Know-how gegen aktuelle militärische Entwicklungen

Zwei Konferenzen 2019

von Michael Schulze von Glaßer
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Auf den Kongressen der „Informationsstelle Militarisierung“ in Tübingen und des „Bundesausschuss Friedensratschlags“ in Kassel konnten die Teilnehmenden viel lernen – ein Bericht.

Wie werden Waffen „digitalisiert“? Welche „Kampfwertsteigerungen“ erfahren mit Unterstützung künstlicher Intelligenz Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge, Panzer und einfache Soldat*innen? Um diese Fragen drehte sich Ende November 2019 unter dem Motto „Rüstung Digital – Neue Technologien für neue Großmachtkonflikte“ der Jahreskongress der „Informationsstelle Militarisierung“. Dabei wurde den über 120 Menschen im „Schlatterhaus“ in Tübingen in sieben Vorträgen deutlich gemacht: Armeen und Rüstungsfirmen weltweit arbeiten intensiv an Waffen, die sich die Allermeisten kaum vorstellen können – und auf die die Friedensbewegung kaum vorbereitet ist. Während etwa zu „Atomwaffen“ umfassendes Wissen vorhanden ist, gibt es zu autonomen Waffensystemen oder dem Cyberwar kaum kritische Informationen und nur wenige Aktivitäten.

Dabei schreiten Rüstungsfirmen in diesen Entwicklungen ohne Rücksicht voran und spielen ihren politischen Einfluss aus: Ihr Lobbying ist sehr erfolgreich. So hat die Europäische Union in ihrem Verteidigungsfonds für den Zeitraum von 2021 bis 2027 allein 13 Milliarden Euro zur Entwicklung neuer, bahnbrechender digitaler Militärtechnologien eingeplant. Die zuständige EU-Industriekommissarin, die den Fonds verwaltet, war zuvor Chefin eines IT-Unternehmens mit engen Verbindungen zu Rüstungsindustrie. Solche Verbindungen finden sich gerade auf EU-Ebene zahlreich.

Doch auch in Deutschland wird dem militärischen Trend gefolgt: Ein Drei-Sterne-General der Bundeswehr formulierte bereits 2017 ein Thesenpapier zur radikalen Umstrukturierung des Beschaffungswesens der deutschen Armee. Darin wird gefordert, zivile Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung immerzu militärisch nutzbar zu machen. Die Aufstockung des Verteidigungshaushalts hat auch etwas mit dieser „Umrüstung“ der Bundeswehr hin zu einer digitalisierten und voll vernetzten Armee zu tun – 2017 hat die Bundeswehr in Bonn ein „Kommando Cyber- und Informationsraum“ aufgestellt, das die Kriegsführung über das Internet und andere digitale Schnittpunkte zur Aufgabe hat. Den Abschluss des zweitägigen Kongresses bildete eine Diskussions- und Fragerunde.

Kasseler Friedensratschlag
Nur eine Woche nach dem Kongress in Tübingen fand am 7. und 8. Dezember 2019 der 26. friedenspolitische Ratschlag in Kassel statt. Die Organisator*innen vom „Bundesausschuss Friedensratschlag“ konnten fast 500 Teilnehmer*innen begrüßen – die gute Resonanz hatte wohl vor allem etwas mit dem Programm zu tun: Unter den 28 Workshops und Diskussionsrunden waren sowohl welche, die aktuelle Themen wie die Verbindung von Umwelt/Klima- und Friedensbewegung, das NATO-Militärmanöver „Defender 2020“ und eine mögliche Reaktivierung der „Wehrpflicht“ behandelten, als auch „klassische“ Themen wie Atomwaffen und Rüstungsexporte. Mit der ehemaligen Ratsvorsitzenden der „Evangelischen Kirche in Deutschland“, Margot Käßmann, konnte zudem eine prominente Hauptrednerin gewonnen werden. Sie bestärkte die Anwesenden in den Räumen der Universität Kassel in ihrem Engagement: „Gerechtigkeit und Frieden sind immer miteinander verknüpft“, so Käßmann: „Zivile Mittel müssen Vorrang haben“, so ihr Appell auch an die Politik. Auch mit den Kirchen ging sie dabei ins Gericht und erinnerte an ihre legitimierende Rolle im Ersten Weltkrieg: „Gewalt und Krieg können durch keine Religion der Welt legitimiert werden“, so Käßmann, die knapp zehn Jahre lang Präsidentin der „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“ war.

Am Ende des Friedensratschlags wurden zwei Resolutionen beschlossen. Der „völkerrechtswidrige Angriff der Türkei gegen Syrien, der sich insbesondere gegen die im Grenzgebiet lebende kurdische Bevölkerung richtet“, wurde verurteilt. Es dürfe „keinerlei politische, wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung“ für die türkische Politik geben und ein vollumfängliches Waffenembargo sei zu verhängen. Die Bundeswehr müsse aus der Region abgezogen werden.

Die zweite Resolution richtet sich gegen das NATO-Militärmanöver „Defender 2020“, welches im Frühjahr in Deutschland und Europa stattfindet. Dies sei eine „brandgefährliche und zudem umweltzerstörende Kriegsübung“. Man rufe „alle Friedenskräfte dazu auf, schon bestehende Initiativen in den betroffenen Regionen tatkräftig zu unterstützen“ und auch darüber hinaus „auf möglichst sicht- und hörbare Weise phantasievoll, friedlich, und couragiert“ gegen das Militärmanöver zu protestieren.

Sowohl der Kongress in Tübingen als auch der in Kassel waren bis auf den letzten Platz besetzt. Gerade die sehr aktuellen Themen – und wohl auch die allgemeine, brisante sicherheitspolitische Weltlage – haben wohl viele Menschen angezogen. Darauf sollten sich die Veranstalter*innen aber nicht ausruhen, sondern ihre Kongresse immerzu weiterentwickeln, um – mit Blick auf die Zukunft – auch vermehrt junge Menschen einzubinden.

Die Vorträge des Kongresses der „Informationsstelle Militarisierung“ sind auf www.imi-online.de nachhörbar. Von den Vorträgen und Workshops auf dem Friedensratschlag gibt es auf www.friedensratschlag.de Zusammenfassungen.

 

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