Drohnenkrieg – Terrorkrieg?!

Anmerkungen zu einer erratischen Debatte

von Jürgen Rose

Ein erneut schlagendes Beispiel dafür, wie hoffnungslos kontraproduktiv sich der Versuch auswirkt, Frieden statt mit immer weniger Waffen mit aller Gewalt schaffen zu wollen, liefert der aus fernab des Kriegsschauplatzes in den USA gelegenen, unangreifbaren Gefechtsständen gesteuerte, feige und verheerende Drohnenkrieg (1), den der in Oslo zum Friedensfürsten gekürte US-Präsident Barack Hussein Obama vornehmlich durch die ‚Special Activities Division‘ seines Geheimdiensts CIA sowie das in Tampa, Florida, gelegene ‚United States Special Operations Command‘ (SOCOM) (2) mit hoher Intensität fortführen lässt (3). Ihm fallen unbeteiligte Zivilisten zu Hunderten, wenn nicht gar zu Tausenden zum Opfer (4).

Da für den Einsatz der unbemannten Flugkörper der Geheimdienst CIA sowie das ebenfalls unter strikter Geheimhaltung operierende ‚Joint Special Operations Command‘ (JSOC) (5) zuständig ist (6), unterliegen die Angriffe realiter keiner öffentlichen Kontrolle und Rechenschaft. Bereits im Oktober 2009 monierte deshalb Philip Alston, der von dem UN-Flüchtlingshochkommissar mit einer Untersuchung beauftragt war, diesbezüglich: „Die CIA betreibt ein Programm, dass eine bedeutende Zahl von Menschen umbringt, und es gibt absolut keine Rechenschaftspflicht in den Begriffen des relevanten internationalen Rechts.” (7) Die angesehene US-Strafrechtsprofessorin Marjorie Cohn konstatierte hinsichtlich der Drohnenangriffe: „Vorsätzliche oder politische Morde finden auf Anordnung oder mit Billigung einer Regierung außerhalb jedes gerichtlichen Verfahrens statt.“ (8) Dies verletze sowohl die Charta der UN als auch die Genfer Konventionen, die absichtliche Tötungen verbieten. So habe die UNO ausdrücklich erklärt: „Exekutionen ohne Gerichtsurteil sind unter keinen Umständen gerechtfertigt, auch nicht in Kriegszeiten.“ Vorsätzliches Töten, so die Rechtsexpertin, sei ein Kriegsverbrechen, das auch nach dem ‚US War Crime Act‘ bestraft werden müsse. Demzufolge handelt es sich also bei Mr. Obama um einen Staatsterroristen und gemeinen Mörder, der als kongenialer Wiedergänger des mittlerweile von einer US-Todesschwadron qua Lynchmord liquidierten Privatterroristen Osama bin Laden erscheint.

Der US-amerikanische Reporter und investigative Journalist Jeremy Scahill hat diese These in seinem auf der Basis jahrelanger akribischer und umfassender Recherche entstandenen Buch „Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“(10) detailliert belegt und erhärtet. Darin eröffnet er unter dem Rubrum „Das Jahr der Drohne“ einen aufschlussreichen Einblick in die Planung und die Durchführung des völkerrechtsverbrecherischen Drohnenkrieges der USA:

„Ein Jahr nach seinem Amtsantritt waren Obama und sein Antiterrorteam intensiv damit beschäftigt, die Maßnahmen zur Tötung von Terrorverdächtigen und anderen ‚Militanten‘ zu formalisieren. Sie hatten, leicht abgewandelt, die neokonservative Sicht der Welt als Schlachtfeld übernommen, und auf ihren Todeslisten standen Namen aus der ganzen Welt. Im Gegensatz zu Präsident Bush, der Tötungsbeschlüsse häufig militärischen Befehlshabern und CIA-Vertretern überlassen hatte, bestand Obama meist darauf, die Tötungsbefehle selbst zu unterzeichnen. Bei den jeden Dienstagnachmittag unter Obamas Vorsitz abgehaltenen Meetings, von hochrangigen Mitarbeitern als ‚Terrordienstage‘ bezeichnet, wurden aus vorgeschlagenen Zielen diejenigen ‚nominiert‘, die auf die Liste gesetzt wurden. Häufig handelte es sich um bekannte aktive Kämpfer in Pakistan, in Jemen und in Somalia, doch gelegentlich befanden sich auch nur lose mit anderen Verdächtigen verbundene Personen oder einfach Bewohner einer bestimmten Region oder eines Landes darunter.

