Ozeanien

Krieg und Friedenskonsolidierung auf Bougainville

von Volker Böge

Wenn es um Kriege und Gewaltkonflikte geht, kommt Ozeanien in der Wahrnehmung der internationalen Öffentlichkeit kaum vor. Im Vergleich zu anderen Weltregionen ist die Region in der Tat relativ friedlich. (1) Dennoch bleiben die Menschen dort nicht von Gewalt und Krieg verschont. Was in globaler Perspektive als ‘kleine’ Gewaltkonflikte erscheint, hat für die betroffenen Menschen gleichwohl schwerwiegende Folgen. Hier soll nicht im Einzelnen auf die verschiedenen Gewaltkonflikte, welche die Region im Laufe der letzten Jahrzehnte erschüttert haben, eingegangen werden. (2) Stattdessen soll exemplarisch ein solcher Konflikt vorgestellt werden – der Sezessionskrieg auf Bougainville.

Die Insel Bougainville gehört staatsrechtlich zu Papua-Neuguinea (PNG). Mit rund 9.000 Quadratkilometern ist sie etwa so groß wie Zypern. Bougainville hat gegenwärtig rund 300.000 EinwohnerInnen. Ein Jahrzehnt lang, von 1988 bis 1998, war die Insel Schauplatz eines grausamen Krieges, der rund 20.000 Menschen das Leben kostete, Städte und Dörfer zerstörte, die Wirtschaft und Infrastruktur der Insel zusammenbrechen ließ und den BewohnerInnen jegliche medizinische, schulische und andere Versorgung entzog.

Wesentlicher Auslöser des Krieges war die Panguna-Mine, eine gigantische Kupfer- und Goldmine, die im Tagebau betrieben wurde und in den 1970er/1980er Jahren die größte Mine der Welt war. Betrieben wurde sie von Bougainville Copper Limited (BCL), einer Tochter des Bergbaumultis Rio Tinto. Das dort gewonnene Kupfererz wurde zum größten Teil nach Hamburg verschifft und dort von der Kupferhütte Norddeutsche Affinerie weiter verarbeitet. Die massiven Umweltzerstörungen und die sozialen Verwerfungen, die durch den Minenbetrieb verursacht wurden, führten Ende der 80er Jahre zu Protesten der örtlichen Bevölkerung. Darauf reagierte die Zentralregierung PNGs mit dem Einsatz von Polizei und Militär. Das wiederum führte zur Bildung der Bougainville Revolutionary Army (BRA), einer Guerrillatruppe, die gegen die (massiv von Australien unterstützten) Streitkräfte PNGs und ihre lokalen Hilfstruppen (die sogenannten Resistance Forces) kämpfte. Die BRA erhob alsbald die Forderung nach Unabhängigkeit für Bougainville. Was als lokaler Protest gegen die Mine begann, eskalierte so zum längsten und blutigsten Gewaltkonflikt im Südpazifik seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Der Krieg endete mit einem Waffenstillstand im April 1998 und einem Friedensabkommen im August 2001. Seither durchläuft Bougainville einen insgesamt erfolgreichen Prozess der Friedenskonsolidierung und des Wiederaufbaus. Dieser Prozess wird getragen und kontrolliert von den Bougainvilleans selber; es gab und gibt nur relativ geringe externe Unterstützung. (3) Der Waffenstillstand hält weitestgehend, lediglich im Süden der Insel hat es noch bis vor Kurzem zeitlich und örtlich begrenzt bewaffnete Auseinandersetzungen gegeben.

Friedenskonsolidierung
Das Friedensabkommen von 2001 sah weitgehende Autonomie für Bougainville im Rahmen PNGs mit einer eigenen Autonomieregierung, dem Autonomous Bougainville Government (ABG), sowie ein späteres Referendum über die Unabhängigkeit der Insel vor. Nachdem 2004 eine eigene Verfassung für Bougainville in Kraft trat, gab es im Juni 2005 erstmals Wahlen für das ABG und einen Bougainville-Präsidenten. Weitere Wahlen folgten in 2010 und 2015. Im ABG finden sich mehrheitlich VertreterInnen der ehemaligen BRA.

Im April 2016 einigten sich die PNG-Regierung und das ABG auf den 15. Juni 2019 als das Zieldatum für die Abhaltung des Referendums. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass sich eine klare Mehrheit für die Unabhängigkeit entscheiden wird. Auf Bougainville haben die Referendums-Vorbereitungen begonnen, und ABG und PNG-Regierung arbeiten daran, die technischen, finanziellen und legalen Voraussetzungen für seine Durchführung zu schaffen. Während die Bougainville-Seite energisch dabei ist, lässt es die PNG-Seite an Enthusiasmus mangeln. Es bleibt abzuwarten, ob sich PNG an seine Verpflichtungen aus dem Friedensabkommen halten wird.

Problem Panguna-Mine
Mit der Vorbereitung des Referendums tritt der Friedensprozess in eine entscheidende Phase. Er wird erst erfolgreich abgeschlossen sein, wenn das Referendum friedlich durchgeführt und das Referendums-Ergebnis friedlich implementiert sein wird.

Als möglicherweise schwerwiegendes Hindernis erweist sich jüngst die Frage der Panguna-Mine. Sie wurde in einer frühen Phase des Krieges von der BRA erobert und liegt seither, also seit mehr als einem Vierteljahrhundert, still. Auch gegenwärtig wird sie immer noch von einer (ehemaligen) BRA-Fraktion, die sich dem Friedensprozess offiziell nicht angeschlossen hat (diesen aber auch nicht behindert), kontrolliert (die sogenannte Meekamui-Bewegung). (4)

Ende Juni 2016 verkündete Rio Tinto den Rückzug aus seinem Tochterunternehmen BCL und damit von Panguna. Rio Tinto bot seinen Mehrheitsanteil an BCL zu gleichen Teilen der Regierung Papua-Neuguineas und dem ABG an – geschenkt.

