Afghanistan, die Grabstätte der Imperien?

von Andreas Buro

US-Präsident Obama ist offensichtlich gewillt sein Wahlversprechen voll einzuhalten. Die aus Irak abziehenden US-Truppen verstärken die Interventionsstreitkräfte in Afghanistan. General David Petraeus, Supergeneral des US-Regionalkommandos Centcom, schätzt, die US-Truppenstärke werde im Herbst dieses Jahres etwa 60 000 betragen. Dazu kommen 30.000 Soldaten der Koalitionskräfte. Petraeus ist auch der Oberkommandierende für Irak und Afghanistan. (vgl. Die Zeit v. 7.5.2009). Er ist stolz auf seine Armee und ihre großen Erfahrungen: „Die Truppe, die jetzt zur Verstärkung nach Afghanistan geht, hat schon vier Jahre in Irak gekämpft, davor in Bosnien. Es gibt keine Armee in der Welt, die so viel Erfahrung mitbringt, außer der britischen.“ (ebd.)

Die Strategie des Generals ist nicht einfach „weiter so“. Er sieht sie in einem doppelten Zusammenhang. Zum einen geht es nach wie vor um das „Great Game“ in Zentralasien. Von den 20 Ländern, die in den Aufgabenbereich des Centcom fallen, habe er bereits 18 besucht und dort mit hohen Politikern und Militärs gesprochen. Unklar ist gegenwärtig, welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Eine große internationale Afghanistan-Konferenz mit allen interessierten Anrainern zur Beendigung des Krieges hat bisher nicht stattgefunden. US-Außenministerin Clinton kündigte nur eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den USA, Kabul und Islamabad an. Das mag für die Kriegsführung nützlich sein, aber kaum für die Suche nach einer konzertierten Friedenslösung, die einen Abzug der Interventionstruppen erlauben würde.

Internationale Kooperation zur Beendigung des Krieges?
In diesem Zusammenhang ist an die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) zu erinnern. Im Januar 2009 besuchte der russische Präsident Medwedew Taschkent zu Gesprächen mit dem usbekischen Präsidenten Karimov. Sie forderten gemeinsam die Einberufung einer internationalen Konferenz zu Afghanistan unter Leitung der (SCO) Inzwischen hatte sogar die russische Führung den damaligen NATO-Gneralsekretär Jaap de Hoop Scheffer zu Gesprächen über Afghanistan nach Moskau eingeladen. Die SCO hatte bereits 2005 beschlossen, eine Afghanistan Kontakt Gruppe zu bilden. Die wichtigsten Themen in Bezug auf Afghanistan sind für die in der SCO zusammen geschlossenen Mitgliederstaaten ( Russland, China, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan. Beobachter in der SCO sind außerdem die Mongolei, Iran, Pakistan und Indien) der Drogenhandel, islamistische und terroristische Einflüsse auf ihre Hoheitsgebiete und die Auswirkungen auf separatistische Tendenzen. In diesen Fragen sehen sie partielle Gemeinsamkeiten mit der westlichen Intervention. Keine dieser Regierungen hat ein Interesse an der Ausbreitung eines radikalen Islamismus, der in ihren Ländern, insbesondere bei den moslemischen Völkern zu Opposition und Unruhen führen könnte. Sie können auch nicht daran interessiert sein, dass sich die USA oder die NATO in Afghanistan mit dauerhaften Militärstützpunkten einnisten. Das erklärt die ambivalente Haltung dieser Staatengruppe, die einerseits in einzelnen Ländern Stützpunkte und Durchgangsrechte für Waffentransporte der NATO-Staaten einräumt, andererseits aber auch Waffentransporte für den afghanischen Widerstand ermöglicht.

Angeblich wurden bei den Taliban-Kämpfern Waffen aus China gefunden, die möglicherweise über Waffenschmuggler oder über den Iran eingekauft wurden (Spiegel Online 4. 9. 2007). Es ist also davon auszugehen, dass die SCO-Länder an einer Stabilisierung der Lage in Afghanistan interessiert sind. Ihre Einbeziehung in Bemühungen um eine friedliche Lösung erscheint deshalb geraten zu sein. Die große Frage ist jedoch, werden die USA diese Chance, die ihre Machtposition relativieren würde, auch aufgreifen.