‚Dieser geheime Nominierungsprozess ist eine Erfindung der Regierung Obama, es ist ein Debattierclub von Hardlinern, der die PowerPoint-Darstellungen mit den Namen, Decknamen und Biografien verdächtiger Mitglieder des al-Qaida-Ablegers im Jemen oder von dessen Verbündeten in der somalischen Shabaab-Miliz unter die Lupe nimmt‘, berichtete die New York Times. …

Im Grunde war die Todesliste eine Art der Strafverfolgung ‚vor der Tat‘, bei der einzelne Personen, deren Lebensführung der verdächtiger Terroristen glich, als Freiwild galten. Seit der Einführung der sogenannten ‚Signature Strikes‘ standen nicht mehr nur gewaltbereite Personen, die an bestimmten Komplotten oder Aktionen gegen die Vereinigten Staaten beteiligt waren, auf den Todeslisten. Schon allein die Möglichkeit, jemand könnte zukünftig solche Taten begehen, reichte als Rechtfertigung für seine Tötung. Gelegentlich war bereits die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ‚von Männern im wehrfähigen Alter‘ in einer bestimmten Region Pakistans ein Beleg für terroristische Aktivitäten, der zu einem Drohnenangriff führte. Im Jemen genehmigte Obama, auch JSOC-Angriffe auf Zielpersonen, deren Identität den Planern gar nicht bekannt war. Diese Angriffe wurden als Terrorist Attack Disruption Strikes (TADS) bezeichnet.“ (10)

Der US-amerikanische Professor Michael Boyle, der an der in Pennsylvania gelegenen La Salle University in Philadelphia lehrt und ehemals Berater in der Expertengruppe für Terrorabwehr während Obamas Wahlkampf war, bringt den hochgradig kriminellen Charakter von dessen Mordprogramm mit den Worten auf den Punkt: „Mit der Aufstellung von Todeslisten und der Ausweitung der Drohnenangriffe bricht Präsident Obama sein Versprechen, die Antiterrorpolitik mit der US-Verfassung in Einklang zu bringen“ […]. Obama ha[t] „vom Oval Office aus die außergerichtliche Tötung zur Routine und zu einem normalen Vorgang gemacht, indem er Amerikas einstweiligen Vorsprung in der Drohnentechnologie dazu nutzt, in Afghanistan, Pakistan, im Jemen und in Somalia Schattenkriege zu führen. Ohne eine Prüfung durch die Legislative und die Gerichte und unsichtbar für die Öffentlichkeit genehmigt Obama Woche für Woche Morde, wobei die Debatte über die Schuld und Unschuld der Kandidaten für die ‚Todesliste‘ hinter verschlossenen Türen geführt wird.“

Anhand der zuvor dargestellten Problematik wird unzweifelhaft deutlich, dass eine Diskussion lediglich über die instrumentelle Dimension von Waffensystemen wie Kampfdrohnen sekundär ist und nur in die Irre führt – während sich zugleich diejenigen klammheimlich ins Fäustchen lachen, denen vornehmlich daran gelegen ist, eine erregte Öffentlichkeit auf Nebenkriegsschauplätzen zu beschäftigen, um diese von erheblich neuralgischeren Fragen abzulenken (12). Die in meinen Augen wichtigste dieser Frage betrifft dagegen die Illegitimität und Illegalität des mit staatsterroristischen Methoden – unter anderem eben Kampfdrohneneinsätzen – geführten sogenannten ‚Krieges gegen den Terror‘. In diesem Kontext ist es vorderhand völlig unerheblich, mit welchen Mitteln dieser a priori völkerrechtswidrige „Anti-Terrorkrieg“ – an dem sich nota bene auch die Bundesrepublik Deutschland unter fortwährendem Bruch des Grundgesetzes teils mittels stillschweigender Duldung, teils auch mittels aktiver Unterstützung von deutschem Territorium aus beteiligt! – geführt wird, sondern es kommt darauf an, ihn unter allen Umständen zu beenden – und zwar umgehend.

