Zur Rolle Deutschlands als Kriegspartei auf dem Balkan

von Clemens Ronnefeldt
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Ein Kennzeichen der heutigen Zeit ist ihre Schnelllebigkeit. Genauere Analy­sen von Ereignissen lassen sich oft nur mit einem zeitlichen Abstand er­stellen - und werden dann häufig als "nicht mehr aktuell" betrachtet. Die Rückeroberung der bis August 1995 serbisch besetzten Krajina wie auch die Einnahme der beiden bosnischen Enkla­ven Srebrenica und Zepa sind es wegen der hohen Zahl an Opfern sowie nicht zuletzt auch wegen ihrer grundsätzli­chen Bedeutung für die gesamte Pazi­fismusdiskussion in Deutschland wert, noch einmal genauer betrachtet zu wer­den.

"Das erste Opfer eines Krieges ist im­mer die Wahrheit", soll Martin Luther King einmal gesagt haben. 1991 wurde die Weltöffentlichkeit vor, während und nach der "Operation desert storm" (2. Golfkrieg) durch eine bis dahin nicht gekannte Desinformationspolitik hinters Licht geführt. Vor, während und nach der "Operation storm" (Rückeroberung der Krajina) schien die Informationspo­litik der Verantwortlichen wie auch zahlreicher Medien kaum besser.

Anfang August '95 beurteilte Andreas Zumach, Journalist in Genf und einer der besten Kenner des diplomatischen Balkan-Parketts, die internationale Si­tuation folgendermaßen:

"Verlogener, irreführender und wider­sprüchlicher als in den letzten sechs Wochen waren die Erklärungen der Po­litiker und die Schlagzeilen in den Me­dien zum Bosnienkrieg kaum. Stärker als je waren sie von militärischer Spra­che und Logik geprägt - vor allem in Washington, London, Paris, Bonn und im Brüsseler Nato-Hauptquartier. Das Schicksal der geschundenen Zivilbevöl­kerung Bosniens ist für die Initiatoren der säbelrasselnden Rhetorik nur neben­sächlich. Vorrangig geht es allen Betei­ligten un die Re-Legitimierung der längst überkommenen Institution Nato und um ihren Zusammenhalt. Dazu kommen allerdings nationale und in­nenpolitische Interessen. Bill Clinton geht es um den kommenden Wahlkampf gegen den Republikaner Bob Dole und die Sicherung der US-Dominanz in der Nato; Jacques Chirac um die Untermi­nierung dieser Dominanz und um die Behauptung einer neuen Führungsrolle Frankreichs; Volker Rühe, Klaus Kinkel und ihrem Ghostwriter, dem Generalin­spekteur der Bundeswehr, Klaus Nau­mann, dagegen um die lang ersehnte Rückkehr Deutschlands in den Kreis der `normalen' Staaten, besonders auch auf militärischem Gebiet, und folglich um die Vorbereitung der deutschen Öffent­lichkeit auf künftige `Kriegseinsätze der Bundeswehr', bei denen es um `deutsche Interessen' gehe. John Major und der britische Verteidigungsminister Mal­colm Rifkind schließlich orientieren ihre `realpolitische' Balkanpolitik vorrangig an dem Ziel, Serbien einigermaßen sta­bil zu halten - als Gegengewicht zum in London gefürchteten Einfluss Deutsch­lands in der Region. Und Russland? Ohne Moskau kann überhaupt nichts laufen"(1).

