Zur deutschen Beteiligung am UN-Einsatz im Libanon und dessen Kontext

von Clemens Ronnefeldt

Eine politische Bewertung der deutschen Beteiligung am UN-Einsatz im Libanon ist ohne Blick auf die bisherige Bilanz des Krieges und dessen Einbettung in größere Zusammenhänge kaum möglich.

Bilanz des Israel-Libanon-Krieges
Sollte der Mitte August ausgehandelte Waffenstillstand halten, sieht die vorläufige Bilanz des 34-tägigen Israel-Libanon-Krieges verheerend aus: Im Libanon wurden mehr als 1100 Menschen getötet, die allermeisten davon Zivilisten, auf israelischer Seite 41 Zivilisten und 117 Soldaten. Mehr als 3000 Menschen wurden verletzt, hunderttausende obdachlos, ca. eine Million zu Flüchtlingen.
In Israel schlugen rund 3500 Hisbollah-Raketen ein, die israelische Luftwaffe griff bei 15.500 Einsätzen mehr als 7000 Ziele an. Im Libanon werden die Sachschäden auf 2,5 bis 4 Milliarden Dollar geschätzt, in Israel auf rund 700 Millionen Dollar. Im Libanon wurden 630 Kilometer Straßennetz zerstört, ebenso 32 Tankstellen, 145 Brücken, rund 7000 Wohnhäuser, dazu viele Fabriken und Geschäfte. Nach einem Angriff auf das libanesische Kraftwerk Dschije flossen 15.000 bis 30.000 Tonnen Öl ins Mittelmeer und führten zu einer gewaltigen Umweltkatastrophe. Amnesty International bewertete mehrere israelische Einsätze als „Kriegsverbrechen". Da dem Krieg eine längere Planungsphase vorangegangen ist, stellt sich die Frage: Welchem Ziel sollte er dienen?

Der Libanon-Krieg  als Vorspiel zum geplanten Iran-Krieg
Bei der Bewertung des Israel-Libanon-Krieges stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, ob es ein israelischer Krieg mit US-Unterstützung war - oder eher ein US-Krieg zur Erreichung größerer Ziele, der in Arbeitsteilung von den israelischen Streitkräften durchgeführt wurde.
Nachdem US-Außenministerin Rice zu Beginn des Krieges dessen zügige Beendigung mit der Begründung ablehnte, es handelte sich bei den Bombardierungen um „Geburtswehen" bei der Herausbildung eines neuen Nahen und Mittleren Ostens, neige ich eher der zweiten Variante zu.
Unter Berufung auf den US-Starjournalisten Seymour Hersh schrieb die Süddeutsche Zeitung am 16.8.2006: Die US-Luftwaffe habe seit dem Frühjahr an Jerusalem Geheimdiensterkenntnisse geliefert und planerischen Beistand geleistet. Ziel sei die Zerstörung von Bunkern und Tunnelanlagen der Terrororganisation (Hisbollah, Anm. C.R.) gewesen, die angeblich von iranischen Ingenieuren mit-
entworfen wurden. Washington habe sich vom Krieg im Libanon Erkenntnisse über einen eventuellen Militärschlag gegen Teherans unterirdische Atomanlagen erhofft. ( .. .) Allerdings würden sich führende Generäle aller US-Teilstreitkräfte den bisherigen Militärplanungen für Luftangriffe auf iranische Atomanlagen massiv widersetzen. Die Offiziere fürchteten, der Abwurf von Präzisionsbomben aus der Luft werde nicht genügen und unweigerlich den Einsatz von US-Bodentruppen nach sich ziehen. Inzwischen diene Israels Erfahrung im Libanon den internen Kritikern im Pentagon sogar als warnender Beleg für ein solches Szenario".