Über jenes absolut prioritäre Ziel hinaus muss zudem alles darangesetzt werden, die rasend voranschreitende technologische Entwicklung auf dem Sektor der Drohnensysteme, allen voran der bewaffneten, zum Gegenstand von Rüstungskontroll- und Abrüstungsmaßnahmen zu machen, um so die Aufrüstungsdynamik in den Griff zu bekommen – ganz so, wie dies im Hinblick auf Waffensysteme vielfältiger Art langjährig bewährter Praxis während des Kalten Krieges und danach entspricht.

Hierfür ist es unabdingbar, eine operationell handhabbare Definition über den Gegenstand zu entwickeln, der da vertraglich kontrollierbar abgerüstet werden soll. Die zeitweilig offiziell im Pentagon gebräuchliche Definition „... eine Drohne, oder unbemanntes Flugzeug, ist ein Flugzeug oder Ballon, der keinen menschlichen Bediener an Bord hat und in der Lage ist, ferngesteuert oder durch autonome Programmierung zu fliegen“ (13), ist zu diesem Behufe völlig unzureichend, da hierunter auch sämtliche gelenkten Bomben, Raketen und Marschflugkörper – also praktisch das gesamte Arsenal moderner Kampfflugzeugbewaffnung – fallen. Für konstruktive und erfolgversprechende Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen auf dem Gebiet der unbemannten Kampfflugzeuge muss also dringend ein Kriterienkatalog für diejenigen Drohnensysteme spezifiziert werden, die aus den Waffenarsenalen verschwinden sollen. Nachfolgende Definitionskriterien könnten dafür in Betracht kommen und müssten diesbezüglich einer genaueren Überprüfung unterzogen werden:

  • Drohnen werden durch einen Motor oder ein Triebwerk angetrieben und bewegen sich nicht auf einer ballistischen Flugbahn, sondern aerodynamisch als Starr- oder Drehflügler fliegend durch den Luftraum ;
  • Drohnen besitzen die Fähigkeit, mehrfach zu starten und wieder zu landen;
  • Drohnen werden über Funk und/oder Satelliten kontrolliert und gesteuert;
  • Drohnen können als unbewaffnete Aufklärungssysteme, mehrfach verwendbare Waffenplattformen oder Einweg-Kamikazegeräte  Verwendung finden;
  • Drohnen lassen sich von ihrer Reichweite her in taktische, operative und strategische Systeme unterteilen;
  • Drohnen besitzen eine sehr unterschiedliche Flugdauer von wenigen Stunden bis Tagen;
  • Die Stehzeit und Reichweite von Drohnen ließe sich durch die Option der Luftbetankung vervielfachen ;
  • Drohnen können sehr unterschiedliche Flughöhen rsp. Gipfelhöhen erreichen.

Vorstehender Kriterienkatalog erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, zeigt indessen auf, anhand welcher Spezifikationen sich bestimmte Typen oder Kategorien von unbemannten Fluggeräten im Zuge von Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen aus den Arsenalen entweder eliminieren ließen oder im vertraglich vereinbarten Konsens zugelassen blieben. Eine vollständige Beseitigung sämtlicher Drohnensysteme – zu klären wäre davon abgesehen in jedem Fall die zivile Nutzung – muss indes aufgrund des bereits erreichten technischen Entwicklungs- und Verbreitungsgrades als völlig unrealistisch erscheinen, auch wenn dies friedenspolitisch selbstredend die beste und humanste Lösung wäre.

Anmerkungen
1 Vgl. International Human Rights and Conflict Resolution Clinic (Stanford Law School) and Global Justice Clinic (NYU School Of Law) (eds.): Living Under Drones: Death, Injury, and Trauma to Civilians From US Drone Practices in Pakistan, Stanford/New York, September, 2012, http://livingunderdrones.org/,
Smith, Clive Stafford: Drones: the west's new terror campaign. The CIA's Predator drones are bringing to Pakistan the same horror that Hitler's doodlebugs inflicted on London, in: The Guardian, 25 September 2012, http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/sep/25/drones-wests-terror-...,
United Nations, General Assembly, Human Rights Council (ed.): Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Christof Heyns, A/HRC/20/22/Add.3, 30 March 2012.

