Besiedlung und Vertreibung in Palästina 2022

Europäische Bürger*inneninitiative will ein Verbot des Handels mit völkerrechtswidrigen Siedlungen

von Wiltrud Rösch-Metzler

Israel strebt die Übernahme von Land im Westjordanland an, seit es dieses Gebiet 1967 erobert hat. Israels kolonialistische Expansion in den besetzten palästinensischen Gebieten (oPt) stützt sich dabei neben Gewalt und Vertreibung der dort lebenden Bevölkerung auf völkerrechtswidrige Siedlungen und Außenposten. Der israelische Anspruch auf die palästinensischen Gebiete hat eine neue Qualität erhalten, seit Israel versucht, die vollständige Kontrolle über die C-Gebiete, ca, 60% der Landfläche, im besetzten Palästina zu bekommen. Die israelische Regierung setzt den Bau und den Ausbau von Siedlungen fort, was die Besatzung vertieft. Sie verhindert damit auch eine friedliche Lösung mit einem Staat Palästina an ihrer Seite.

Für die Entstehung eines nachhaltigen palästinensischen Staates besonders schädlich sind: der E1-Plan, der "Atarot"-Plan in Qalandiya, der "Lower Aqueduct"-Plan in Ost-Jerusalem, der Plan zur Errichtung der Siedlung Ariel West und die Erweiterung des Industriegebiets Ariel. Diese völkerrechtswidrigen Siedlungen stoppen, indem der Handel mit ihnen unmöglich gemacht wird, will eine Koalition von mehr als 100 internationalen und europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft, darunter die deutsche Sektion von pax christi. Wir haben eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gestartet, um Handel der EU mit illegalen Siedlungen in besetzten Gebieten ein für alle Mal zu beenden.

Eine Europäische Bürgerinitiative ist ein offizielles Instrument der EU zur demokratischen Beteiligung von Bürger*innen an der Gestaltung der EU-Politik. Wenn eine EBI innerhalb von zwölf Monaten eine Million Unterschriften von EU-Bürger*innen sammelt, muss die Europäische Kommission die Forderungen der Petition prüfen und sich damit auseinandersetzen.

Drei Trends beim Siedlungsbau
Derzeit sind beim israelischen Siedlungsbau drei Trends zu beobachten: Landwirtschaftliche Außenposten nehmen viel Land in Besitz, der Ausbau von Siedlungen sowie der Bau neuer Siedlungen  werden von der derzeitigen Regierung aktiv betrieben und Israel weist im besetzten palästinensischen Gebiet Land als Naturschutzgebiet aus.

In den letzten Jahren wurden im besetzten Westjordanland etwa 50 landwirtschaftliche Außenposten gegründet. Mit relativ geringem Aufwand (eine Familie und ein paar Jugendliche, die Schafe oder Kühe auf einem Hügel hüten) können die Siedler*innen enorme Landflächen in Besitz nehmen und palästinensische Bauern von eben diesem Land vertreiben. Ein Teil der zunehmenden Gewalt der Siedler*innen gegen Palästinenser*innen hängt damit zusammen. Dazu zwei Beispiele:

  • Zwei neue landwirtschaftliche Außenposten in der Region Salfit: Im November 2020 wurde eine neue Siedlerfarm auf dem Gebiet von Salfit gegründet: die Nof Avi Farm. Seit ihrer Gründung wurden ca. zehn Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichtet, darunter ein großer Schafstall mit Hunderten von Schafen. Für diesen Außenposten wurde eine Zufahrtsstraße asphaltiert und ausgebaut.
  • Anfang März errichtete eine Gruppe von israelischen Siedler*innen einen neuen „landwirtschaftlichen Außenposten“, etwa 400 Meter vom palästinensischen Dorf Battir bei Betlehem entfernt. Der „Außenposten“ befindet sich inmitten eines Gebiets, das 2014 von der UNESCO zum gefährdeten Weltkulturerbe erklärt wurde. Der Standort sowie weitere Außenposten sind Teil des Versuchs der Siedler*innen, einen Korridor israelischer Präsenz zwischen der Stadt Betlehem und den westlich davon gelegenen palästinensischen Dörfern zu schaffen. Schon vor drei Jahren hatten Siedler*innen an dieser Stelle versucht, einen Außenposten zu errichten und eine illegale Straße zum Hügel gebaut.

 

Die Ausweisung von „Staatsland“ ist Israels Methode, sich Land im Westjordanland und Ostjerusalem anzueignen. Palästinensisches Land, das über einen bestimmten Zeitraum nicht bewirtschaftet wurde, wird zu „Staatsland" erklärt. Etwa ein Sechstel des Westjordanlandes einschließlich Ostjerusalem ist „Staatsland“, auf dem die meisten Siedlungen errichtet wurden. Auf der anderen Seite verhindert Israel palästinensische Bautätigkeit und lässt palästinensische Häuser abreißen. Für die Siedler*innen ist das der „Kampf um das C-Gebiet". Die Entscheidung, ob eine Siedlung errichtet wird oder nicht, liegt in den Händen des Verteidigungsministers und der Regierung. Jeder Kauf von Grundstücken in den besetzten Gebieten bedarf der Genehmigung des Verteidigungsministers. Im Folgenden drei Beispiele zu derzeitigen Siedlungstätigkeiten:

