Militarismus und Militarisierung

Neue Entwicklungen der Militarisierung

von Kai-Uwe Dosch
Hintergrund
Hintergrund

In der Diskussion um die Bedeutung der Streitkräfte für die Gesellschaft in Deutschland wird der Begriff der Militarisierung immer häufiger verwendet. Doch dieser Begriff der Militarisierung ist nicht sehr deutlich bestimmt. Es scheint also nötig, die Bedeutung von Militarisierung und von Militarismus sowie die Beziehung zwischen beiden einmal näher zu definieren und zu analysieren.

Militarismus allgemein...
Als Militär werden laut Wikipedia „die bewaffneten Verbände eines Staates oder eines Bündnisses bezeichnet, die aufgestellt werden, um die äußere Sicherheit und zum Teil auch die innere Sicherheit zu gewährleisten“. Es geht also um eine Institution, die durch ein bestimmtes Mittel (Waffen), einen bestimmten Träger (Staat bzw. Staatenbündnis) und einen bestimmten Zweck (Sicherheit) definiert wird.

Militär stellt aber auch eine Idee dar, die zum Selbstzweck werden kann. Hinter dem Begriff „Waffe“ steht der Gedanke, dass Konflikte mit Gewalt geregelt werden können. Und hinter dem Begriff „Staat“ der Gedanke, dass Kollektive durch Herrschaft geordnet werden müssen. Diese Grundsätze der Gewalt und der Herrschaft gelten nicht nur im Militär, sondern beanspruchen Geltung auch in Bereichen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Wie es eine geschichtliche Beziehung von der Realität des Kapitals zur Ideologie des Kapitalismus gibt, so gibt es sie auch von der Realität des Militärs zur Ideologie des Militarismus. Militarismus beinhaltet die Dominanz militärischer Ideen wie „Stärke vor Recht“ oder „Befehl und Gehorsam“ im politischen und sozialen Leben. Oft wird auch von Militarismus gesprochen, wenn eine Dominanz militärischer Institutionen im politischen und sozialen Leben festgestellt werden kann. Je nach politischer Ideologie wird dieser Militarismus verschieden bewertet.

...und besonders in Deutschland
Nach dem Politologen Wilfried von Bredow sah die deutsche politische Elite unter Wilhelm II. das Militär als Bürgerpflicht zur Verteidigung des Staates und als „Motor der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung“ bzw. „Schule der Nation“. Militarismus wurde damals als „förderlich für die Gesellschaft“ begrüßt. Das Militär versuchte Einfluss auf die Politik zu nehmen. Ein gutes Beispiel stellt Alfred von Tirpitz (erst Admiral, dann Staatssekretär und schließlich Reichstagsmitglied) dar, der die Hochrüstung der Marine vorantrieb. Die Politik nutzte das Militär aber auch als Mittel zu anderen Zwecken. Ein Beispiel dafür ist die Drohung mit dem Einsatz der Armee auch im Innern etwa bei Streiks. Dieser politisch-militärische Komplex wirkte darüber hinaus stark auf die Gesellschaft. Der Kriegerverein „Kyffhäuserbund“ war mit 2,9 Millionen Mitgliedern die stärkste Massenorganisation des Reiches vor dem Ersten Weltkrieg.

Das ist Geschichte. Dagegen steht heute in der Regel die Kritik des Militarismus als „schädlich für die Gesellschaft“. Als Gegenbewegung zum Militarismus hat sich der Antimilitarismus verbreitet (der sich oft mit sozialistischen Ideen verbindet). Bezeichnend dafür ist die Aussage Willy Brandts in seiner ersten Regierungserklärung: „Die Schule der Nation ist die Schule.“ Dies zeigt sich z.B. auch in der mehrheitlichen Ablehnung von Militär als Ersatz für Polizei (sei es im Inland oder Ausland) oder von Militärs in der Politik (sei es als Parlaments- oder Regierungsmitglieder).

Militarisierung durch stärkeren militärischen Apparat...
Laut Bundeszentrale für politische Bildung ist „Militarisierung ein schwer zu fassender Begriff, der viele Lesarten und Definitionen bietet. Ein eher qualitativer Ansatz versteht unter „militarisieren“ einen Staat oder eine Gesellschaft auf die Bedürfnisse des Militärwesens auszurichten [...]. Quantitativ meint „militarisieren“, einen Staat bzw. ein Gebiet mit Militär oder mit militärischen Einrichtungen auszustatten [...].“

Wenn Militarismus ein Zustand ist, dann ist Militarisierung ein Vorgang. Wenn Militarismus „viel oder zu viel Militär“ bedeutet, dann bedeutet Militarisierung „mehr Militär“. Es stellt sich aber die Frage, ob damit gemeint ist „mehr Militärapparat“ oder „mehr Militärideologie“, also mehr Militarismus, oder beides zugleich?