2 Vgl. Anonymous: United States Special Operations Command, http://www.socom.mil/default.aspx sowie http://en.wikipedia.org/wiki/United_States_Special_Operations_Command.

3 Siehe Becker, Jo/Shane, Scott: Secret ‘Kill List’ Proves a Test of Obama’s Principles and Will, in: The New York Times, May 29, 2012, http://www.nytimes.com/2012/05/29/world/obamas-leadership-in-war-on-al-q...,
Ege, Konrad: Der Präsident bittet zum „Terror-Dienstag“. USA. In wöchentlichen Meetings entscheidet Barack Obama, welche Al-Qaida-Mitglieder auf die Todesliste kommen, in: der Freitag vom 6. Juni 2012, Nr. 23, S. 9, http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-white-house-terminator,
Rüb, Matthias: Lizenz zum Töten. Amerikas Präsident hat den Kampf mit Drohnen nicht nur von seinem Amtsvorgänger übernommen. Er hat ihn ausgeweitet. Aus dem Friedensnobelpreisträger ist ein Krieger geworden, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 4. August 2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/obamas-drohnenkrieg-lizenz-zu....

4 Siehe International Human Rights and Conflict Resolution Clinic (Stanford Law School) and Global Justice Clinic (NYU School Of Law) (eds.): a. a. O

5 Vgl. Anonymous: Joint Special Operations Command (JSOC), http://www.globalsecurity.org/military/agency/dod/jsoc.htm sowie Anonymous: Joint Special Operations Command, http://en.wikipedia.org/wiki/Joint_Special_Operations_Command

6 Vgl. Scahill, Jeremy: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen, München 2013, S. 435ff. Titel der Origina­ausgabe: Dirty Wars. The World is a Battlefield, New York 2013

7 Zit. n. Kostova, Bissera: Special Rapporteur on extrajudicial killings questions US use of drones, in: United Nations Radio. October 27, 2009, http://www.unmultimedia.org/radio/english/detail/84609.html.

8 Zit. n. Schäfer, Horst: Es ist Mord, Mr. President, in: Ossietzky, 3/2010, S. 85, http://www.sopos.org/aufsaetze/4b752b2b47303/1.phtml

9 Ibid.

10 Scahill, Jeremy: a. a. O., S. 435ff.

11 Scahill, Jeremy: a. a. O., S. 594

12 Aus Platzgründen können an dieser Stelle eine Reihe ebenfalls sehr relevanter Aspekte nicht dargestellt und erörtert werden. Darunter fallen u. a.:

(Militär-)Philosophische Erwägungen: Kampfroboter als moralisches Problem, das Problem der Zurechenbarkeit/Verantwortung: Erteilung der Einsatzbefehle, Steuerung und Kontrolle durch Drohnenpiloten

Der Drohnen-Einsatz im Terrorkrieg: die technische Auslegung von Drohnensystemen, das Problem fehlender Luftverteidigung, militärische Bekämpfungsoptionen und deren Kosteneffektivität

Die Legalität des Drohnen-Einsatzes im völkerrechtlich geregelten bewaffneten Konflikt, also im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung

Kampfdrohnen im Vergleich zu Kampfflugzeugen als Luftkriegsmittel, Auswirkungen von Drohnenattacken im Vergleich zum traditionellen Luftkrieg im Hinblick auf Selektivität, Präzision, Kollateralschäden, Letalität der Sprengkopfwirkung

Die PTSD-Problematik bei Drohnenpiloten im Vergleich zu Kampfflugzeugbesatzungen, die rechtlich zu beachtende Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn für Kampfflugzeugbesatzungen.

Die nahezu grenzenlosen Möglichkeiten des nichtmilitärischen Drohnen-Einsatzes im Bereich der Inneren Sicherheit, durch Geheimdienste, durch (organisierte) Kriminelle, kommerzielle Firmen sowie jeden beliebigen Privatmenschen.

13 Zitiert in International Human Rights and Conflict Resolution Clinic (Stanford Law School) and Global Justice Clinic (NYU School Of Law) (eds.): a. a. O., p.8

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Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a.D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung ,Darmstädter Signal'.