  • Am 9.5.22 wurde bekannt, dass 4.427 neue Wohneinheiten genehmigt worden sind, darunter u.a. drei illegale Außenposten; die Verfünffachung der Siedlung Shvut Rachel südlich von Nablus mit 534 neuen Wohneinheiten; die Verdoppelung der Siedlung Dolev westlich von Ramallah mit 454 Wohneinheiten; 120 Wohneinheiten in Kiryat Arba bei Hebron; Erweiterung der Industriezone Ariel um 332 Dunam; und 1061 Wohneinheiten in Beitar Illit westlich von Betlehem.
  • Der Oberste Gerichtshof hat den Bau von 31 Wohneinheiten für Siedler in Hebron genehmigt: Er wies am 28.4. die Berufungen von Peace Now und der Stadtverwaltung von Hebron zurück und genehmigte die Errichtung einer neuen Siedlung in Hebron auf dem Gelände des alten Bahnhofs (von den Siedler*innen als "Hezekiah Quarter" bezeichnet). Dies war das letzte rechtliche Hindernis für den Bau der Siedlung. Die einzige Möglichkeit, die Siedlung zu stoppen, besteht nun in einer entschlossenen politischen Entscheidung der Regierung.
  • Neue Siedlung im Little Petra Hotel am Jaffa-Tor in Ostjerusalem: Am 26. März drang eine Gruppe bewaffneter Siedler*innen in Sicherheitsuniformen in das "The Little Petra Hotel" ein, das an das Petra Hotel in der Nähe des Jaffa-Tors angrenzt. Es handelt sich um ein strategisch wichtiges Gebäude, das zu zwei Komplexen gehört, die Siedlerinnen seit fast 20 Jahren in einem langen Rechtsstreit zu übernehmen versuchen: das New Imperial Hotel und das Petra Hotel. Bei beiden Hotels handelt es sich um große Gebäude, die Hunderte von Siedler*innen beherbergen können und am Eingang zum christlichen Viertel der Altstadt am Jaffa-Tor liegen. Diese Siedlung wird den Charakter des christlichen Viertels bis zur Unkenntlichkeit verändern. Der palästinensische Eigentümer des Grundstücks hat Eilklage gegen die Siedler*innen eingereicht. Das Gericht erlaubte aber den Siedler*innen, bis zu einer endgültigen Entscheidung auf dem Grundstück zu bleiben.

 

„Naturschutzgebiet“ bedeutet,  zusätzlich zu den rechtlichen Beschränkungen, die im C-Gebiet gelten (Planungs- und Baugesetze usw.), die Palästinenser*innen bei der Nutzung ihres Landes weiter einzuschränken. So dürfen die Eigentümer*innen von Land, das zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, ohne Genehmigung des Naturschutzgebietsbeauftragten ihr Land nicht bebauen, keine Bäume pflanzen und keine Weideflächen anlegen. Jede Ausweisung eines Naturschutzgebietes bedarf der vorherigen Zustimmung des Verteidigungsministers. Zwei Beispiele:

  • Nachal Og Nature Reserve bei Jericho: Mitte April wurden rund 22 000 Dunam (2200 Hektar) südlich von Jericho zum "Naturschutzgebiet" erklärt. Es handelt sich um das größte Naturschutzgebiet, das seit 25 Jahren ausgewiesen wurde, die so genannte "Nachal Og Nature Reserve". Etwa 6.000 Dunam davon sind privates palästinensisches Land, ein weiterer Teil ist staatlich registriertes Land, und der größte Teil ist "Staatsland".
  • Erweiterung des Nationalparks im Altstadtbecken: Im Februar nach der Veröffentlichung des Plans zur Erweiterung des Nationalparks in der Nähe der Altstadt hat die Regierung angekündigt, dass sie ihn nicht ohne Koordination und Kommunikation mit allen relevanten Beamten, einschließlich der Kirchen vorantreiben wolle.

Diese Informationen beruhen auf Recherchen der israelischen Organisationen Yesh Din, Ir Amin und peace now (1).

Was kann getan werden?

  • Setzen Sie sich für das Völkerrecht ein. Helfen Sie mit, dass die Palästinenser*innen ihr Land behalten können, Häuserabrisse gestoppt werden und intervenieren Sie in konkreten Fällen beim Auswärtigen Amt.
  • Fordern Sie von der israelischen Regierung, dass sie ihre Pflicht als Besatzerin erfüllt und die durch das humanitäre Völkerrecht geschützten palästinensischen Einwohner*innen vor Gewalt schützt.
  • Fordern Sie die Anerkennung palästinensischer Gemeinden im C-Gebiet. Sie müssen dort z.B. an Wasser und Strom angeschlossen werden. „Adoptieren“ Sie eine Gemeinde (in den südlichen Hebron-Hügeln oder im Jordantal) und konzentrieren Sie sich auf sie.
  • Erheben Sie Ihre Stimme gegen die völkerrechtswidrigen Siedlungen. Die israelische Regierung setzt den Bau und Ausbau von Siedlungen fort.
  • Unterstützen Sie keine völkerrechtswidrigen Siedlungen. Fordern Sie mit pax christi und vielen anderen NGOs „Kein Handel mit völkerrechtswidrigen Siedlungen“. Die EU lässt leider immer noch den Handel mit diesen Siedlungen zu. Eine Europäische Bürgerinitiative fordert nun ein EU-Gesetz, das den Handel mit völkerrechtswidrigen Siedlungen ein für alle Mal verbietet. (2)
  • Verzichten Sie auf Waren aus den völkerrechtswidrigen Siedlungen. „Besatzung schmeckt bitter“.

Anmerkung
1 https://peacenow.org.il/en;
https://www.ir-amim.org.il/en;
https://www.yesh-din.org/en/
2 https://stopsettlements.org/german/

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Hintergrund
Wiltrud Rösch-Metzler ist Journalistin und pax christi Bundesvorsitzende.