... und keiner geht hin

Ein Dorf verweigert den Kriegsdienst

von Ernst Busche

Nicht alle Serben sind Kriegstreiber, wenn die Medien uns das auch gerne einreden wollen. Werner Paczian, Auslandskorrespondent von Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen, Mitautor des Rowohlt-Taschenbuches „Raubmord am Regenwald", lernte bei seinen Besuchen im ehemaligen Jugoslawien viele Kriegsgegner und -verweigerer kennen. Einige hunderttausend KDVer - vor allem in den Großstädten - verschwinden in den Untergrund oder über die Grenzen.

Das spektakulärste Beispiel von Friedenswillen zeigt das 2000-Einwohner-Dorf Tresnjavac in der Wojwodina: Als serbische Truppen anrücken, um 200 Männer zum Kriegsdienst einzuberufen, versammelt sich die ganze Gemeinde in der Dorfschänke, einer Pizzeria mit einem Billardtisch.

Hier entsteht ein Friedenscamp und die "Freie geistige Republik Zitzer (nach dem Besitzer der Kneipe benannt), eine Republik ohne territoriale Ansprüche". Das Staatswappen dieser Republik ist folgerichtig ein Kreis für eine Pizza und drei Kreise für die Billardkugeln, die Nationalhymne der Bolero von Ravel, dessen anschwellende Tonstärke den anwachsenden Widerstand gegen die Kriegstreiberei symbolisieren soll.

Der für die Deutsche Welle aufgenommene Fernsehbericht von Werner Paczian macht die Argumente deutlich, die die Bauern zu ihrem Protest veranlassen: "Lieber hier sterben als in Sarajewo. Wenn ich hier sterbe, weiß ich, wo ich begraben werde. "Ein  anderer sagt ins Mikro; "Ich habe einen Eid geschworen auf ein Land, das gibt es jetzt aber nicht mehr!" Den Protest gegen den Krieg machen lokale Medien bekannt, er dringt bis ins Belgrader Parlament, Bauern aus Nachbargemeinden bringen Lebensmittel, aus europäischen und amerikanischen Staaten kommen Friedensgruppen.

Die 92 Panzer, die das Dorf umzingeln, schießen nicht (obwohl der Schießbefehl gegeben war) und ziehen ab. Dafür gibt es andere Repressalien: Unterbrechen von Post- und Telefonverbindungen.

Wir diskutieren, wie das Dorf am besten zu schützen ist. Die Bürger der "Freien Republik Zitzer" selbst wünschen Besuche und regelmäßige Kontakte! Das Bremer Friedensforum, die Deutsche Friedensgesellschaft wie auch der "Grüne Friedensarbeitskreis" haben schon Anträge auf die Staatsbürgerschaft' von Zitzer gestellt. Diese nimmt Lajos Balla, UL 29 Novembar 44, YU-244426 Tresnjavac/Oromhegyes, entgegen.

Werner Paczian zeigt auch die Grenzen des Modells Tresnjevac: Die Armee holt in den Dörfern, in denen kein kollektiver Widerstand entsteht, die Männer bei Nacht und Nebel mit Gewalt; das dort übliche Weglaufen ist dann nicht mehr möglich. Viele werden erschossen oder begehen Selbstmord, wie eine Frau aus der Wojwodina berichtet.

Eine andere Form des Protestes gegen den Krieg dokumentiert Werner Paczian mit seinem Film über die "Frauen in Schwarz", die in Belgrad monatelang Mahnwachen und Demonstrationen organisieren. Leider wurde dieser Film auch nur von der Deutschen Welle ausgestrahlt. Die Aktionen dieser Serbierinnen, Kroatinnen und Mosleminnen, die die zum Krieg treibenden Politiker kritisieren, werden in unseren Medien - und natürlich auch in den staatlich kontrollierten des ehemaligen Jugoslawien - meistens verschwiegen.

Die Kriegspropaganda, die auch andere Friedensgruppen, pazifistisches Denken, gewaltfreie Konfliktlösungen u.ä. unterdrückt, wirkt bis in unsere Veranstaltung hinein: eine Gruppe von bosnischen Flüchtlingen verließ unter Protest unsere Veranstaltung: "Wir wollen nicht die Leiden von (serbischen) Menschen sehen, die unsere (bosnischen) Familien umbringen." So blieb eine wichtige Frage unbeantwortet: Wie sind die Mauern des Hasses niederzureißen?

(S. dazu auch "Solidarität mit dem Friedensdorf'' (taz 22.1.94, S. 4) von Werner Paczian, der natürlich für Veranstaltungen von Friedensgruppen zur Verfügung steht: Journalistenbüro Kontur, 48155 Münster, Niederdingstr, 25,Tel. 02 51/66 53 07.)

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Rubrik

Krisen und Kriege
Dr. Ernst Busche ist aktiv im Bremer Friedensforum und Mitglied der DFG-VK