Leserbrief

Wo ist die Friedensbewegung?

von Christine Böckmann

"Hat die Friedensbewegung Perspektive(n)?" ist der Schwerpunkt des Heftes überschrieben, der mich ziemlich nachdenklich zurücklässt. Denn die Innenpolitik scheint als Handlungsfeld für die Friedensbewegung nicht zu existieren. Rechtsextremismus, Rassismus, der wachsende Hass auf Flüchtlinge und Muslime, Hogesa, PEGIDA und Ableger, der NSU-Skandal (und v.a. der Ermittlungsskandal) ...  All das findet bei der Friedensbewegung offensichtlich nicht statt. Wo ist die Friedensbewegung bei diesen Themen?

Ich sehe kaum Friedensbewegte bei Tagungen und Vernetzungskonferenzen zu Themen wie Rechtsextremismus und Rassismus und nur sehr wenig überregionale Unterstützung für Proteste gegen Naziaufmärsche. Wo war die Friedensbewegung in den Hochzeiten von PEGIDA? Mit dem "Friedenswinter" beschäftigt?

Zusätzlich wird häufig in der Friedensbewegung, so auch jetzt an manchen Stellen in dem Heft, das Problem mit dem Gegensatz "Faschismus" versus "Antifaschismus" gleichgesetzt.

In der Auseinandersetzung mit der Kritik am "Friedenswinter" z.B. wurde der Problemkomplex oft auf die Frage reduziert, ob bestimmte Personen "AntifaschistInnen" oder "Nazis" seien. Doch diese Verkürzung nimmt nicht zur Kenntnis, dass die sog. menschenfeindlichen Einstellungen nicht nur bei Nazis / Neonazis / RechtsextremistInnen zu finden sind, sondern auch in der sog. "Mitte der Gesellschaft", also auch in unseren eigenen Reihen zu finden sind. Sie können auch z.B. problemlos mit einem Engagement gegen Atomwaffen oder für den Frieden einhergehen. Darum reicht es für eine Abgrenzung nach rechts eben nicht aus zu sagen, man habe in den eigenen Reihen keine Nazis und sei selbst antifaschistisch.

Die Friedensbewegung will neue (jüngere) Zielgruppen erreichen und neue Medien nutzen? Dann hoffe ich, dass Friedensbewegte und Gewaltfreie demnächst präsenter sein werden in den Foren und Kommentarspalten der Sozialen Netzwerke. Wenn dort die Hasstrolle, Neonazis und RassistInnen ihr Unwesen treiben und Stimmung machen, fehlen oft die gewaltfreien Gegenstimmen, die die Menschenrechte verteidigen.

Frieden ist nur zusammen mit Gerechtigkeit und der Einhaltung der Menschenrechte vorstellbar. Wenn Friedensbewegung die Missachtung der Menschenwürde in Gruppen, Netzwerken und Texten negiert, schließt sie Menschen aus, denen die Achtung der Menschenwürde wichtig ist, und sie schließt v.a. diejenigen aus, die davon betroffen sind und so abermals marginalisiert werden. Nur wer gegen Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung einschreitet (und dies auch in den eigenen Reihen), kann glaubwürdig für den Frieden streiten.

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Christine Böckmann, Magdeburg