Thesen zur Rüstungskonversion

von Herbert Zeretzke

Die nachfolgend auszugsweise wiedergegebenen Thesen sind von Herbert Zeretzke im Rahmen einer Bundestagsanhörung zur Rüstungskonversion, initiiert von der SPD-Fraktion, lm März 1989 erstmals öffentlich vorgetragen worden. Zeretzke kann sich auf eine fast 20jährige Erfahrungen aus seiner betrieblichen und gewerkschaftlichen Arbeit bei der Krupp-MAK, Kiel, stützen.

 

Herbert Zeretzke ist IG-Metall-Mitglied, arbeitet bei der Krupp-MAK und ist dort Betriebsratsmitglied sowie Sprecher des Arbeitskreises "Neue Produktion". Die Redaktion dankt ihm für seine Abdruck- und Kürzungserlaubnis.

  1. Rüstung und ökonomisch-politische Interessen

1.1. Zumindest für die westlich strukturierten Gesellschaften ist es historisch nachvollziehbar, daß Rüstungsprogramme von Unternehmen honoriert werden und die "Volkswirtschaft" stimulieren (vergl. Fritz Vilmar, "Rüstung und Abrüstung im Spätkapitalismus" Frankfurt 1965): In den dreißiger Jahren fiel die Wirtschaftspolitik in Deutschland (Aufrüstung) "erfolgreicher" aus als in den USA (New Deal). Als Gründe werden z.B. genannt: Herstellung von Herrschaftsinstrumenten (Waffen), Aussicht auf Eroberung, Risikoabnahme durch den Staat.

1.2. Nach dem 2. Weltkrieg bekamen die "Hegemonialmächte" die Möglichkeit, die Rüstungsdynamik zu bestimmen. Unter erstmalig hergestellten "Weltmarktbedingungen'' konnten Länder wie die Bundesrepublik und Japan mit einem relativ geringen Rüstungsanteil Weltmarktpositionen im Bereich ziviler Güter erringen. Dies verringerte für die USA die Attraktivität hauptsächlicher Träger der "Verteidigungslast" zu sein.

1.3. Die bezogen auf die Rüstungstechnologie "nachrüstende" SU kann sich auf der Grundlage ihrer weniger "entwickelten" Ökonomie bei gleichzeitigem Bestreben, das Konsumniveau des Westens zu erreichen, das Wettrüsten nicht leisten.

1.4. Der in der Bundesrepublik vorhandene Rüstungsanteil erfüllt die Funktionen

  • eigenständiges politisch-militärisches Drohpotential
  • Plan-Korrektiv der Marktwirtschaft
  • Finanzierungs- und Anwendungsbereich für "Hochtechnologie"
  1. Rüstungsproduktion und Gewerkschaften

2.1. Die alte These von den drei Bereichen der Arbeiterbewegung (Partei, Gewerkschaft, Genossenschaft) geht von einer Aufgabenteilung aus; eine Einflußnahme der Beschäftigten auf das Rüstungsgeschehen setzt aber das praktische Zusammenfügen dieser drei Elemente vor Ort voraus

  • die "politische" Erkenntnis
  • das Verteidigen und Wahrnehmen eigener "Interessen"
  • die Bereitschaft, "die Produktion" selbst zu organisieren.

2.2. In den gesellschaftlichen Umbruchperioden der zwei "Nachkriegszeiten" prägten die Umstellung der Kriegsproduktion auf "Friedensproduktion" durch Eingriffe der Beschäftigten und gewerkschaftliche Bewegung die wirtschaftlich-politische Entwicklung,

2.3. Die Prosperitätsperioden, insbesondere in den 60ern hinterließen eine gespaltene gewerkschaftliche Wirklichkeit

  • die in den programmatischen Aussagen aufbewahrten historischen Erfahrungen und
  • die in der meisten Bereicheren praktizierte Aufgabenteilung zwischen den Belangen des Managements "was wird produziert" - und der Mitentscheidung der Belegschaft/Gewerkschaft - "wie wird verteilt".

2.4. Diese gespaltene Wirklichkeit war die Grundlage für innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen beim Beginn der Krisen (Arbeitslosensockel) in den 70er Jahren.

