Verwaltungsgericht Köln:

Bürgerin gegen Atomwaffen nicht klagebefugt

von Martin Singe

Im FriedensForum 4/2011, S. 44f, berichtete Rechtsanwalt Peter Becker über die Klage von Elke Koller gegen die in Büchel stationierten Atomwaffen. Inzwischen liegt das schriftliche Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vor (26 K 3869/10). Elke Koller, die in der Nähe des Atomwaffenstandortes wohnt, wollte mit der Klage erreichen, dass die Bundesrepublik Deutschland verurteilt wird, auf den Abzug der Atomwaffen hinzuwirken und sämtliche praktischen und politischen eigenen Beteiligungshandlungen hinsichtlich der Atomwaffen inklusive der nuklearen Teilhabe einstelle. Aus Artikel 25 und 26 Grundgesetz (Völkerrecht ist Bestandteil des Grundgesetzes; Verbot von Angriffskriegen und friedensgefährdender Handlungen) könne der Bürger vom Staat verlangen, dass von deutschem Boden ausgehende rechtswidrige Kriegsführung unterbunden werde.

Das Urteil stellt zunächst die Hauptinhalte der Klage dar, anschließend die Entgegnung der Bundesregierung, dann werden Ausführungen der Klägerin, ihrer Anwälte und der Gegenseite aus der mündlichen Verhandlung dargestellt. Koller verwies insbesondere auf das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) von 1996, dem gemäß der Einsatz von Atomwaffen „generally illegal“ sei. Zudem könnten die Atomwaffen wegen ihrer Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung grundsätzlich nicht völkerrechtskonform eingesetzt werden.

Zwei Hauptgründe führt das Gericht für die Ablehnung der Klage an: Erstens sei die deutsche Gerichtsbarkeit nicht eröffnet, da die NATO über den Einsatz von Atomwaffen entscheide und diesen steuere. Internationale sowie supranationale Organisationen genössen jedoch kraft Völkergewohnheitsrecht Immunität. Zweitens sei die Klägerin nicht klagebefugt, da eine der deutschen öffentlichen Gewalt zurechenbare Verletzung ihrer subjektiven Rechte nicht feststellbar seien. Rechtserhebliche Beeinträchtigungen der Klägerin könnten nicht festgestellt werden, sondern es ginge bloß um „im Vorfeld dieser Beeinträchtigungen angesiedelte Gefährdungen“.

Zum ersten Punkt werden dann lange Ausführungen zum NATO-Bündnis gemacht, und es wird auf die weiten Spielräume der Entscheidungskompetenz der Bundesregierung in der Außen- und Verteidigungspolitik hingewiesen. Außerdem unterstellt das Gericht die Möglichkeit einer extremen Selbstverteidigungssituation für die Bundesrepublik, um dem IGH-Gutachten zu entgehen: der IGH hatte für diese Extremsituation die Einsatzmöglichkeit von Atomwaffen völkerrechtlich nicht völlig ausgeschlossen. Zum zweiten Punkt wird ausgeführt, dass aus Art. 25 und 26 Grundgesetz (GG) keine subjektiv einklagbaren Rechte herzuleiten seien, sondern diese Artikel ausschließlich Wirkungen zwischen Staaten erzeugten. „Schlichtes Regierungshandeln, völkerrechtliche Regierungsakte, militärische Kommandoakte und parlamentarisches Handeln sind regelmäßig der dem Individualschutz dienenden gerichtlichen Kontrolle entzogen.“ (S. 22) Selbst im Falle der Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder der Vorbereitung eines Angriffskrieges (Art. 26 GG) würden „einklagbare Rechtspositionen nicht begründet“. Das Gericht verweist hier ausgerechnet auf ein eigenes Urteil zur Beteiligung Deutschlands am Angriffskrieg gegen Jugoslawien! – Im Übrigen ginge es nur um Rechtsgefährdungen mit nicht messbarer Eintrittswahrscheinlichkeit.

Insgesamt ist das Urteil eine große Enttäuschung. Die Klägerseite beabsichtigt, den Instanzenweg auszuschöpfen, um das Urteil anzugreifen. Man hat das Gefühl, erneut versuche ein Gericht dem Regierungshandeln Persilscheine auszustellen. Der Bürger wird in eine Ohnmachtsrolle verwiesen. Ihm wird keinerlei relevanter Einfluss auf das Regierungshandeln durch rechtliche Infragestellungen zugestanden. Damit werden die Artikel 25 und 26 Grundgesetz eklatant missachtet und völlig einseitig zugunsten einer Ermächtigung der Regierung zu rechtlich unkontrollierbarem Handeln ausgelegt. Was soll dann noch der Satz in Artikel 25, dass die Regeln des Völkerrechts allen Gesetzen vorgingen und „Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes“ erzeugten? Vielleicht sollte die Bundesregierung in den nächsten Instanzen und in weiteren Verfahren wegen Völkerrechtsbruch noch offensiver angeklagt werden. Die Bundesregierung hat seit dem Angriffskrieg auf Jugoslawien wiederholt und eklatant, direkt oder indirekt durch Beihilfe, die Friedensgebote von Grundgesetz und Völkerrecht verletzt (Afghanistan, Irak, Libyen).

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".