Eine Chronologie der Repression in Serbien im Oktober 1998

An die Wand mit der Opposition

von Roland Brunner
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Milosevic sitzt im Trockenen. Den Preis für die Nato-Drohungen bezahlen die Dissidenten. Die Drohungen der Nato, Serbien zu bombardieren, falls die Bedingungen für eine politische Lösung des Kosovo-Konflikts nicht erfüllt würden, führte vor allem zu einer Verschärfung der Hetze und der Repression gegen oppositionelle Kräfte in Serbien.

Eingeladene TeilnehmerInnen einer internationalen Konferenz "Broadcasting for a Democratic Europe", geplant in Belgrad Ende September unter Schirmherrschaft des Europarates, erhalten keine Einreisevisa.

Der rechtsradikale Politiker und stellvertretende Premierminister Jugoslawiens Vojislav Seselj sowie der Milosevic-Mann und Parlamentsabgeordnete Zeljko Simic bezeichnen in einer Parlamentsdebatte Oppositionelle und unabhängige Medien als Verräter, fünfte Kolonne und Quislinge. Seselj ruft offen dazu auf, im Falle einer Bombardierung Serbiens Oppositionelle und MitarbeiterInnen internationaler Organisationen als Geiseln zu nehmen: "Vielleicht können wir nicht jedes einzelne Nato-Fugzeug abschießen, aber sicher können wir all ihrer Agenten hier habhaft werden." Speziell erwähnt werden dabei das "Helsinki Komitee für Menschenrechte", die "Frauen in Schwarz" sowie der intellektuelle und dissidente "Belgrad-Zirkel".

Die unabhängige Belgrader Radiostation B92 muß eine große geplante Solidaritätsdisco zugunsten der Kosovo-Flüchtlinge in Montenegro absagen, da durch die zunehmende Radikalisierung die Sicherheit der Leute nicht gewährleistet ist. Staatsradio und -fernsehen reiten scharfe Attacken gegen unabhängige Medien und bezichtigen sie des Hochverrats. Der serbische (Des-)Informationsminister Aleksandar Vucic teilt den unabhängigen Stationen mit, daß die Weiterverbreitung "von Programmen, die zu Propagandazwecken und zur psychologischen Kriegsführung von westlichen Mächten produziert würden", als Akt der Spionage und als direkter Angriff auf die verfassungsmäßige und gesetzliche Ordnung des Landes betrachtet würden. Gezielt wird dabei auf die serbischen Programme von BBC-World-Service, Deutsche Welle international u.a.

Der Faschist Seselj ruft im Parlament den Kriegszustand aus, obwohl dies gar nicht in seiner Kompetenz liegt.

Dejan Anastasijevic, Journalist der unabhängigen Wochenzeitschrift VREME, wird angeklagt wegen seiner Berichterstattung über die Massaker in Gornja Obrinja (Kosov@).

Seselj wiederholt seine Angriffe gegen Medienschaffende, die "Geld von den Amerikanern, den Deutschen, Engländern und Franzosen nehmen". Er bezeichnet sie als "Spione, die diesen Ländern in ihren antiserbischen Bestrebungen helfen". Verschiedene Radio- und Fernsehstationen erhalten Drohungen. Die Regierung verhängt - ohne Gesetzesgrundlage - einen "Erlaß für Spezialmaßnahmen anläßlich der Nato-Drohungen für militärische Angriffe gegen unser Land". Die NZZ spricht am 15. Oktober von einer "Mobilmachung gegen äußere und innere Feinde". Die Tageszeitungen "Dnevni Telegraf", "Danas" und "Nasa Borba", sowie die Radiostationen "Radio Indeks" und"Radio Senta" werden per Ausnahmezustand stillgelegt.

Ein am 24. Oktober angenommenes neues Mediengesetz setzt mit der Androhung hoher Bußen auf die Selbstzensur der unabhängigen Medien. Der serbische Informationsminister Vucic begründete das neue Gesetz damit, Serbien sei Angriffen von Terroristen und erpresserischen Drohungen einiger westlicher Länder ausgesetzt. Ausländische Regierungen versuchten durch Desinformation und Propaganda den Widerstandsgeist der serbischen Bevölkerung zu untergraben, um ihre politischen Interessen auf serbischem Gebiet durchzusetzen. Seselj bezeichnet die Herausgeber unabhängiger Medien als Nato-Offiziere und Javier Solana, "der Mann der über die Bombardierung und Zerstörung Serbiens und die Ermordung seiner BürgerInnen entscheidet", als ihren Chefredakteuren.

Einen Tag nach der Annahme des neuen Mediengesetzes werden die Herausgeber und Redakteure der Zeitschrift "European" auf Anklage der "Patriotischen Allianz Belgrads" wegen Verletzung der patriotischen Gefühle Serbiens zu einer Buße von insgesamt über 300.000 Franken verurteilt.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Roland Brunner, arbeitet seit Anfang der 90er-Jahre in der Region des ehemaligen Jugoslawien. Neben seiner journalistischen Arbeit engagiert er sich dabei in der Unterstützung für Friedensinitiativen und unabhängige Medien. Seit Frühjahr 2000 ist er auch Geschäftsführer der Medienhilfe (http://www.medienhilfe.ch).