Der zivil-militärische Ansatz der US-Strategie
Zum anderen setzt Petraeus auf die Schaffung von Legitimität der Intervention bei der Bevölkerung. Dabei spielt die zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) eine bedeutende strategische Rolle, um die Widerstandskräfte zu besiegen: „Man zeigt durch sein Tun, dass man da ist, um der Bevölkerung zu helfen – ihr Sicherheit zu geben, die Wirtschaft zu beleben, Schulen zu bauen, genau, was wir jetzt im Irak machen.“ (ebd.) Auf die Rückfrage, eine Armee sei doch kein Wirtschafts- und Wohlfahrtsministerium, antwortet er: „Doch. Wir haben Reservisten, Bürgermeister, die wissen, wie man eine Stadt verwaltet. Ingenieure, die Zivilprojekte leiten.“  Über Bemühungen um eine Politik der Aussöhnung und der friedlichen Konfliktbearbeitung sagt er jedoch nichts. Stärker betont wird in vielen Stellungnahmen von Politikern, es ginge um den Ausbau des afghanischen Militärs und der Polizei. Diskutiert wurde auch, ob nicht zu unterscheiden sei zwischen mehr oder weniger extremistischen Teilen des afghanischen Widerstandes. Das ist selbstverständlich von der anderen Seite als Kampfansage zur des Spaltung des Widerstandes verstanden und entsprechend zurück gewiesen worden.

Die tatsächliche Entwicklung zeigt eine Ausweitung des Widerstandes, der sich auch nach Norden in die deutschen Stationierungsgebiete ausweitet. Die NATO-Partner zeigen wenig Enthusiasmus, ihr Engagement zu verstärken. Eine eigenständige friedenspolitische Orientierung ist bei ihnen nicht auszumachen. Die Lebenssituation der Bevölkerung vorwiegend auf dem Lande verbessert sich nicht. Kabuls Präsident Karsai, dessen Regime fast vollständig von ausländischer Hilfe abhängig ist, hat gute Chancen im August 2009 erneut zum Präsidenten gewählt zu werden. Also wird die Korruption kaum zu stoppen sein. Aber vor allem: Die Kämpfe weiten sich immer mehr in das höchst instabile Pakistan aus. Dort greifen die USA zunehmend militärisch ein, was Ablehnung und Widerstand eher stärkt als schwächt. Die Parallele zur sowjetischen Intervention wird immer stärker. Als Gorbatschow 1985 zur Macht kam, suchte er den Ausweg in der Verstärkung der Truppen und der Intensivierung des Krieges. Ein Blutbad folgte und schließlich die sowjetische Niederlage. Wird Obama, wie auch Gorbatschow seinerzeit, ein strahlender Hoffnungsträger für viele, die sowjetische und die frühere britische Erfahrung wiederholen, dass Afghanistan eine Grabstätte der Imperien ist?

Indikatoren aus dem Afghanistan-Konflikt für die Beurteilung zukünftiger US-außenpolitischer Orientierung
Die Frage ist, ob die bisherige Sieg-Politik im Wesentlichen fortgesetzt werden wird, die USA also an ihren großen imperialen Zielen festhalten, oder ob eine Veränderung zu Friedens- und Entwicklungspolitik eingeschlagen werden soll, die letztlich zum Abzug der Interventionstruppen führen könnte.

Hier wird die These vertreten, die folgenden Indikatoren könnten eine frühzeitige Beurteilung der zukünftigen Orientierung der US-Außenpolitik ermöglichen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der tatsächlich eingeschlagene Weg in Afghanistan auch die generelle Orientierung der US-Außenpolitik reflektieren wird. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass auch weitere Indikatoren aus anderen Politikbereichen der USA - etwa der Gestaltung des Verhältnisses zu China, Russland und zu Israel - Hinweise darauf geben können, was unter dem Anspruch „Change“ kombiniert mit der Aussage, die USA würden auch weiterhin die „Leading Nation“ bleiben, wirklich außenpolitisch beabsichtigt ist.

Bisher sind die für Entwicklung des Landes eingesetzten Mittel im Vergleich zu den Militärausgaben relativ gering. Von ihnen kommt nur wenig bei der großen Masse der ländlichen Bevölkerung an, da sie durch Korruption, Aufbau der Polizei, Ausgaben für ausländische Experten und Bedürfnisse der Kabuler Regierung sehr geschmälert werden. Eine grundsätzliche Veränderung dieser Situation wiese daraufhin, dass die Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung tatsächlich eine wichtige Rolle spielen soll.

Bisher ist ein erheblicher Anteil der Mittel für den Aufbau von afghanischen Militärstrukturen aufgewendet worden, die der Zentralregierung in Kabul zur Verfügung stehen sollen und bisher auch als Hilfskräfte für die Interventionsstreitkräfte dienen. Dieses ist ein Muster kolonialer Herrschaft. Eine Marionetten-Regierung, die ganz abhängig ist, wird mit einheimischen Soldaten für die Unterwerfung einheimischen Widerstandes ausgerüstet. Bleibt das so?