Es gibt US-Langzeitplanungen
Die eingangs erwähnte Äußerung der US-Außenministerin lässt die Frage offen, wann die „Geburtswehen" eines neuen Nahen und Mittleren Ostens begonnen haben – und wann sie enden werden.
Wer zu nah vor einem Bild steht, wird kaum wirklich begreifen können, was er oder sie da eigentlich sieht. Wer ein paar Schritte zurücktritt, erkennt sehr viel angemessener, was dieses Bild aussagen möchte. Nach den Ereignissen des 11. September 2001, deren offizielle Lügengebäude immer noch aufrecht erhalten werden, kündigte der damalige stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz das „Beenden von Staaten“ an, die den internationalen Terrorismus unterstützen. In Afghanistan, Irak und im Libanon wurden durch die jeweiligen Kriege Zäsuren gesetzt, die tatsächlich als „Beendigung" im politischen Sinne der bis dahin Machthabenden bezeichnet werden können - zugunsten der US-Interessen in der Region.
Die durch das Irak-Desaster geschwächte US-Regierung unter Präsident George W. Bush, der wegen seines Ausscheidens aus dem Amt 2008 wenig persönliche Rücksichten bei der Beendigung seiner Nah- und Mittelost-Mission zu nehmen braucht, wird sich wohl in den nächsten beiden Jahren intensiv neuen „Zangengeburteri" in Syrien und im Iran widmen; wobei die US-Zwischenwahlen Anfang November 2006 eine erhebliche Rolle spielen werden. Zwischen Neokonservativen und Realisten wird es zu weiteren Richtungskämpfen kommen.

Zur Rolle der UN
Kofi Annan meinte zur Tatsache, dass bis zur Verabschiedung der Libanon-Resolution 1701 ein ganzer Monat verging, dass die „ Welt in ihrem Glauben an die Autorität und die Integrität der Vereinten Nationen erschüttert" sei. Kaum nachzuvollziehen ist, dass diese Resolution mit keinem Wort den israelischen Angriff auf den UN-Stützpunkt Kana verurteilt hat, bei dem am 30.7.2006 mindestens 28 Menschen getötet wurden. Kofi Annans Vorgänger Boutros Boutros Ghali kommentierte die schleppenden Zusagen für die eigentlich auf 15.000 Soldatinnen geplante neue UN-Truppe: „So viel Gleichgültigkeit bei der internationalen Gemeinschaft ist schockierend" (junge Welt, 22.8.2006).
Tobias-Pflüger hält die UN-Resolution für zweideutig: ,,Obwohl auf Grundlage von Kapitel VI der UN-Charta gehandelt werden soll, enthält die Resolution einen Kampfauftrag der südlich des Litani-Flusses stationierten Truppen. Allein dies ist ein Verstoß gegen geltendes Völkerrecht“ (http://www.imi-online.de/2006.php3 ?id=l398).
Bei der Führung der neuen Verbände scheint es zu einem Gerangel zwischen ltalien und Frankreich zu kommen, das möglicherweise mit einem gemeinsamen Kommando enden wird. Die Einsatzgrundsätze (,,Rules of Engagement") der UNIFIL-Soldaten sehen einen „defensiven" Charakter vor, die Entwaffnung der Hisbollah ist darin nicht vorgesehen.
Zur Selbstverteidigung, zum Schutz gegen einen befürchteten Angriff, um Zivilisten zu schützen und um Akteuren entgegenzutreten, die UN-Personal oder auch humanitäre Helfer bei ihren Aufgaben hindern oder einschränken, ist auch der Einsatz von Schusswaffen erlaubt. Die 1000 Soldaten für die neue UN-Libanontruppe, die Malaysia stellen möchte; werden von der israelischen Regierung abgelehnt, weil Malaysia Israel nicht anerkannt hat und daher nicht „neutral“ sein könne.

