Bemühen um Vernetzung

Zum Beratungstreffen der Friedensbewegung vom 21. Januar 1989

von Mechtild Jansen

Der Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung hatte alle überregionalen Friedenszusammenschlüsse zu einem Austausch- und Vernetzungstreffen am 21. Januar nach Bonn eingeladen. Friedensarbeit in einer neuen politischen Etappe bei gleichzeitig wachsender Vielfältigkeit in den konkreten Ansätzen der Friedensgruppen ließ diesen Wunsch nach mehr Information, Kooperation und politischer Bündelung wachsen. Gefolgt waren der Einladung ungefähr 60 VertreterInnen von den Tiefflug-Gegnerinnen, Greenpeace, Krefelder Initiative, Christlichen Demokraten für Abrüstung, Naturwissenschaftlern, Informatikerinnen; Betrieblicher Friedensinitiative, regionalen Zusammenschlüssen, Mutlangen-Komitee, Ökomenische Initiative Eine Welt, AsJ und anderen bis hin zu den KA-Organisationen selbst. Manche waren aus terminlichen Gründen verhindert wie die IPPNW, Sportler Innen und "Künstler in Aktion".

Das Treffen spiegelte die weiter enorme Handlungsbereitschaft ebenso wieder wie die tastenden Gehversuche der Friedensbewegung im politischen Neuland der Zukunft. Der Informationsaustausch offenbarte eine jüngst noch wieder wachsende große Anzahl verschiedenster Friedensaktivitäten, sehr konkreter Natur in fachspezifischen Bereich oder bei "Ein-Punkt-Themen". Besonders in ländlichen Regionen gibt es eine beeindruckende Bewegung gegen die Tiefflüge. Es gibt daneben Ansätze, politische Alternativen in Einzelbereichen zu entwickeln, - z. b. Rüstungskonversion, Forschungskonversion, Rechte für Asylanten als Teil innergesellschaftlicher Friedenspolitik, Auseinandersetzung mit den Sicherheitsgesetzen und der Demokratiefrage, Initiativen gegen neofaschistische Aktionen, Versöhnung mit der Sowjetunion z. B. durch eine deutsch-sowjetische Friedenswoche u. ä. m. Schwieriger wird es dort, wo Friedenspolitik bereits thematisch breiter angelegt ist und vorgreifend neu entwickelt und politisch zum Ausdruck gebracht werden soll. So ergab sich ein widersprüchliches Bild. Einerseits zeigen sich neue Möglichkeiten, wird das Gedankengut der Friedensbewegung breit in der Gesellschaft aufgenommen. Andererseits haben manche Friedenskoordinationen Probleme, als initiierende Akteurlnnen wahrgenommen und unterstützt zu werden. In einer neuen Etappe, in der es darum geht, politische Alternativen zur Abschreckung durchzusetzen, befindet sich die Friedensbewegung eben noch am Anfang.
Widersprüchlichkeit kennzeichnet auch die nationale und internationale politische Situation, so zeigte der zweite Teil der Diskussion. Die radikale Wende der Sowjetunion und ihre vielfältigen, auch einseitigen Schritte sind vom Westen noch nicht mit einer qualitativ neuen Politik beantwortet worden. Darum aber muß es gehen, denn die Sowjetunion kann die globalen Probleme nicht allein lösen. Bundesregierung und NATO halten bis dato an der Abschreckung fest, obwohl in konservativen Kreisen dämmert, daß auch unter dem Blickwinkel des eigenen Herrschaftsinteresses die alten Modelle kaum noch taugen. Der politische Druck auf die konservativen Kreise ist gewachsen, mit politischer Modernisierung dort muß gerechnet werden (z. B. Modell der "minimalen Abschreckung", Scholz neue Begründung der Bundeswehr zwecks "Selbstverteidigung" eines "souveränen Staates"). Gegen die Einschätzung einer "strukturellen Abrüstungsunfähigkeit der NATO" sprechen die auffallenden Widersprüche im konservativen Lager und der Bundeswehr. Angesichts wachsender gegenseitiger Abhängigkeiten und vor dem Hintergrund einer Akzeptanz- und Legitimationskrise der Außenpolitik und der Bundeswehr wie seit 1945 nicht, gibt es dabei neue Möglichkeiten der politischen Beeinflussung und Mitentscheidung durch die Friedensbewegung. Letztere kann die ökonomischen, politischen und militärischen Vereinahmungsstrategien derjenigen Kreise in der Bundesrepublik, der NATO und der USA, die an der Politik der Stärke festhalten wollen, eindämmen. Je besser und stärker eigene, an einer "Utopie des Friedens" orientierten Alternativen entwickelt sind, umso größer sind dabei die Chancen.