Der große Pferdefuß am diesem ‘Geschenk’ ist, dass Rio Tinto sich damit auch jeglicher Verantwortung für die Behebung der Umwelt-, Gesundheits- und anderen Schäden, die mit dem Minenbetrieb verbunden waren, entziehen will.

Das ABG hat scharf protestiert gegen Rio Tintos Vorgehen und von der PNG-Regierung gefordert, dass diese die ihr von Rio Tinto übereigneten Anteile an das ABG weitergebe. (5) Diese hat das abgelehnt und Anfang August 2016 angeboten, diese Anteile „an das Volk und die Landbesitzer Bougainvilles“ zu übergeben – was immer das heißen mag. Bis sich ‘das Volk und die Landbesitzer’ über die Verteilung der Anteile geeinigt haben, werde man diese für sie verwahren.

Offensichtlich ist dies ein Versuch der PNG-Regierung, die Bougainville-Seite zu spalten und Zwietracht auf der Insel zu säen. Der ABG-Präsident John Momis bezeichnet das Vorgehen Rio Tintos und das Verhalten der PNG-Regierung denn auch als bisher ernsteste Bedrohung des Friedensprozesses. Die Beziehungen zwischen ABG und PNG-Regierung befänden sich auf einem historischen Tiefstand. Das ABG und das Parlament Bougainvilles haben zu einer internationalen Kampagne gegen Rio Tinto aufgerufen, um Druck auf den Bergbaumulti auszuüben und ihn bezüglich Behebung von und Entschädigung für die massiven Umweltschäden in die Pflicht zu nehmen.

Die durch Rio Tinto und die PNG-Regierung ausgelöst Krise kann schwere negative Folgen für den Friedensprozess haben, insonderheit mit Blick auf das Unabhängigkeitsreferendum.

 

Anmerkungen
1 Die Region Ozeanien umfasst 32 Millionen Quadratkilometer. 98% davon ist – wie der Name schon sagt – Wasser. Von den verbleibenden 2% Landmasse entfallen wiederum 95% auf den größten Staat in Ozeanien – Papua-Neuguinea (PNG). PNG ist mit rund sieben Millionen EinwohnerInnen auch das bevölkerungsreichste Land der Region. Alle anderen pazifischen Inselstaaten sind Kleinstaaten mit weniger als einer Million Bewohnern. Es gibt in der Region insgesamt 22 unabhängige Insel-Staaten, hinzu kommen mehrere französische Kolonialgebiete (Neukaledonien/Kanaky, Französisch-Polynesien, Wallis und Futuna) sowie einige Territorien mit besonderen Assoziationsverhältnissen mit Neuseeland oder den USA. Schließlich sind einige Gebiete Teil nicht-pazifischer Staaten (Osterinseln: Chile; Hawaii: USA; Torres Strait Inseln: Australien; Westpapua: Indonesien). Diese direkte oder indirekte koloniale Abhängigkeit ist eine Ursache für (Gewalt-)Konflikte in der Region. Anders als in anderen Teilen der Welt ist in Ozeanien das Zeitalter des Kolonialismus' noch nicht Vergangenheit. 

2 Erwähnt seien lediglich der Sezessionskrieg auf Vanuatu Anfang der 1980er Jahre, der Konflikt dort zwischen Polizei und Paramilitär in 2002, die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen kanakischer Unabhängigkeitsbewegung und französischen Kolonialherren in Neukaledonien/Kanaky in den 1980ern, der Bürgerkrieg auf den Salomonen 1998-2003, die Militärputsche und Putschversuche in Fiji 1987, 2000 und 2005, gewaltsame Unruhen in den Hautpstädten Tongas und der Salomonen in 2006, andauernde ‘Stammeskriege’ im Hochland PNGs sowie häufige gewaltsame ‘riots’ in den größeren Städten des Landes. Diese Aufzählung ist unvollständig. Zum gegenwärtig schwerwiegendsten Konflikt in der Region, dem Unabhängigkeitskrieg in West-Papua, siehe den gesonderten Artikel in dieser Ausgabe des Friedensforums.

3 In den ersten Nachkriegsjahren war eine regionale Peace Monitoring Group (bestehend aus militärischem und zivilem Personal aus Australien, Neuseeland, Fiji und Vanuatu) und eine kleine UN-Beobachtermission auf Bougainville präsent.

4 Ob die Panguna-Mine wieder in Betrieb genommen werden soll, ist in Politik und Öffentlichkeit auf Bougainville umstritten. Das ABG ist dafür, argumentierend, dass ein künftig unabhängiges Bougainville ökonomisch nur lebensfähig ist mit den Einkünften aus der Mine. Gegenstimmen verweisen auf das Elend, das mit der Mine verbunden war, und sagen: nie wieder Panguna-Mine. Die landbesitzenden Clans im Minengebiet ebenso wie die Meekamui-Bewegung sind in dieser Frage uneinig bzw. haben sich nicht festgelegt.

5 Rio Tinto hielt 53,8% an BCL. Es hat 36,4% an das ABG abgegeben und 17,4% an die PNG-Regierung, welche bereits vorher 19% hielt. Das bedeutet, dass ABG und PNG-Regierung nun beide je 36,4% halten. Die restlichen Anteile verteilen sich auf private Anleger.

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