Handreichung

Protection from Afar - Schutz aus der Ferne

von Irmgard Ehrenberger
Schwerpunkt
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Schutzbegleitung ist eine Strategie, die von der Annahme ausgeht, dass internationale Begleiter*innen in einem Konfliktgebiet weniger gefährdet sind, Opfer von Gewalt zu werden, als die lokale Bevölkerung. Die Anwesenheit internationaler Begleiter*innen soll Schutz vor Mord, Folter, willkürlicher Verhaftung etc. für gefährdete Personen bieten. Mindestens zwei Voraussetzungen müssen in einem Krisen- oder Konfliktgebiet dafür gegeben sein: Erstens, dass die Anwesenheit Internationaler tatsächlich eine abschreckende Wirkung auf die meist bewaffneten Akteure (staatliche Sicherheitskräfte und/oder illegale bewaffnete Gruppen) hat, und zweitens, das die Regierung des  betroffenen Landes die Anwesenheit von Internationalen zumindest toleriert und sich bis zu einem gewissen Grad für deren Sicherheit verantwortlich fühlt. Wo dies nicht der Fall ist – wie in der Türkei - kann dennoch versucht werden, durch “Schutz aus der Ferne” ein gewisses Maß an Sicherheit und Unterstützung zu bieten.

Während des letzten Jahres führte die internationale Arbeitsgruppe “Stop the Cycle of Violence in Turkey” (1) zahlreiche Interviews und Recherchen durch, wie gefährdete Personen in der Türkei unterstützt werden können und was im Falle einer Verhaftung zu tun ist. Die Ergebnisse wurden in einer Broschüre zusammengefasst, um die umfassenden Ergebnisse möglichst breit Betroffenen zur Verfügung stellen zu können.

Gefährdete Menschen in der Türkei
Seit dem Putschversuch 2016 stehen in der Türkei willkürliche Verhaftungen auf der Tagesordnung. Ziel der Verfolgung sind in erster Linie türkische und kurdische Menschenrechtsaktivist*innen. Aber auch Menschen mit türkischen Wurzeln (auch mit nicht-türkischem Pass), die im Ausland leben, laufen Gefahr, bei einem Besuch in der Türkei festgenommen zu werden. So manche von ihnen haben mit Politik gar nichts am Hut und sind völlig überrascht von der Verfolgung durch türkische Behörden. In geringerem Maße sind auch Internationale betroffen, meist (linke) Menschenrechtsaktivist*innen oder Reporter*innen. Gemeinsam sind all diesen Fällen diffuse Anklagen wie die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation oder die Unterstützung des Terrorismus.

Die Reaktionen der Angehörigen, Freund*innen, Kolleg*innen oder Mitstreiter*innen im Ausland auf eine Verhaftung sind unterschiedlich, von Hilflosigkeit bis zu dem Bedürfnis, das Unrecht möglichst laut „in die Welt hinaus zu schreien“, um so Druck auf die türkische Regierung auszuüben. Hier setzt die Broschüre mit einem Handlungsleitfaden an, um Betroffenen die Möglichkeit zu bieten, eine klare Strategie zu entwickeln und Fehler, die dem/der Betroffenen schaden könnten, zu vermeiden.

Neben Informationen zum Rechtssystem in der Türkei, Kommunikationskanälen mit der betroffenen Person, Einbindung von Behörden, Botschaften und internationalen Regierungsorganisationen, Möglichkeiten der Beobachtung von Gerichtsverfahren und der Medienarbeit bietet die Broschüre eine Reihe von nützlichen Links und zusätzlicher Lektüre. Fallbeispiele konkretisieren die verschiedenen Vorschläge.

Besonderes Augenmerk legt die Broschüre darauf, dass ausländische Unterstützungsgruppen möglichst umfassende Informationen über die Umstände der Bedrohung oder Verhaftung, den Inhalt der Anschuldigung, rechtliche Grundlagen und den familiären und beruflichen Kontext der betroffenen Person einholen und eingehend analysieren. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass jeder Schritt im Einvernehmen mit dem/der Bedrohten und gegebenenfalls seiner/ihrer Rechtsvertretung zu tun ist – auch wenn die Kommunikation selbst meist eine Herausforderung darstellt.

Immer wieder wird in den Kapiteln auf das psychische Wohlergehen der von Verfolgung oder Verhaftung betroffenen Person und ihrer Familie hingewiesen. Eine Bedrohung oder Verhaftung ist eine extrem traumatisierende Erfahrung, umso wichtiger ist das Wissen, nicht vergessen zu sein. Im Falle einer Verhaftung fallen nicht nur Anwaltskosten und eventuell Reisekosten an, Kosten wie Miete, Strom etc. laufen weiter. Und jede Kampagne kostet auch Geld. Hier macht die Broschüre einige Vorschläge, wie die finanziellen Bürden gemeistert werden können. Und jede Unterstützungskampagne kostet viel Zeit und Kraft – je besser sie durchdacht ist, desto effektiver und erfolgversprechender im Sinne der Menschenrechte des/der Verfolgten wird sie laufen. Dazu möchte die Broschüre einen Beitrag leisten.

Anmerkung
1 Der Arbeitsgruppe gehören Vertreter*innen an vom Bund für Soziale Verteidigung, Connection e.V., Internationaler Versöhnungsbund – österreichischer Zweig und War Resisters‘ International.

How to Support People in Turkey and Visitors to Turkey in Cases of Persecution and Arbitrary Arrest, Hrsg.: Arbeitsgruppe  “Stop the Cycle of Violence in Turkey”, September 2020, 32 Seiten, Hintergrund- und Diskussionspapier des Bund für Soziale Verteidigung Nr. 69, ISSN 1439-2011, 4,00 € (plus Porto). Das Heft kann bei Connection e.V. und dem BSV bestellt warden.

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Irmgard Ehrenberger ist Co-Geschäftsführerin des Internationalen Versöhnungsbundes – österreichischer Zweig. Sie ist für die Themenbereiche Friedenskultur und Friedenspolitik zuständig. Darüber hinaus arbeitet sie in der Arbeitsgruppe „Stoppt den Kreislauf der Gewalt in der Türkei“ (der VertreterInnen von WRI, dem Bund für Soziale Verteidigung und Connection e.V. angehören) mit.