Frischer Wind auf dem ESF in Athen

Als vom 4. bis zum 7. Mai 2006 in Athen im ehemaligen olympischen Fecht- und Basketballzentrum das vierte Europäische Sozialforum (ESF) stattfand, zeigte sich in Deutschland das erste Mal der Frühsommer, während in Athen ein kalter Wind blies.

Dies war womöglich nicht der ausschlaggebende Grund dafür, warum die Beteiligung aus Deutschland mit 400 so gering ausfiel. Auch TeilnehmerInnen aus Frankreich, Spanien und England wurden nur spärlich gesichtet. Die insgesamt ca. 20.000 TeilnehmerInnen kamen diesmal stärker aus Ländern, die bisher eher unterrepräsentiert waren, jeweils mehr als tausend Menschen kamen aus Russland, Moldawien, Polen, Ukraine, Georgien und Weißrussland. Auch aus Bulgarien und den verschiedenen anderen Balkanländern war die Präsenz spürbar. Den inhaltlich stärksten Einfluss hatte die starke türkische Präsenz (ca. 1600), nicht nur die kurdische Problematik und die Nähe zum Irak war stärker präsent, sondern auch die besondere Situation der türkischen Kriegsdienstverweigerer rückte so mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So war trotz deutlich gesunkener Teilnahmezahlen nicht nur außerhalb der Veranstaltungsräumlichkeiten ein frischer Wind zu spüren.

Gerade im Bereich des Antimilitarismus zeigten sich auch deutliche Entwicklungen der Diskussion. In Florenz und Paris bestand noch die Gefahr eines allzu einseitigen Antiamerikanismus, und es war anfänglich mühsam zu vermitteln, dass die Europäische Union als globaler militärischer Akteur als positive Projektionsfläche völlig ungeeignet ist. Nun gehört die Opposition gegen EU-Militärpolitik zum selbstverständlichen Konsens der Versammelten - etwa auf einer Veranstaltung gegen EU- und US-Militärbasen. Im Bereich der Arbeit gegen Rassismus und für die Rechte von MigrantInnen wurde die erfolgreiche Praxis der Kooperation mit MigrantInnen weiter ausgebaut und zeigte in der Zusammensetzung der Podien, dass politische Kooperation – statt Reden über die „anderen" – äußerst gewinnbringend sein kann.

Der drohende Krieg gegen den Iran war das unbestrittene Hauptthema in den Seminaren, und auch auf der Abschlussdemonstration war „Hände weg vom Iran" das dominierende Motiv. Das Themenspektrum der 210 Seminare, 50 Workshops war bewusst breit angelegt. Es fanden Veranstaltungen zu Krieg und Frieden, Migration und Rassismus, Feminismus und verstärkt zu Sozialpolitik statt. Wobei außer bei sieben „zentralen Seminaren" der Schwerpunkt auf der Arbeit in kleineren und mittleren Veranstaltungen lag. Theoretisch klingt dies gut, ermöglicht es doch Diskussionen, faktisch führte es aber häufig zu einer Parallelität ähnlicher Veranstaltungen, in denen sich dann jeweils die Netzwerke trafen, die ohnehin miteinander kooperieren. Dass es dennoch zu einem breiten Austausch zwischen den verschiedenen Gruppierungen kam, lag wohl weniger an der teilweise chaotischen Organisation, als an dem großen Potential und den kommunikativen Fähigkeiten der Anwesenden. Die zentrale Halle mit den Ständen verschiedenster Organisation und Initiativen erwies sich als ständiger Kristallisationspunkt für spontane Vernetzungstreffen, Diskussionen und inhaltlichen Austausch. Das ESF als gigantische „Open-Space" Konferenz war jedenfalls ein voller Erfolg, und auch wenn die Aufbruchstimmung aus Florenz und Paris nicht mehr zu spüren war, so ist die Substanz des politischen Experiments ESF noch längst nicht aufgebraucht.

Wichtig ist das Sozialforum auch, um die Stoßrichtung der politischen Kämpfe sowohl regional als auch international zu koordinieren. Beim Treffen der deutschen TeilnehmerInnen und auch bei der Abschlussversammlung der sozialen Bewegungen bestand Einigkeit über die zentralen Themen. Der Kampf gegen Krieg und Besatzung speziell in Bezug auf Iran und Irak soll seine aktionsmäßigen Höhepunkt in den Protesten gegen den Bush-Besuch in Stralsund (Juli 2006) und gegen den G8 Gipfel in Heiligendamm (Juni 2007) finden. Der Kampf für die Rechte von ArbeitnehmerInnen, gegen Prekarisierung und Sozialabbau wurde als globale Herausforderung angenommen und wird ihren Ausdruck u.a. im 2. Sozialforum im Oktober 2007 in Cottbus finden. Dass nach wie vor mit einer Wiederauflage des Europäischen Verfassungsvertrages zu rechnen ist; um neoliberale Ausbeutung, Abgrenzung gegen MigrantInnen und Europäische Militärpolitik verfassungsmäßig „abzusichern", darin waren sich die Teilnehmenden genauso einig, wie in der Ablehnung dieses Projektes.

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Friedensbewegung international