Nach allem, was in den letzten Wochen und Monaten bekannt geworden ist, be­ruhte die Eroberung der ostbosnischen Enklaven Srebrenica und Zepa sowie die Rückeroberung der Krajina vermut­lich auf einem "Kuhhandel" zwischen Milosevic und Tudjman. Der eigentliche Skandal besteht allerdings darin, daß vor allem Klaus Kinkel, der "Verständnis für die kroatische Reaktion äußerte" (taz, 5./6.8.95) sowie Bill Clinton, der demonstrativ auf eine Ver­urteilung der kroatischen Offensive ver­zichtete, dieses "Abkommen" mehr oder weniger mitgetragen haben. Ethnische Vertreibungen, Greuel wie die Mas­senerschießung von Zivilisten, Plünde­rungen und Zerstörungen der jeweiligen Häuser für zehntausende Menschen aus Bosnien und rund 160 000 Angehörige serbischer Nationalität in ihren UN-ge­schützten Zonen wurden verbal billi­gend in Kauf genommen, tatsächlich durch den Abzug der Blauhelme aus den ostbosnischen Enklaven sowie die ak­tive Teilnahme auf Seiten Kroatiens so­gar unterstützt. "Kampflos hatten sich die 450 schlechtbewaffneten niederlän­dischen UN-Soldaten ("Dutchblatt") am 11. Juli in Srebrenica den bosnischen Serben unter General Ratko Mladic er­geben. Ihr Kommandant Ton Karremans hatte danach Mladic selbst noch zu des­sen strategischen Fähigkeiten gratuliert" (FR, 31.10.95). "Die britische Tages­zeitung `The Independent' und die Ber­liner tageszeitung berichteten am Mon­tag, Unprofor-Kommandeur Bernard Janvier habe bereits am 24. Mai auf ei­nem hochrangigen UN-Treffen in New York hinter verschlossenen Türen unmissverständlich für die Aufgabe Sre­brenicas plädiert. Laut tageszeitung war der UN-General höchstwahrscheinlich über die serbischen Angriffspläne in­formiert, da neben deutschen und US-Geheimdiensten auch der französische Geheimdienst serbische Telefonate und Funksprüche abgehört habe" (FR 31.10.95).

Selbst wenn vermutlich 100 000 Pazifi­stInnen mit Joschka Fischer und dem geschäftsführenden Vorstand von Pax Christi an der Spitze der Rednerliste im Mai oder Juni 1995 auf der Bonner Hofgartenwiese für einen militärischen Schutz der Enklaven demonstriert hätten - vermutlich hätte dies wenig konkrete Auswirkungen gehabt. Es gab rückblic­kend zu keiner Zeit von UNO, Nato oder WEU eine konkrete Absicht zum Schutz der beiden Enklaven, deren poli­tische Lösung die Verhandlungen in Dayton sicherlich noch langwieriger und komplizierter gemacht hätte. Die Frage, die sich heute stellt, ist, ob in Zu­kunft andere politische Instrumente, die weniger von Eigeninteressen bestimmt und tatsächlich an der Vermeidung von Opfern interessiert sind, ähnliches ver­hindern können.

Bei der Rückeroberung der Krajina spielten verschiedene Nato-Staaten eine sehr viel aktivere Rolle, als lange Zeit angenommen wurde.

Am 4. August, zu Beginn der Offensive, "um 17.00 Uhr schalteten zwei Nato-Flugzeuge die für das Raketenleitsystem ebenfalls wichtige Radaranlage bei dem Militärflugplatz Ubdina in der Krajina aus. Schon vor der Offensive waren letzte Woche in Zagreb Spekulationen aufgetaucht, wonach Flugzeuge der USA diese Aufgabe übernehmen wür­den" (taz, 7.8.95). Die Clinton-Admini­stration unterstützte die Säuberungs­aktion in der Krajina auch durch "die Entsendung von Militärberatern und die Lieferung von Waffen" (taz, 7.8.95).

Auf deutscher Seite spielte der ehema­lige Postminister Schwarz-Schilling eine äußerst wichtige Rolle. "Als die beiden Staatschefs (Alija Izetbegovic und Franjo Tudjman) Ende Juli in Split das gemeinsame Vorgehen zum Entsatz von Bihac verabredeten, saß Schwarz-Schil­ling als soufflierender Pusher mit am Verhandlungstisch. `Ich bin sehr stolz darauf, daß ich das ein bisschen beein­flussen konnte', zeichnet er mit kräfti­gem Strich am eigenen Bild" (SPIEGEL, 28.8.95) .