Die USA haben sich bisher nicht für Friedensgespräche mit dem afghanischen Widerstand eingesetzt. Angesichts der Abhängigkeit und Machtlosigkeit der Kabuler Regierung lehnen die Taliban direkte Gespräche mit Kabul ab. Eine Initiative müsste also von den USA oder einem anderen gewichtigen NATO-Staat ausgehen, dessen Bemühungen die USA unterstützen würden. Deutschland könnte hierbei gute Dienste leisten, wenn es sich auf eine Neuorientierung seiner Politik, wie es oben beschrieben wurde, einlassen würde.

Die USA haben die Kriegsführung in das pakistanische Staatsgebiet ausgedehnt. Das ist nicht nur räumlich zu verstehen. Sie mischen sich damit noch weiter in die pakistanische Innenpolitik ein, die von höchst widersprüchlichen Kräften umkämpft ist. Wird dies zukünftig beibehalten oder so gar noch weiter geführt, so ist dies ein Indiz dafür, dass der Machtanspruch dominierend bleibt gegenüber einer friedenspolitischer Ausrichtung. Diese müsste nämlich die Autonomie der paschtunischen Stämme im Grenzgebiet respektieren und versuchen, mit ihnen – eventuell über die Friedens-Jirga - einen Dialog aufzubauen.

Bagram Air Base, Parvan, Charikar, Kandahar Air Base, Kandahar,  Khost Airbase, Paktia, Khost und Mazar-e-Sharif Airbase, Mazar-e-Sharif sind die wichtigsten Stützpunkt der US-Luftwaffe in Afghanistan. Werden sie im Sinne von dauerhaften strategischen Basen, wie an vielen anderen Orten der Welt, ausgebaut? Sollen sie auch nach einer wie auch immer gearteten Beendigung des Konflikts im Lande verbleiben und damit das Netz der Militärbasen um Russland erweitern?

OEF und ISAF haben sich in der Vergangenheit so weit angenähert, dass sie für die Bevölkerung nicht mehr unterschieden werden können. Setzt sich dieser Prozess fort und wird nicht zurück genommen, so wird damit der Vorrang für die militärische Option unterstrichen, während die angeblich mit ISAF verbundene friedenspolitische Orientierung zurück genommen wird.

Ein wichtiger Indikator ist das Verhalten der bedeutenden NATO-Staaten, die neben den USA in Afghanistan kämpfen. Zunächst haben fast alle eine Aufstockung ihrer Truppen zugesagt. Werden sie sich dauerhaft weiter für den militärischen Sieg einsetzen oder werden sie sich zurück ziehen und eine friedenspolitische Sonderrolle übernehmen sowie sich im Konflikt um Vermittlung bemühen?

Eine Initiative der Interventionsmächte zur Einrichtung einer „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Südasien“ wäre ein deutlicher Indikator für eine Veränderung in Richtung zu einer multipolaren Friedenspolitik. Hierbei könnten auch die Nachbarstaaten Russland, China, Iran, Pakistan und sowie Indien in einen Dialog einbezogen werden. Die Erfahrungen aus dem europäischen KSZE-Prozess dürften dabei behilflich sein.

Schließlich wird auch die Rhetorik aus den USA zu diesem Konflikt und ihr Widerhall in der westlichen Welt Hinweise geben können. Spricht man vom Sieg über die Taliban als Voraussetzung für alles weitere oder spricht man von notwendigen Verständigungsprozessen, damit Afghanistan seinen eigenständigen, historischen Entwicklungsweg beschreiten kann? Ortet man den Widerstand unter dem Begriff Taliban weiterhin auf der Achse des Bösen an oder lernt man die historischen Wurzeln, die sozio-ökonomische Situation des Landes und seiner Gesellschaft, sowie die aktuellen Bedürfnisse der Menschen zu begreifen und in den Vordergrund der geäußerten Überlegungen zu stellen.

Die US-Geheimdienste sehen für die Weltmacht USA eine düstere Zukunft voraus. Der National Intelligence Council erwartet in seiner Studie „Global Trends 2025, dass die in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg entstandene Weltordnung 2025 nicht mehr existieren wird. „Obwohl die Vereinigten Staaten wahrscheinlich der mächtigste einzelne Akteur bleiben wird, wird ihre relative Stärke – sogar auf militärischem Gebiet – sinken und ihr Einfluss schwächer werden.“ Eine  Weggabelung der US-amerikanischen Außenpolitik? Von dem neuen Präsidenten erhoffen viele eine Abkehr von der imperialen Politik der USA zu einer friedensorientierten außenpolitischen Verhaltensweise. Andere verweisen auf die restriktiven Strukturen des US-Regierungssystems, das einer weitreichenden Veränderung der Außenpolitik enge Grenzen setze. Am Verhalten der USA in Afghanistan, dem gegenwärtig wichtigsten Kriegsschauplatz, kann mit Hilfe der genannten Indikatoren ermessen werden, ob und wie weit sich wirklich ein Wandel anbahnt.

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