Castor-Transport 2006: Streit um Atomausstieg neu entfacht

von Martin Nesemann
Initiativen
Initiativen
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Wer von Gorleben berichten will, muss in diesem Jahr mit Biblis beginnen. Oder mit Brunsbüttel. Denn stärker als bei den vorangegangenen Atommüll-Transporten trugen dieses Mal Politik und Energiewirtschaft dazu bei, dass die anti-Castor-Proteste, die sich immer wieder am Transport von Atommüll aus der Plutoniumfabrik La Hague nach Gorleben entzünden, auch für eine große Öffentlichkeit als das zu verstehen waren, was sie für die Beteiligten seit jeher darstellen: ein mit Entschiedenheit vorgetragenes Nein, das sich exemplarisch gegen die gesamte Atom- und Energiepolitik wendet.

Die Aufregung um den Beinahe-GAU im schwedischen AKW Forsmark hatte sich noch nicht gelegt, als der Energieriese RWE beim Bundesumweltministerium einen Antrag stellte: ausgerechnet beim AKW Biblis A, das sich von Anbeginn seines Betriebs durch Störanfälligkeit und nicht zu behebende Systemfehler ausgezeichnet hat, soll nach dem Willen seiner Betreiber die Laufzeit verlängert werden. Gegen diese "Aufkündigung des Atom-Konsens" fand sich sehr schnell ein Bündnis, in dem die VertreterInnen der verschiedenen Gruppen die so bezeichnete Vereinbarung zwischen Regierung und Energiewirtschaft zuvor noch sehr unterschiedlich bewertet hätten. Von den unabhängigen antiAtom-Initiativen über die Umweltverbände bis in die Parteien hinein rief nun eine breites Spektrum auf zu Protest und Widerstand.

Den Auftakt bildeten Demonstrationen vor den AKWs Biblis und Brunsbüttel. Und hier ging es nicht nur um Störfälle oder `den Ausstieg aus dem Ausstieg`. "Im neuen Weißbuch für die Bundeswehr können wir nachlesen, dass die neuerliche Jagd nach Rohstoffen und deren Sicherung wieder die Hauptaufgabe deutscher Soldaten geworden ist. Angesichts der wachsenden Konkurrenz um den Kernbrennstoff Uran - nicht zuletzt auch wegen des Uranbedarfs hier in Biblis - ist es alles andere als ausgeschlossen, dass deutsche Soldaten in einigen Jahren in Kasachstan, im Niger oder in Namibia einen Krieg um das knapp werdende Uran führen." hieß es in der Rede von Henrik Paulitz, IPPNW. Sabine Leidig, Geschäftsführerin bei attac, stellte den Zusammenhang her zwischen dem aktuellen Castor-Protest und der Mobilisierung zum G8-Gipfel im kommenden Jahr.

Unter der Überschrift "Energiepolitik wird hier verhandelt" argumentierten `Unruhige Ornithologen` in ihrem Aufruf zu Aktionstagen im Wendland: "zu den Schwerpunkten des Gipfels gehört auch die Sicherung der Energieverschwendung im Norden, Energiesicherheit genannt" und luden ein zur "wendländischen Trainingseinheit im November, ein Auftakt zum (nicht nur Energie-) Gipfel 2007 in Heiligendamm"; die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg hatte antiAtom-Aktivistinnen aus der Schweiz, aus Frankreich, Finnland und China zu Gast. In einer Sonderveranstaltung stellten diese die weltumspannende Dimension der atomaren Verseuchung heraus.

Ob sich genügend `Aus-Wendische` zu diesem inzwischen zehnten Transport nach Gorleben mobilisieren lassen würden? Die Menschen im Wendland warteten die Antwort auf diese Frage nicht ab. Bereits die ganze Woche vor dem Aktionswochenende kamen täglich/nächtlich Grüppchen und Gruppen zusammen, um auf jeweils ihre Art deutlich zu machen, dass ein ungestörtes Durchrauschen des Zuges nicht zu erwarten sei. Nachtwanderungen, Mahnfeuer, Platznahme durch landwirtschaftliche Geräte, Lampen-Umzüge, das `Qualifying` für die spätere Ralley, ein Abgrillen auf der Straße: es gab reichlich Gelegenheit, den Alltag einmal zurückzustellen und dem Widerstand Raum im Leben zu geben.