Während in der breiteren Öffentlichkeit im Sommer 1995 immer wieder die deutschen Sanitäter sowie die Rolle der Tornados zum Schutz der Schnellen Eingreiftruppe herausgestellt wurden, ging der Chefredakteur der Fachzeit­schrift "Flieger-Revue", deren Nummer 8 bereits Anfang August in den Zeit­schriftenregalen lag, etwas mehr in De­tail: "ECR-Tornados gibt es nur bei der Deutschen Luftwaffe, und sie sollen im Einsatzfall sehr spezielle Aufgaben übernehmen. (...) Ziel der Tornados ist die gegnerische Luftabwehr, das heißt hier, die der bosnischen Serben, oder noch genauer gesagt, deren Radarstel­lungen. Sie können diese Stellungen orten und mit ihren Harm-Raketen in begrenztem Umfang auch bekämpfen. Demgegenüber sind die anderen ver­legten Tornados für die optische Aufklä­rung aus großen Höhen und Entfernun­gen spezialisiert" (2).

Die ersten Kampfeinsätze der Bundes­wehr waren der vorläufige Höhepunkt einer bereits längeren Vorgeschichte der Zusammenarbeit Bonn-Zagreb.

"In Rom gab es 1981 bereits ernsthafte Konsultationen zwischen Deutschland, Österreich und Italien über die Frage, wer welche Aufgaben beim Zerfall des Tito-Staates nach dem Tode des Mar­schalls am 5. Mai 1980 übernehmen sollte. Selbst auf der politischen Bühne Deutschlands waren bald erste Versuche zu verzeichnen, einen kroatischen Na­tionalstaat zu fördern. Als Mate Mestro­vic, der Sohn des berühmten Bildhauers und CIA-Agenten Ivan Mestrovic, 1982 nach Bonn kam, empfing ihn der Bun­despräsident persönlich. Richard von Weizsäcker versicherte ihm, daß er die Forderung nach einem unabhängigen Kroatien unterstütze. (...) Die Hauptauf­gabe von Dörner (Anm: Der BND-Mit­arbeiter Klaus Dörner arbeitete im ehe­maligen Jugoslawien der Regierung in Bonn zu) lag jedoch darin, für den BND - und für die die CIA - Einschätzungen der politischen Lage vorzunehmen. Über den Wechsel in wichtigen politi­schen Ämtern und die Entwicklung der verschiedenen nationalistischen Strö­mungen berichtete er regelmäßig nach Pullach. In einer Analyse vermutete er, daß Unruhen und Sezessionskriege nach dem Tode Titos dazu führen würden, daß etwa 250 000 Flüchtlinge in die Bundesrepublik Deutschland drängen würden. Der BND-Bericht, der darauf­hin nach Bonn geschickt wurde, unter­schrieb Klaus Kinkel eigenhändig" (3).

Da der heutige Außenminister nur bis 1982 Chef des BND war, muß diese Studie also zwischen Mai 1980 und 1982 erstellt worden sein. Sie entlarvt die auch in Bonner politischen Kreisen immer wieder geäußerte Meinung, der Krieg im ehemaligen Jugoslawien sei überraschend gekommen und so nicht vorhersehbar gewesen, als Lüge.

Daß die bundesdeutsche Außenpolitik bis heute stärker auf die Zusammenar­beit mit den nationalistischen Kräften Kroatiens als auf gemäßigte Einflüsse ausgerichtet ist, wurde 1992 in Bonn deutlich.

Am 1. September '92 berichtete Zarko Puhovski, Philosophie- und Politikpro­fessor aus Zagreb, beim Friedensforum im Erich-Ollenhauer-Haus in Bonn: "Unter allen Botschaften in Zagreb ist die bundesrepublikanische Botschaft diejenige, die am wenigsten Kontakte mit den Oppositionen hat, aber die mei­sten Kontakte mit der (Anm.: kroati­schen) Regierung und der Regierungs­partei. (..) Die Bundesrepublik ist ein Pate der kroatischen Anerkennng und hat deswegen Autorität und kann vieles sagen und machen, was sonst nie gesagt oder getan wird" (4).