Zur Rolle der Bundeswehr
Was die eigentlich notwendige Neutralität der Bundeswehr gegenüber den Kriegsparteien im künftigen Libanon-Einsatz betrifft, braucht man sich nach den Äußerungen des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert keinen Illusionen hinzugeben. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte er: „Ich wünsche mir eine Beteiligung deutscher Soldaten. Es gibt zurzeit keine Nation, die sich Israel gegenüber freundschaftlicher verhält als Deutschland" (SZ, 17.8.2006).
Zu Beginn der Diskussion um den deutschen Einsatz im Libanon führten zahlreiche Politiker als Argument gegen eine Beteiligung an, deutsche Soldaten könnten sechs Jahrzehnte nach dem Holocaust in Gefahr geraten, auf jüdische israelische Soldaten schießen zu müssen. Die Bundesregierung hat bisher angeboten, einen starken Marineverband ins Mittelmeer zu entsenden. Damit soll sichergestellt werden, dass die Hisbollah keine weiteren Waffen über den Seeweg - insbesondere aus dem Iran – erhält.
Während die UN-Resolution 1701 die Souveränität des Staates Libanon betont, hat die Bundesregierung ihren geplanten massiven Eingriff im Libanon bisher nicht einmal mit der libanesischen Regierung besprochen - eine Anfrage aus Beirut liegt weder in Berlin noch bei den UN vor. (Nach Abschluss dieses Artikels hat sich das verändert, der Einsatz der Bundesmarine ist beschlossen, d. Red.)
Unionsfraktionschef Volker Kauder kündigte an, dass es keinen Fraktionszwang bei der CDU/CSU bezüglich des Libanoneinsatzes der Bundeswehr geben wird. Fritz Kuhn, Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen meinte, dass es kein fundamentalistisches Nein zum Einsatz geben werde. Guido Westerwelle betonte, deutsche bewaffnete Soldaten hätten im Nahen Osten nicht zu suchen. Linksfraktionschef Oskar Lafontaine kritisierte, dass die Bundeskanzlerin von einem „humanitären Einsatz" spreche, während Verteidigungsminister Franz-Josef Jung ein „robustes Mandat" zur Entwaffnung der Hisbollah gefordert hat. Für die Linksfraktion lehnte Lafontaine den Einsatz deutscher Soldaten mit einem robusten Mandat ab.
Verteidigungsminister Jung dagegen sprach sich dafür aus, deutsche Soldaten vor der Küste Libanons zu befähigen, „auch gegen den Willen eines Kapitäns an Bord eines Schiffes zu gehen, der verdächtigt werde, Waffen zu schmuggeln. Insofern könnte man dann auch von einem Kampfeinsatz der Bundeswehr sprechen“, sagte Jung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (zit. nach SZ, 28.8.2006). Inoffiziell ist von 1200 deutschen Soldaten die Rede, die die Bundesregierung in den Libanon abkommandieren möchte. Damit wird die Bundesmarine fast alleine für die Seeüberwachung zuständig sein und vermutlich auch das Kommando übernehmen. Verteidigungsminister Jung bot an, ,,eine dominante Rolle" (SZ, 28.8.2006) zu spielen.
Der SPD Vorsitzende Kurt Beck forderte im ZDF, die deutschen Soldaten nicht als ,,zahnlose Tiger" loszuschicken. SPD-Vizekanzler Franz Müntefering meinte, ,,zwar würden die genauen Regeln noch festgelegt, aber schon jetzt sei klar, dass man ein robustes Mandat brauche, um den Waffenschmuggel von der See herzu unterbinden" (SZ, 28.8.2006) was in erheblicher Spannung zu den fast gleichzeitig festgelegten „Rules of Engagement“ steht.

Fazit
Mit der versuchten - wenngleich nicht komplett gelungenen - Vernichtung des Militärpotentials der Hisbollah im Libanon und der Stationierung von demnächst rund 6000 Soldaten, vorwiegend aus Nato-Staaten, haben die US- wie die israelische Führung gute Vorbedingungen für die nun aus ihrer Sicht eigentlich wichtigen weiteren Schritte.
Nach der Zusage der Bundesregierung, Soldaten zur Sicherung der Seegrenzen in den Libanon zu entsenden, stellt sich die sehr viel weitreichendere Frage, ob diese deutschen Soldaten nicht schon jetzt als Kriegs-Alliierte an der Seite Washingtons und Jerusalems zur Vorbereitung der möglicherweise kommenden Syrien- und Iran Kriege zu bezeichnen sind.
 

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Im Blickpunkt
Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.