Das Bonn International Centre for Conversion (BICC) ist eine der führenden deutschen Friedensforschungseinrichtungen und erstellt auch einen Globalen Militarisierungsindex (GMI). Hier wird Militarisierung definiert als „die Bedeutung des Militärapparats eines Staates im Verhältnis zur Gesellschaft als Ganzes“. Der Index setzt sich aus mehreren Indikatoren zusammen:

Zuerst werden die Militärausgaben ins Verhältnis gesetzt zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und den medizinischen Ausgaben (Anteil am BIP). Dies kann der finanzielle Aspekt von Militarisierung genannt werden. Sodann wird die Zahl des militärischen Personals im Verhältnis zur Bevölkerung und zur Zahl des medizinischen Personals berechnet. Das entspricht dem personellen Aspekt von Militarisierung. Schließlich wird die Zahl der schweren Waffen im Verhältnis zur Bevölkerung ermittelt. So wird der materielle Aspekt von Militarisierung dargestellt.

Hier ist darauf hinzuweisen, dass ein Zusammenhang zwischen Personal und Material einerseits sowie Personal/Material und Finanzen andererseits besteht: Je mehr SoldatInnen dienen, desto mehr Waffen und Geld werden gebraucht. Allerdings geht aktuell die Tendenz hin zu mehr und teurer Technologie, die weniger Personal erfordert (extremes Beispiel sind Drohnen).

Laut BICC bzw. GMI ist Deutschlands Militarisierung von 1990 auf 1991 mit der Wiedervereinigung sehr schnell gestiegen (von Wert 535,19 auf 784,42 bzw. von Rang 108 auf 30), aber bis 2015 wieder langsam gesunken bzw. mehr oder weniger gleich geblieben (auf Wert 608,22 bzw. Rang 107). Diese Entwicklung scheint sich aber in den letzten Jahren wieder umzukehren, denn die Ausgaben für das Verteidigungsministerium steigen wieder deutlich von 33,0 Mrd. € (2015) über 34,3 Mrd. € (2016) und 37,0 Mrd. € (2017) auf 38,5 Mrd. € (2018).

...oder durch stärkere militaristische Ideologie
Tanja Thomas und Fabian Virchow beschreiben in ihrem Buch „Banal Militarism“ die Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen, also Militarisierung im Sinn von mehr Militarismus oder militaristischer Ideologie. Sie benennen die Repräsentation, Inszenierung und Aneignung des Militärischen in Literatur, Theater, Kino, (Computer-)Spiel, Mode sowie in der Presse und im Alltagsleben als Indikatoren. Daraus lässt sich kein simpler Index errechnen, und darum ist diese Definition auch (noch) weniger gebräuchlich. Sie ist jedoch notwendig, wie die immer größeren Kampagnen der Bundeswehr zur Werbung und Rekrutierung seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 zeigen. Sie besucht Schulen, nimmt an Jobmessen und anderen öffentlichen Veranstaltungen wie Jugendfestivals teil und nutzt alle verfügbaren Mittel, von den sozialen Medien bis zu Videospielen. Und dafür steht ihr viel Geld zur Verfügung, wie die Entwicklung der Ausgaben des Verteidigungsministeriums für Öffentlichkeitsarbeit belegen. Im Haushaltsentwurf 2019 sind im Einzelplan des Verteidigungsministeriums im Titel Öffentlichkeitsarbeit 5,0 Mio. € vorgesehen. Der entsprechende Haushaltsansatz 2018 hat 4,8 Mio. € und die Haushaltsabrechnung 2017 4,4 Mio. € betragen. Das heißt, dass die Ausgaben auch in diesem Bereich wohl deutlich ansteigen, und zwar mehr als im Durchschnitt des Verteidigungshaushalts.  

Militarismus, Militarisierung und Gesellschaft
Der materielle Aspekt von Militarismus bzw. Militarisierung ist klar und deutlich – und gefährlich genug. Doch der ideelle Aspekt ist leider verdeckter – und umso gefährlicher. Militaristische Ideologie kann sich leicht in der ganzen Gesellschaft verbreiten. Die Infektion zeigt vor allem drei Symptome:

Militärisches Denken beruht zum Ersten darauf, dass sowohl KombattantInnen als auch NonkombattantInnen in der Regel in Freunde und Feinde unterschieden werden. Der Andere muss nicht mehr als Mensch, sondern kann als Mitglied einer befreundeten oder verfeindeten Partei entsprechend verteidigt oder angegriffen werden. Militärisches Denken beruht zum Zweiten auch darauf, dass Menschen für gewisse Ziele töten oder sich töten lassen. Dieses Prinzip setzt eine bestimmte Werteordnung voraus, in der die Sicherheit eines Staates höher geschätzt wird als das Leben, die Unversehrtheit und die Würde eines Menschen. Militärisches Denken beruht zum Dritten darauf, dass wenige Menschen befehlen und viele Menschen gehorchen. Doch zum Wesen der Demokratie gehört eben die grundsätzliche Gleichberechtigung und Gleichstellung.

Dies sollte die Schädlichkeit einer Militarisierung der Gesellschaft deutlich gezeigt haben. Militarisierung muss also nicht nur quantitativ, als ein Mehr an militärischem Apparat definiert werden, sondern auch qualitativ, als ein Mehr an militaristischer Ideologie. Nur dann kann sie wirklich erkannt und bekämpft werden.

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