Als in Serbien sozialdemokratische Op­positionelle verhaftet wurden, war dies der deutschen Sozialdemokratie nicht mal ein Protestschreiben wert. Warum werden in Bonn oder Berlin nach wie vor keine Oppositionellen von Mitglie­dern der deutschen Regierung empfan­gen und damit aufgewertet?

"Bereits Mitte 1991 enthüllte in der Londoner `Times' ein kroatischer Präsi­dentenberater Geheimgespräche zwi­schen Tudjman und Milosevic über die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas. Am 6.1.1993 erzielten Milosevic und Tudj­man eine Geheimvereinbarung, wonach die Republik Serbien bei der bevorste­henden Krajina-Offensive kroatischer Verbände ein Eingreifen der Jugoslawi­schen Streitkräfte unterbinden würde" (5).

Warum wird die kroatische Politik in der Bundesrepublik von Regierung wie auch von vielen Medien immer noch mit Samthandschuhen behandelt - ganz im Gegensatz zur serbischen? Warum hat sich die Bundesregierung von Anfang an auf eine Seite geschlagen und sich damit jeder Chance beraubt, als Ver­mittlerin aufzutreten?

In einem Beitrag für IFIAS analysierte Andreas Zumach: "Inzwischen liegen (..) zahlreiche Informationen vor, die auf eine längerfristige Strategie hindeu­ten. Danach hat der Bundesnachrichten­dienst (BND) seit den 80ger Jahren sy­stematisch auf die Verschärfung der Konflikte zwischen Zagreb und Belgrad hingearbeitet. Zum Teil unter Nutzung von Kanälen und Personen, die bereits bei der Zusammenarbeit zwischen den Nazis und der faschistischen Ustascha eine Rolle spielten und mit denen der BND intensiven Kontakt hielt. Zudem gibt es Hinweise auf massive Waffenlie­ferungen in den 80(ger) Jahren aus deut­schen Quellen an Empfänger in Kroa­tien. Offen ist noch, ob BND-Aktivitä­ten und die Waffenlieferungen mit Wis­sen und Unterstützung der Bonner Re­gierung erfolgten. Schließlich soll Gen­scher in Telefonaten mit Präsident Tudjman (die vom US-Geheimdienst abgehört wurden) diesen bereits ab An­fang 1991 mehrfach zur Erklärung der Unabhängigkeit Kroatiens gedrängt ha­ben"(6).

Offiziell hielt Kinkels Vorgänger Gen­scher auch nach den ersten Kriegs­handlungen in Slowenien bis Juli 1991 nach außen hin am Zusammenhalt der Jugoslawischen Förderation fest. Daß er die Verletzung des KSZE-Prinzips ris­kierte, wonach Grenzen in Europa nur im gegenseitigen Einvernehmen aller Beteiligten geändert werden können, und ohne ausreichenden Schutz der ser­bischen Minderheit in Kroatien, von der inzwischen rund 70% Kroatien verlas­sen hat, auf die Anerkennung Kroatiens drängte, dürfte der folgenschwerste Fehler seiner langen Laufbahn gewesen sein. Gewöhnlich gut unterrichtete Bon­ner Kreise vermuten einen Zusammen­hang zwischen dieser sich katastrophal auswirkenden Entscheidung und dem vorzeitigen Rücktritt Genschers.