Den dritten Teil der Diskussion machte die Beratung der unmittelbar nächsten konkreten Aufgaben und Wünsche zur Kooperation und Vernetzung aus. Die Tiefflug-Gegnerinnen wünschen sich Unterstützung von der ganzen Friedensbewegung. Am 27. Mai veranstalten sie in Harnbach eine große Aktion. Da Tiefflüge für das Konzept der Vorneverteidigung strategisch zentral sind, stellte sich die Frage nach einer Verbindung zu Aktionen gegen die geplante neue Aufrüstung namens "Modernisierung", Viele wünschten, daß es insbesondere in dieser Frage zu gemeinsamer übergreifender Aktion der ganzen Friedensbewegung kommt (u. U. im Zusammen¬hang mit dem evangelischen Kirchen¬tag, möglichst noch vor der Sommerpause). Einig waren sich die Beteiligten in der Forderung an die Bundesregierung, endlich ein ausdrückliches Veto gegen die geplanten "Modernisierungen'' einzulegen.
In diesem Teil der Beratung gab es die größten Kontroversen. Während der Grünen-Vertreter von "schlimmer Ablenkung" sprach, weil es noch Unsicherheit hinsichtlich gemeinsamer Aktionen gab, äußerte der IG-Metall-Vertreter seine Unzufriedenheit, weil der bisherige Stand der Oberlegungen wieder einmal die politische Bündelung und umfassende Friedenspolitik zu kurz kommen ließe. Und der Naturwissenschaftler-Professor fühlte sich schon unzulässig vereinnahmt für einen Vorschlag, der ihm noch unausgegoren schien.
Als konkretes Ergebnis konnte festgehalten werden: der Wunsch vieler nach einer gemeinsamen Aktion gegen die "Modernisierung" wird in den verschiedenen Organisationen sowie untereinander weiterberaten und ausgelotet. Sie soll in jedem Fall auf der politischen Basis und Perspektive "gegen Abschreckung, für Kooperation und Versöhnung" gestaltet werden. Der Koordinierungsausschuß bringt als Ergebnis des Treffens die Forderungen der Friedensbewegung öffentlich zum Ausdruck. Der Versuch der Vernetzungsarbeit wird bei einem zweiten Treffen am 26. Februar fortgesetzt. Mein Eindruck: Das Treffen könnte ein kleiner Ansatz des Sich-Aufeinander-Einlassens, des Zuhörens, der Neugier und Toleranz und der Vernetzung gewesen sein - und ein kleiner Beitrag zur lernoffenen, suchenden Neugestaltung zukünftiger Arbeit der Friedensbewegung.
Und dennoch frage ich mich, ob viele der Organisationen in ihrer eingefahrenen, abgenutzten, oft hechelnden,
Netzwerk bloß machtpolitischen Agitations- und Politikweise den Anforderungen der Zeit gewachsen sein können und wer¬den. Das Treffen glitt ab in den Versuch des Durchpowerns von Konzepten über die Köpfe der anderen hinweg und in hierarchische Männerbündelei in den Kommunikationsstrukturen. Die Sorge, die Chance von Vernetzung könne vertan werde, war berechtigt. Bedauerlich war auch, wie sehr immer noch viele Gruppen oder Personen auf ihren für sie selbst jeweils wichtigen Punkt fixiert sind, wie sehr sie ihn verabsolutieren anstatt stärker in Zusammenhängen zu denken und zu handeln, den Stellenwert der (vielen) Einzelteile in einem Gan¬zen zu sehen. Ähnliches gilt für die Kurzatmigkeit in der Anlage politischer Konzepte und Aktionen. Gesellschaftliche Meinungs- und Handlungsmehrheiten zugunsten positiver Alternativen der "Entmilitarisierung, Kooperation und demokratischen Konfliktlösung" werden wir so nicht bekommen. Politische Erneuerung bei uns selbst tut not. Aber das Treffen war ja erst ein Anfang. Wir können lernen.

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Im Blickpunkt
Mechtild Jansen ist freie Autorin und lebt in Köln