicherheitsverständnisses zu entwickeln ist." Dementsprechend wird im Weißbuch impliziert, dass „die Verflechtungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit ... immer mehr zu [nehmen]," Zwar wird konzediert, dass die „Abwehr terroristischer und anderer asymmetrischer Bedrohungen innerhalb Deutschlands ... vorrangig eine Aufgabe der für die innere Sicherheit zuständigen Behörden von Bund und Ländern [ist]." Da jedoch „angesichts der wachsenden Bedrohung des deutschen Hoheitsgebiets durch terroristische Angriffe ... der Schutz der Bevölkerung und kritischer Infrastruktur im Inland an Bedeutung [gewinnt]", die Streitkräfte indessen hierfür ihre „spezifisch militärischen Kampfmittel" nicht einsetzen dürfen, sondern „auf die Waffen beschränkt [sind], die das einschlägige Recht für Polizeikräfte vorsieht", insistiert die Bundesregierung auf der „Notwendigkeit einer Erweiterung des verfassungsrechtlichen Rahmens für den Einsatz der Streitkräfte" im Inneren.
Ein erster Versuch diesbezüglich endete in einem Desaster, als nämlich das Bundesverfassungsgericht am 15. Februar 2006 das sogenannte Luftsicherheitsgesetz für nichtig erklärte. Dies hatte es keineswegs allein deshalb getan, weil es sich dabei um eine staatliche Lizenz zum Töten Unschuldiger handelte, die mit der Menschenwürdegarantie aus dem Grundgesetzartikel 1 - der verfassungsrechtlichen
Fundamentalnorm schlechthin! - unvereinbar ist. Zugleich hatten die Parlamentarier nämlich, als sie diesem von 1 Schäuble & Co. vorgelegten legislatorichen Machwerk zustimmten, nach Auffassung der Verfassungshüter noch weitere einschlägige Grenzlinien überschritten. Namentlich betraf dies den Artikel 35 des Grundgesetzes. Letzter bestimmt erstens, dass sich „alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe leisten". Zweitens ermöglicht es jene Norm den Landesregierungen, ,,zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall ... Streitkräfte an [zu]fordern,,. Grundsätzlich folgt hieraus für die Exekutive eine Ermächtigungsgrundlage zum Militäreinsatz im Inneren.
Der springende Punkt freilich besteht darin, dass laut Bundesverfassungsgericht die Bundeswehr hierbei „von Verfassungs wegen" keine „spezifisch militärischen Waffen" einsetzen darf. Denn sowohl nach dem Wortlaut als auch nach der Entstehungsgeschichte des Artikels 35 GG ist der Bundeswehreinsatz lediglich „zur Unterstützung" der Polizeikräfte der Länder erlaubt. Nach höchstrichterlicher Auffassung schließt somit der „Regelungszweck der bloßen Unterstützung der Länder durch den Bund einen Einsatz mit Militär typischer Bewaffnung ... auch bei der Bekämpfung überregionaler Katastrophennotstände aus". Demzufolge ist nach aktueller Verfassungslage der Bundeswehr „im Rahmen eines Hilfseinsatzes zugunsten der Länder" ausschließlich „die Wahrnehmung der dabei anfallenden Aufgaben polizeilicher Art erlaubt". Auf den Punkt gebracht:
Die Bundeswehr darf bei Einsätzen im Innern lediglich als Hilfspolizei der Länder fungieren und muss sich dabei zudem strikt an die polizeilichen Regeln halten.
Eine im Koalitionsausschuss der Bundesregierung im Oktober 2008 vereinbarte Erweiterung des Artikels 35 GG, die zwar zunächst an der SPD-Fraktion im Bundestag scheiterte, nichtsdestoweniger weiterhin auf der politischen Agenda bleibt, zielt nun darauf ab, exakt jene, von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes mit Bedacht eng gefaßte verfassungsrechtliche Beschränkung auszuhebeln. Denn dieses Vorhaben zur Grundgesetzverbiegung hat zum Ziel, zukünftig eben auch den Streitkräfteeinsatz im Inneren mit just den bislang verbotenen Militär spezifischen Mitteln bis hin zu Kampfpanzern, Kampfflugzeugen und Kampfschiffen zu ermöglichen.
Damit einhergehend sollen gleich noch zwei weitere verfassungsrechtliche Vorgaben außer Kraft gesetzt werden. Zum einen nämlich ist geplant, die Entscheidungskompetenz für derartige Einsätze von den Ländern auf den Bund zu verlagern. Und zum anderen dürfen bei „Gefahr im Verzuge" der Innen- und Verteidigungsminister anstelle der Bundesregierung den Militäreinsatz allein befehlen. Genau dies aber hatten die Verfassungsrichter ausdrücklich ausgeschlossen. Dem Fass den Boden aus schlägt freilich, dass durch einen entsprechenden Passus in der Begründung für die geplante Grundgesetzänderung der vom Bundesverfassungsgericht unmissverständlich verbotene Abschuss von entführten Zivilflugzeugen quasi durch die Hintertür doch noch legalisiert werden soll.
Neben verfassungsrechtlichen Bedenken sprechen indes auch praktische Erwägungen gegen das angekündigte Vorhaben. Unverkennbar leistet es der Ausweitung militärischer Einsatzbefugnisse und damit einhergehend der Militarisierung der Inneren Sicherheit Vorschub. Schleichend, Schritt für Schritt, droht das Militär das Zivil zu usurpieren, bis beide für Bürger und Bürgerin schlussendlich ununterscheidbar werden. Anstelle einer eigentlich dringend notwendigen Verpolizeilichung des Militärs erfolgt die fortschreitende Militarisierung der Polizei. Tendenziell verdrängt wird die bislang geltende strikt zivile Logik des Polizeieinsatzes durch die prozeduralen Bedingungen militärischer Einsatzformen. Dies muss vor allem deshalb Besorgnis erregen, weil die Anwendung polizeilicher Gewalt ausnahmslos dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegt, während das Militär gemeinhin einen eigentümlichen Hang zur exzessiven Gewalttätigkeit aufweist. Die Entfaltung der sich abzeichnenden neuartigen Organisationsform des „Politärs" birgt demzufolge das Potential einer sukzessiven, besorgniserregenden Intensivierung und Eskalation staatlicher Gewaltausübung. Ironischerweise könnte eine derartige Praxis mögliche Gewalttäter eher radikalisieren denn abschrecken. Für die res publica indessen droht eine folgenschwere Verstetigung des Notstandes- bis unter der Parole „Heimatschutz" irgendwann auch die Verhängung von Kriegsrecht im Inneren möglich und akzeptabel wird.

 

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt

Themen

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a.D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung ,Darmstädter Signal'.