Der damalige UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar bat Genscher in einem Brief dringend, einen Alleingang zu unterlassen. "Wir wissen, daß Genscher nicht gewartet, sondern ein ziemlich ar­rogantes Antwortschreiben verfasst hat. Ich glaube, wenn dieser Briefwechsel veröffentlicht würde, könnte das ein guter Schritt zum Verständnis der Brisanz dieses Problems und der deut­schen Verantwortung sein. Das wäre auch ein Beweis für die wirkliche Pres­sefreiheit in Deutschland ohne Selbst­zensur", antwortete der Nestor der euro­päischen Friedens- und Konfliktfor­schung, Professor Johann Galtung in ei­nem Interview (7). Nach seiner Ansicht befindet sich Deutschland schon mitten in einem neuen Ost-West-Konflikt: "75% der serbischen Waffen stammen aus Russland. 75% der kroatischen Waf­fen stammen aus Deutschland und Österreich" (8). Auch wenn die Prozent­zahlen eher grob geschätzt sein dürften, trifft die Grundaussage Galtungs m.E. "ins Schwarze". Nach Angaben des SPIEGEL (32/1994) lieferte Deutsch­land zwischen April 1992 und April 1994 Waffen im Gesamtvolumen von 320 Millionen US-Dollar an Kroatien (von 66O Mio. insgesamt), Die GUS schafften Rüstungsexporte im Wert von 360 Mio. US-Dollar nach Serbien (von 476 Mio. insgesamt). Sogar in einer Bundestagsdrucksache (13/1477), die die Waffenexport-Ausfuhrgenehmigun­gen vom 1.1.94-31.12.94 auflistet, ist Kroatien als Empfängerland mit einem Wert von 8 123 073 DM, verteilt auf 9 Firmen, genannt - trotz offiziellem Em­bargo!.

Der deutsche Botschafter in Belgrad, der bereits frühzeitig und lange vor den ersten Kampfhandlungen auf die dro­hende Kriegsgefahr hinwies, soll im Bonner Außenministerium mit seinen Warnungen auf taube Ohren gestoßen sein; später wurde er versetzt.

Harte Kritik am BND äußerte auch der Friedensforscher Erich Schmidt-Een­boom unter Berufung auf das Bulletin of the Economic Scientist von 1994: "... der Bundesnachrichtendienst hat, was Kroatien betrifft, den größten Anteil an der Aushöhlung der Embargo-Be­schlüsse der UN"(9). Während in "offiziellen Stellungnahmen der deut­schen Regierung serbische Vorwürfe, man statte Slowenen und Kroaten mit deutschen Waffen aus, als Hirngespinste abgetan werden, erklärte ein deutscher Waffenhändler, der für den BND bereits illegale Waffengeschäfte durchgeführt hatte, daß deutsche Geheimdienstler ihn mehrfach gefragt hätten, wer in Frage käme, um Waffen an Slowenien und Kroatien zu liefern"(10). Die Zeitschrift "Wiener" berichtete schon 1991 von sechs zypriotischen Schiffen, die mit Waffen aller Art aus NVA-Beständen jugoslawische Häfen anliefen (11).

Obwohl auch gegen Kroatien frühzeitig ein Waffenembargo verhängt wurde, er­hielt der ebenso nationalistische wie ge­schickte Politiker Tudjman aus Deutschland riesige Waffenexporte. Die in der August '95-Sendung von "Monitor" nachgewiesenen MIG-Kampfflugzeuge aus NVA-Beständen stellen dabei nur die Spitze eines Eis­berges dar.

"In einem im Dezember 1992 veröf­fentlichten `Defence and Foreign Af­feirs Strategie Policy'-Papier werden ex­emplarisch eine Reihe von Fällen aufge­führt. Deren Brisanz liegt auch darin, daß es sich um Waffenlieferungen han­delt, die in der verzeichneten Quantität und Qualität nur mit Duldung oder so­gar `offenbar zuweilen gar mit direkter Unterstützung' der deutschen Regierung erfolgt sein müssen. `10. November 1991: Ein Lastwagen aus Deutschland mit einer Vielzahl von verschiedenen Waffen erreicht über Italien Zadar. 19. Dezember 1991: Kai 17 im Hafen von Rijeka war Schauplatz der Lieferungen von 60 Panzern (...) aus Deutschland.