  • Der unkritische Branchenegoismus, das heißt der Wunsch, prosperierendeEntwicklungen über erkennbare Grenzen hinauszuschieben, führte im Bereich der Rüstungsbranche dazu, daß Betriebsräte die Aufhebung von Exportbeschränkungen durchsetzen lassen wollten.
  • Diese gegen das gewerkschaftliche Interesse gerichteten Aktionen und ihre administrative Verhinderung trugen mit dazu bei, daß aus krisenhaften (bzw. unregelmäßigen Auslauf der zweiten Beschaffungswelle) Entwicklungen der Rüstungsbranche positive Lösungsansätze für gewerkschaftliches Handeln entstanden sind, d.h. vor allem durch die "Arbeitskreise Alternative Produktion".
  1. Produktionskonversion als gewerkschaftliches und Belegschafts- Handlungsfeld in den Betrieben

3.1. Das Gelingen eines Handlungsansatzes "Produktkonversion im Rüstungssektor" ist in doppelter Weise maßgebend:

  • Da diesem Handlungsansatz "besondere" ökonomischpolitische Interessen entgegenstehen, belegt sein Gelingen die grundsätzliche Machbarkeit, wodurch er umso eher übertragbar wird für Sektoren, in welchen lediglich "gewöhnliche“ ökonomisch-politische Interessen entgegenwirken.
  • Indem Produktkonversion ein allgemeines gewerkschaftliches und Belegschafts Handlungsfeld wird, entwickeln sich allgemeine Handlungsziele, die wiederum auch Maßstäbe für die Rüstungskonversion werden.

3.2. Die allgemeinen Ziele von Produktkonversion sind im wesentlichen

  • Verhinderung von Arbeitslosigkeit,
  • Vermeidung von Umweltbelastungen in der Produktion,
  • Vermeidung von Umweltbelastungen durch die Produktverwendung,
  • Befriedigung von "regionalem Bedarf“
  • Erhöhung der Produktvielfalt,
  • Einbringen von folgerichtigen "Ersatzprodukten".
  1. Konversion von Rüstungsproduktion wie und mit welchen Zielen

4.1. Die Möglichkeit von "technischer Rüstungskonversion" sind begrenzt.

  • Es ist nicht sinnvoll, die Produktion eines Überschallkampfflugzeuges in die eines zivilen Überschallflugzeuges umzuwandeln wie der heutige schnelle Flugverkehr infrage zu stellen ist.
  • Schwere Kampfpanzer könnten zu Raumfahrzeugen für Kernkraftunfälle umgerüstet werden; es ist aber sinnvoller, die Systeme der Energieumwandlung zu verändern.
  • Der Rüstungsmarkt schult die Beschäftigten kaum für Anforderungen des zivilen Bereiches, weder in Entwicklung und Marketing (''nice to have") noch in der Produktion (Tailoristische Strukturen).

4.2. Rüstungsproduktion "technisch" in zivile Produktion umzuwandeln ist also schwierig, deshalb führt der Ansatz der Rüstungskonversion i.d.R. über die Erhaltung bzw. Erweiterung der zivilen Produktion eines Betriebes

  • Der Rüstungsbereich kann "austrocknen", die Beschäftigten können in die zivilen Bereich übergehen.
  • Die "Alternativen" sind handgreiflich; sie müssen nicht aus der Rüstungsproduktion "hervorgehen".
  • Die Erweiterung der zivilen Bereiche kann auf der Grundlage der Kritik an ihnen in Richtung von "Ersatzprodukten" geschehen.

4.3. Für eine "politische Rüstungskonversion", d.h. in Verbindung mit Zielsetzungen, wegen deren Rüstung reduziert werden. könnte, ergäben sich Möglichkeiten z.B. für die Befriedigung folgender Bedarfe.

  • "Umwelttechnologien" für die Beseitigung eingetretener Schäden, besonders in lokalen Bereichen.
  • "Angepaßte Technologie" für die III. Welt und die Schuldnerländer.
  • "Osthandel" Ausweitung aufgrund der geplanten und angelaufenen Umschichtungen von Ressourcen aus dem Rüstungsbereich in den Konsumbereich in Osteuropa.

4.4. Bei diesen Beispielen einer „politischen Rüstungskonversion" stehen der Befriedigung der genannten Bedarfe unter realen Bedingungen folgende Schwierigkeiten entgegen.