Besonderer Widerspruchsgeist wurde bei den Schülerinnen und Schülern des Wendlands geweckt. Auf die Anmeldung ihrer inzwischen traditionellen Freitags-Demonstration reagierten die Ordnungshüter mit dem Ruf nach Unterrichtsbesuch. Zwischen Demonstrationsrecht und Schulpflicht sei abzuwägen, hieß es von der Meldebehörde. In diesem Fall wiege das Recht auf (und der Zwang zu) Bildung schwerer. Erst müsse gelernt werden, demonstrieren könnten die jungen Leute später. Die Auseinandersetzungen darüber führten dazu, dass über 900 Schulpflichtige gegen "das Verbot der Demonstration zur Schulzeit" demonstrierten. Zur Schulzeit selbstredend.

Zur Samstags-Demonstration an den Gorlebener Anlagen kamen etwa 6.000 Menschen. Dort war nicht nur die ganz große Politik Thema. ("Solange die Ausbeutung des Menschen, der natürlichen Ressourcen, letztlich der Lebensgrundlagen durch den Menschen zur Grundlage der Existenz gemacht, Angst erzeugt und als Instrument der HERRschaft bewusst eingesetzt wird, solange wird sich für uns die Systemfrage stellen" sagte Mandy Rother in der Autonomen-Rede) Da ging es auch konkret darum, Regierungsstrategien zu durchkreuzen: "Über die Frage: wohin mit dem Atommüll der Atomindustrie, der sich an den AKWs stapelt, da gibt es keine Gespräche mit uns und da gibt es keinen Konsens mit uns! Wir sind doch nicht dazu da, die Probleme der Atomindustrie zu lösen. Nein, wir sind dazu da, die Probleme der Atomindustrie zu vergrößern!" forderte Ursula Schönberger von der AG Schacht Konrad.

Wie so häufig im Wendland beschränkte sich die Kundgebung nicht aufs Reden. Von den Absperrgittern, die kilometerweit an der späteren Transportstrecke aufgestellt waren, fühlten sich viele Menschen beengt. Sie wurden, sehr zum Ärger der PolizeibeamtInnen vor Ort, zur Seite geschoben und umgekippt. Und gegen die einsetzende Dämmerung wurde ein großes Feuer entfacht; die anrückende Feuerwehr hatte es mit ihren Löschbemühungen nicht leicht.

Insgesamt war in diesen Tagen ein Bedürfnis nach starken Bildern zu spüren. Zum Beispiel beim Laternegehen am Abend nach der Gorleben-Demo im Ort Metzingen, dem `widerStands-Nest` am Eingang zum Wendland: als dort etwa 350 Menschen aller Altersstufen mit ihren Lampions auf einer Kreuzung verharrten, wurden knapp 500 Meter entfernt 20 große Strohballen auf die Hauptstrasse gerollt und angezündet. Was tatsächlich eine massive, brennende Barrikade mitten auf einer Bundesstrasse darstellte, wurde allgemein als friedlich wärmendes und gleichzeitig mächtig loderndes Signal gegen durchrauschende Transport-Schutztruppen aufgenommen.

A propos Transportschutz: Polizeieinheiten aus sieben Bundesländern wurden verstärkt durch Truppen der Bundespolizei; insgesamt waren 16.500 BeamtInnen über Tage damit beschäftigt, das Recht von privaten Firmen auf Beförderung strahlender Abfälle gegen Lebensinteressen einer betroffenen Bevölkerung und gegen den politischen Willen einer Vielzahl von Engagierten durchzusetzen. Die Gesamt-Einsatzleitung drängte in diesem Jahr auf Zeitersparnis: der Zug startete bereits am Freitag Abend.

Noch in der Normandie wurde er durch eine Blockade gestoppt. Entlang der Grenze zu Belgien und Luxemburg waren mehrfach Strohpuppen im Gleis, die die Loks zum Halten zwangen. Erstmals in der Geschichte dieser Transporte wurde von der bisher stets eisern eingehaltenen Route durch Frankreich abgewichen. In der Nähe des französischen Standorts für ein Atommüll-Endlager Bure wich der Castorzug auf Alternativstrecken aus.