8./9. Januar 1992: Die kroatischen Streitkräfte erhalten drei MIG-Kampf­flugzeuge (...) aus ostdeutschem Be­stand. Anfang März 1992: Das kroati­sche Verteidigungsministerium kaufte 90 Militär-LKW aus den überzähligen Beständen in Deutschland über eine deutsche Firma, die als Weba oder Vebeg (Anm d. V.: Die Vebeg ist eine Tochter der Industrieverwaltungsgesell­schaft IVG, an der der Bund mit 55% beteiligt ist) identifiziert wurde. Die Lieferung erfolgte in drei Sendungen Ende März über Österreich und Slowe­nien. Laut Quelle erfolgte diese Trans­aktion mit dem Wissen der französi­schen und deutschen Behörden'"(12).

Mit der MBB-Panzerfaust "Armbrust" ausgestattete kroatische Soldaten sowie Bilder von moslemischen und kroati­schen Soldaten mit Heckler & Koch G3-Gewehren gehören in diesem Krieg zum Alltag. Allein bis Ende 1991(!) hatte die Zollfahndung München bereits mehr als 40 Fälle von versuchtem Schmuggel mit Kriegsgerät aufgedeckt (13).

Trotz seiner menschenrechtsverachten­den Politik, deren Folgen kaum hinter den serbischen Greueltaten nachstehen (14), wird die Regierung Tudjman wei­terhin massiv aus Deutschland und den USA unterstützt.

"Im Februar 1995 verabredeten Vertre­ter von Siemens, deutsche Regierungs­vertreter und bayrische Banken mit kroatischen Unterhändlern zahlreiche Projekte. Mitte April 1995, zu einer Zeit, als die gesamte Krajina noch ser­bisch regiert war, investiert Bayern eine 30 Millionen Mark umfassende Woh­nungsbauhilfe, was Kroatien natürlich ermutigte, seine Gebietsansprüche durchzusetzen"(15).

Der Friedensforscher Ernst-Otto Czem­piel fragte in einem SPIEGEL-Interview (28.8.95): "Gegen Restjugoslawien ha­ben wir massive Sanktionen eingesetzt. Warum tun wir nicht Ähnliches gegen­über den Kroaten, die 160 000 Serben aus der Krajina vertrieben haben, und sagen ihnen: wer ethnisch säubert, wird hinterher keine Mark Aufbauhilfe be­kommen". Auf die Frage: "Was keine diplomatische Aktion der letzten vier Jahre geschafft hat, bewirkt der Ein­marsch der Kroaten in die Krajina: bes­sere Friedenschancen. Beweist das nicht, daß es nur mit Waffengewalt geht?", antwortete Czempiel: "Ich be­zweifle, daß dadurch der Friede näher­gekommen ist. Im Moment gibt es nichts weiter als ein neues Schlachtfeld, auf dem diesmal die Kroaten gesiegt haben. Die Krajina-Serben sind aus ih­ren Stammsitzen, in denen ihre Familien seit 500 Jahren lebten, vertrieben wor­den. Sie werden das nicht einfach ge­schehen lassen. Vertreibungen wirken, wie wir aus eigener Erfahrung wissen und im nahen Osten immer wieder erle­ben, jahrzehntelang nach"(SPIEGEL, 28.8.1995).

Statt den von den Serben vertriebenen kroatischen Familien nach einer Zeit der Waffenruhe wieder in der Krajina die Möglichkeit zur Rückkehr zu geben, hat sich allen voran die deutsche und ame­rikanische Politik Seite an Seite mit Kroatien für das menschenverachtende Prinzip ethnisch reiner Gebiete ent­schieden.

Tadeusz Mazowiecki, früherer pol­nischer Ministerpräsident, der Mitte August '95 für seinen unermüdlichen Einsatz als Berichterstatter der UN für Menschenrechte im ehemaligen Jugo­slawien die Dag-Hammarskjöld-Ehren­medaille der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen erhielt, zog noch im Sommer 1995 Konsequenzen: er gab dieses Amt aus Protest gegen die Politik der UN im Balkan-Krieg zurück (FR, 16.8.95).