  • Selbst unter der Voraussetzung der Finanzierbarkeit durch die öffentliche Hand ist die Attraktivität für "Umwelt" meist "Anlagentechnologie" für Rüstungsbetriebe nicht sehr hoch, weil sie kaum Aussicht auf "intelligente Serienprodukte" bieten.
  • Unter der Voraussetzung, daß selbst angepaßte Technologien für die III.Welt-Länder bezahlbar sind, werden sie kaum Interesse bei heutigen Herstellern von Rüstung finden, weil sie meist nicht "hochwertig" sind. - aber auch potentielle Abnehmerländer werden in der Regel sagen "weshalb willst Du mir etwas verkaufen, was Du selbst nicht verwendest",
  • Es ist aus verschiedenen Gründen noch offen, ob in Osteuropa „Weniger Kanonen zu mehr Butter" führen werden, u.a. wegen anderer bzw. nicht vorhandener Einbindungen in weltwirtschaftliche Beziehungen und einem in wesentlichen an unserer technischen Zivilisation ausgerichteten Entwicklungsmodell.
  1. In der Rüstungsproduktion gibt es eine technologisch / wirtschaftlich/ politische Verknüpfung, ebenso eine innergesellschaftliche und außenpolitisch / wirtschaftliche Verknüpfung: Konversionsansätze müssen dem Rechnung tragen.

5.1. Die technologischen Ansprüche der Alternativen zur .Rüstungsproduktion sind "hoch".

  • Sie stellen bei Vorhandensein ziviler Produkte im Rüstungsunternehmen die höherentwickelte Alternative zum zivilen Produkt dar (z.B. ist für ein Energieumwandlungsgerät für fossile Energieträger ein "Ersatzprodukt" bereitzustellen, welches erneuerbare Energiequellen umwandelt).
  • Während das zivile Produkt weiter besteht, können die ehemaligen Rüstungsbeschäftigten aufbauend auf das vorhandene "Marktsegment" eine Ersatztechnologie entwickeln. Die im Betrieb vorhandene "Sicherheit" des bestehenden Marktes ermöglicht es den Beschäftigten aus dem Rüstungsbereich etwas Neues anzufangen und gleichzeitig den Beschäftigten des zivilen Sektors zu "helfen".

5.2. Da Rüstungskonversion die Sicherung der Arbeitsplätze der Rüstungsbeschäftigten mit anderen Produkten zum Ziel hat, müssen die Produkte die wirtschaftlichen und Konkurrenzbedingungen berücksichtigen:

  • Die Problembeschreibung kann und soll aus den lokalen in Bedarfen ermittelt werden, die Problemlösungen sollen möglichst allgemein verwendbar sein; wobei ein, wenn auch zeitlich begrenzter knowhow Vorsprung legitim und notwendig ist (siehe z.B, Schema "Schiff der Zukunft aus Arbeitnehmersicht").
  • Besonders bei auch an Rüstung arbeitenden Betrieben und Konzernen ist z.Z. eine Konzentrationswelle festzustellen. "Vernunft" im Sinne von Problemlösung ist dabei nicht immer auszumachen, eher der Grundsatz "Geld kommt zu Geld". Rüstungskonversion beinhaltet betriebs und branchenüberschreitende Planung nach anderen Grundsätzen.

5.3. Die politische Diskussion um die richtigen Wege in der Wirtschaftspolitik wird vom Rüstungsbereich faktisch problematisiert.

  • Unbestreitbar ist, daß im Rüstungssektor "Planwirtschaft" praktiziert wird, auch wenn einzelne Rüstungsbetriebe partiell gegeneinander konkurrieren.
  • Offen ist die Beantwortung der Frage, in welchem Maß politischer Wille die Rüstungsindustrie steuert bzw. wie stark die "Sachzwänge" der Rüstungsindustrie staatliche Entscheidungen manipulieren.

5.4. Auch wenn "Rüstungskonversion" bereits eine Konkretisierung des politischen Zieles "Abrüstung" ist, erfordert deren Umsetzung die Entwicklung gesellschaftlicher bzw. betrieblicher Prozesse.

  • Politiker müssen konkrete Vorstellungen darüber entwickeln, was sie positiv mit Konversion erreichen wollen. Betriebliche Konversionsinitiativen müssen das in gleicher Weise tun. Übereinstimmungen bei Zielen und Wegen müssen angestrebt sein.
  • Voraussetzungen für einen Dialog mit den Unternehmensleitungen und für Umsetzungserfolge sind die politisch, rechtlich und finanzielle Unterstützung der Konversionsinitiativen.

5.5. Gemessen an den weltweiten ökologischen und sozialen Problemen nimmt die Gestaltungsfähigkeit der Politik eher ab. Die Rüstung ist ein Bereich, in dem zumindest die Präsenz der Politik unabdingbar ist. Die einzigartige Chance der Rüstungskonversion muß für die Umsetzung von Entwicklungsmodellen genutzt werden, deren prinzipielle Übernahme durch alle nicht im Widerspruch zu den Überlebensinteressen aller steht.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt

Themen