Auch nach dem Übertritt über die französisch-deutsche Grenze mussten die Lokführer mehrmals bremsen. Gespannte Transparente, Gegenstände und Personen auf dem Gleis führten mehrfach zu Aufenthalten. Um die Stadt Göttingen, wo AktivistInnen in den vergangenen Jahren immer wieder mit Blockaden erfolgreich gewesen waren, machte das strahlende Dutzend einen weiten Bogen und erreichte die Stadt Lüneburg am Sonntag Vormittag nach über 16-stündiger Fahrt durch Deutschland.

Die letzten 72 Kilometer auf der Bahn führen durch einen Teil des Wendlands namens Göhrde. Niedersachsens größte zusammenhängende Waldfläche bedeckt eine ausgeprägt hügelige Landschaft, durch die sich das Gleis der Castorbahn nur mühsam schlängelt. Über tausend Menschen tummelten sich hier bei einer `Ralley Monte Göhrde`. "Es geht nicht um Spitzensport," erklärte Rosa Camper beim Startschuss. "Nicht einige wenige Helden halten den Zug spektakulär auf. Wir machen Breitensport." Immer wieder kam es zu Sitzblockaden auf dem Gleis, wurden Baumstämme auf den Bahndamm geschleppt und Barrikaden gebaut. Kletterer von Robin Wood spannten Seile von Böschung zu Böschung und konnten erst nach Stunden von ihrem luftigen Platz über der Schiene entfernt werden. Technische Hindernisse bereiteten Hemmschuhe aus Metall, die auf den Schienensträngen platziert waren. Fast fünf Stunden brauchte die Polizei, um prügelnd und Gift spritzend den Weg zu bahnen.

Vor dem Verladekran in Dannenberg fanden sich im Lauf des Nachmittags ebenfalls annähernd tausend Menschen ein. Durch die Polizeiketten hindurch und über weiträumige Absperrmaßnahmen hinweg trafen sie sich zu zwei großen Sitzblockaden der Kampagne X-tausendmal quer und von `WiderSetzen`. Bei eisigem Wind und Regenschauern harrten sie bis tief in die Nacht aus. Und auf beiden der möglichen Straßenstrecken schafften es Angehörige der Bäuerlichen Notgemeinschaft, vorbereitete Ankettvorrichtungen mitten auf die Straße zu stellen. In 1,2 Tonnen schweren Pyramiden aus Beton befestigten jeweils vier Personen einen Arm.

In Kirchen, provisorischen Suppenküchen und einem `Musenpalast` sammelten sich in dieser Nacht Hunderte, um den Stand des Verladevorgangs zu erfahren, sich auszutauschen und sich wieder auf den Weg zu machen. Auf freier Strecke im Wald und in zwei Ortschaften formierten sich mehrfach größere Blockaden; die Polizei zeigte sich hier rücksichtslos in besonderem Maße. Trotzdem musste auch der Straßentransport mehrfach stoppen. Als die Behälter mit den Strahlenkokillen im Morgengrauen das Zwischenlager im Gorlebener Forst erreicht hatten, war unter den antiAtom-Bewegten Resignation nicht zu spüren.

"Im Nachhinein versucht die PR-Abteilung der Polizei, den Widerstand klein zu reden. Über die bürgerliche Presse wird wieder nur schwer zu erfahren sein, wie quirlig und einfallsreich die Menschen ihr Nein gegen den Atomstaat zum Ausdruck gebracht haben." fasst Elisabeth Krüger von der Redaktion der `anti atom aktuell` ihre Erfahrungen zusammen. "Der Widerstand war und ist lebendig."

Damit dies auch für Menschen erfahrbar wird, die nicht dabei sein konnten, arbeitet die aaa-Redaktion gemeinsam mit den Gruppen im Wendland bereits an einer Castor-Dokumentation 2006. Wie wird die wohl heißen? "antiAtom - Streit neu entfacht" vielleicht? Oder war doch alles nur ein Strohfeuer?

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Martin Nesemann ist Redakteur der anti atom aktuell. (die anti atom aktuell ist die Zeitung für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen. Monat für Monat neu.)