Anmerkungen:

(1) Andreas Zumach, Mehr Macht für eine bessere UNO, in: Publik-Forum Nr. 15, 11.8.1995, S. 6. Unter den neueren Veröf­fentlichungen zum Balkankrieg und den Motiven der verschiedenen Akteuren ist zu empfehlen: Catherine Samary, Die Zerstö­rung Jugoslawiens, Neuer ISP-Verlag, 1995.

(2) Lutz Bachmann, Tornados für den Bos­nien-Einsatz, in: Flieger-Revue 08/95, S. 22.

(3) Eich Schmidt-Eenboom, Der Schatten­krieger (Klaus Kinkel), Econ-Verlag 1995, S. 228f.

(4) Zarko Puhovski, Alle europäischen In­itiativen für die Garantie der Minderheiten­rechte in Kroatien und Bosnien waren falsch, in: Frieden und Abrüstung 4, 1992, hg. von IFIAS, Bonn.

(5) Michael Kalman, Ein europäischer Un­frieden: Politische Reisenotizen von Skopje nach Zagreb, In: Wissenschaft und Frieden 1-1993, hg. von Wissenschaft und Frieden e.V., Bonn/Berlin.

(6) Andreas Zumach, Die internationale Po­litik in Südosteuropa hat versagt, in: Frieden und Abrüstung 49-50, 1995, hg. von IFIAS, Bonn.

(7) Friedensforscher zum Balkankrieg. Ver­lierer geben keinen Frieden. Die Bedingun­gen für eine friedliche Lösung und die Ver­antwortung der Deutschen. Fragen an Johann Galtung, in: Publik-Forum, 22.9.1995.

(8) Johann Galtung, a.a.O.

(9) Thomas Klein, Ulla Frey, Wie Deutsch­land Kroatien zum Sieg verhalf. Deutsche Waffen im Einsatz im Krieg auf dem Bal­kan, Manuskript vom 9.8.1995, S. 2, erhält­lich im Büro der Kampagne "Produzieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen", Bahnhofstr. 18, 65510 Idstein. Einen sehr guten Überblick über Rüstungsexporte des BND in das ehemalige Jugoslawien bietet auch das Kapitel "Südosteuropa" in: Eich Schmidt-Eenboom, Nachrichtendienste in Nordamerika, Europa und Japan. Länder­porträts und Analysen, Weilheim 1995 (auf CD-ROM erhältlich beim Forschungsinstitut für Friedenspolitik e.V., Postfach 1251, 82352 Weilheim).

(10) Vgl. Jo Angerer, "Waffengleichheit", in: Frieden, Heft 9-10, 1991, S. 4, zit. nach: Mi­chael Kalman, Kommentierte Chronik des Jugoslawien-Konflikts, Weilheim 1992.

(11) Vgl. Jo Angerer, a.a.O., S. 4.

(12) zitiert nach Thomas Klein, Ulla Frey, a.a.O., S. 2.

(13) A.a.O., S. 4.

(14) Vgl. Daniel Rieger, Systematisch und vollständig geplündert. Berichte belegen kroatische Gewaltakte in der Kra­jina/Untersuchung gefordert, in: Frankfurter Rundschau vom 9.9.1995 und FR vom 4.10.95 "Kroatische Regierung räumt erst­mals Verbrechen an Serben ein". Die darin aufgezählten Kriegsverbrechen kroatischer Soldaten stehen in schärfstem Kontrast zur Zagreber katholischen Kirchenzeitung "Glas Koncilia" (Stimme des Konzils), die verlaut­baren ließ, weder Europa noch die übrige Welt habe jemals "eine so sauberer Krieg­führung erlebt wie die kroatische Befreiung der Krajina", womit Kroatien "das Gesicht Europas und der gesamten christlichen Welt gerettet" habe; (zit. nach Publik Forum, "Krimineller Akt oder saubere Kriegfüh­rung", 8.9.1995, S. 26).

(15) Thomas Klein, Ulla Frey, a.a.O., S. 4.

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Krisen und Kriege
Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.