Zum Beispiel Jugoslawien

von Redaktion FriedensForum
Hintergrund
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Nach dem Golfkrieg war der immer weiter eskalierende Krieg in "Jugoslawien" das vielleicht schwerwiegendste Ereignis für die Friedensbewegungen Europas. Er verfestigte das, was so viele Menschen schon nach dem Golfkrieg, den zu verhindern sie nicht in der Lage gewesen waren, fürchteten. Krieg ist nach dem Fall der Mauern zwischen Ost und West immer noch auch in Europa gegenwärtig; von Nordirland über Jugoslawien bis in die ehemalige Sowjetunion. Seine Auswirkungen gehen weit über die direkt betroffenen Regionen hinaus. Den nationalen Armeen wie den internationalen Militärstrukturen konnte allerdings nichts Besseres geschehen, haben sie doch neue Rechtfertigungen weiterzubestehen. Die Friedensbewegungen finden demgegenüber nur langsam zu neuen, adäquaten Reaktionsformen gegenüber politischen Ereignissen, in denen anderes Handeln als Massendemonstrationen erforderlich ist (vergl. die Beiträge von Andreas Buro und Gerd Greune in diesem Heft).

Aber nicht nur die sozialen Bewegungen wurden von diesen Entwicklungen schwer getroffen, auch die PolitikerInnen, die ihre Hoffnung in rasch zurechtgezimmerte übernationale "Sicherheits-strukturen" legten. Die KSZE delegierte ihre Aufgabe vorsichtshalber direkt an die Europäische Gemeinschaft; letztere gab durch ihre erfolglosen - gelegentlich dilettantischen - Vermittlungsversuche denjenigen Auftrieb, die nie viel von friedlichen Lösungen gehalten haben. Derzeit (Anfang Januar) ist noch ungewiß, ob den Bemühungen der Vereinten Nationen ein gleiches Schicksal beschieden sein wird; leider deutet einiges darauf hin (vergl. den Beitrag von Christine Schweitzer).

Wenn die PolitikerInnen versagen, ist die Stunde der BürgerInnen gekommen. Im Sommer 1991 sind in allen Teilen des ehemaligen Staates Jugoslawien zahlreiche Antikriegsgruppen entstanden. In Serbien und der Vojvodina wissen sie einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung - vielleicht sogar die Mehrheit - hinter sich, wenngleich die meisten Menschen Angst haben, sich öffentlich zu äußern und diese Mehrheit gegen den Krieg daher derzeit noch eine schweigende ist. In Osteuropa haben aber die BürgerInnen schon mehrfach bewiesen, wozu sie in der Lage sind, wenn sie diese Angst überwinden. Jenseits aller politischen Machtkalküle stellt sich daher die Frage, ob nicht allein ein Volksaufstand, der massenhafte Widerstand von Menschen gegen den Krieg, den gordischen Knoten der verschiedenen politischen und persönlichen Interessen, Vorurteile und der tatsächlichen Wunden, die in Geschichte und Gegenwart entstanden, durchschlagen kann (vergl. die Beiträge über die Antikriegsbewegung).

Es ist ein Stück weit wegen dieser Hoffnung, daß wir das vorliegende Themenheft zusammengestellt haben. Dies war keine leichte Aufgabe; die Konflikte in "Jugoslawien" sind äußerst vielfältig. Sie alle zu erfassen, hätte den Rahmen dieses Heftes gesprengt. Deshalb haben wir uns bei der Darstellung der Hintergründe auf einige wenige Beiträge (u.a. von Vlasta Jalusic, Walter Manoschek und Herbert Fröhlich) beschränkt. Ein fast noch größeres Problem ist die Ideologisierung vieler immer wieder auftauchender Begriffe. Dies fängt schon beim Wort "Jugoslawien" selber an. Für die einen ist "Jugoslawien" eine Bezeichnung für etwas, was nicht mehr existiert und sie lehnen deshalb die Verwendung des Begriffes ab. Die anderen haben dieselben Probleme bei Begriffen wie "Ex-Jugoslawien"; sie verweisen darauf, daß Jugoslawien völkerrechtlich ja weiter besteht. Ähnliches gilt für Ausdrücke wie "Krieg in Kroatien" (schließlich sind ja auch die anderen Republiken mitbetroffen), für "Krieg" versus "Bürgerkrieg", für die Heraushebung der Vojvodina als eigener Region und vieles andere. Wir haben darauf verzichtet, redaktionell in diesen ideologischen Wirrwarr einzugreifen und es den AutorInnen überlassen, ihre Begriffe ihrer Sichtweise entsprechend zu wählen. Bezüglich der zukünftigen Verfaßtheit von "Jugoslawien" hat dieses Heft daher auch keine "Linie" - im Gegenteil, unser Bemühen war, unterschiedliche Positionen zu Wort kommen zu lassen.

Unser Hauptinteresse bei der Erstellung dieses Themenheftes war, die Antikriegsbewegungen in Jugoslawien und Aktivitäten der deutschen und internationalen Friedensbewegungen vorzustellen. Wir hoffen, daß unsere LeserInnen sich dazu ermutigt fühlen, sich in diesen Konflikt einzumischen und aktiv zu werden. Denn unabhängig davon, ob der jetzt vereinbarte Waffenstillstand „hält“ oder nicht – der Weg zu Versöhnung und Selbstbestimmung der Völker und der einzelnen Menschen aller Nationalitäten ist noch weit.

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