Demonstration in Nörvenich

Atomkriegsmanöver „Steadfast Noon“ stoppen!

von Martin Singe
Demo in Nörvenich am 14.10.2023
Demo in Nörvenich am 14.10.2023

Mitte Oktober 2023 hat die NATO erneut mit dem Manöver „Steadfast Noon“ einen Atomkrieg in Europa trainiert. Im Manöver üben die an der nuklearen Teilhabe beteiligten europäischen Staaten zusammen mit den USA den Abwurf der in den Teilhabestaaten gelagerten US-amerikanischen Atombomben.

Zu diesen Staaten gehören Deutschland, die Niederlande, Belgien, Italien und die Türkei. Außerdem sind die sogenannten SNOWCAT-Staaten (Support of Nuclear Operations with Conventional Air Tactics) Europas beteiligt, die Begleitschutz gegen feindliches Radar bieten sollen oder gegnerische Flugzeuge simulieren.

Das Manöver fand schwerpunktmäßig in Italien, wo ebenfalls Proteste stattfanden, und über der Adria statt, unter Beteiligung von bis zu 60 Militärflugzeuge aus 13 NATO-Staaten. Dabei waren auch nuklearfähige US-Bomber des Typs B-52. Laut NATO finde der Einsatz in einer „hoch umkämpften Umgebung“ statt, und um sicherzustellen, dass ein Kampfflugzeug, das einen Atomsprengkopf transportiert, sein Ziel erreicht und auch wieder sicher zurückkommt, ist laut NATO-Sprecher Cox „ein umfassendes Paket in der Luft und am Boden“ vorgesehen. Der fiktive Gegner sei nicht Russland, aber ein Staat mit dessen militärischen und nuklearen Fähigkeiten.

Über 20 Organisationen aus der Friedensbewegung und viele Einzelpersonen hatten zu einer Demonstration „NATO-Atomkriegsmanöver stoppen!“ am 14. Oktober 2023 in Nörvenich aufgerufen. Dort sind aktuell die Tornado-Kampfjets stationiert, die die Atombomben aus Büchel in die gegnerischen Ziele bringen sollen. Nörvenich ist Ausweichstandort wegen der derzeitigen Umbauarbeiten in Büchel. Dort werden neben der Erneuerung der Start- und Landebahnen neue Hangars für die F-35-Atombomber gebaut, die die Bundesregierung von den USA gekauft hat. Ebenfalls dienen die Umbauarbeiten der Aufnahme der neuen zielgenaueren B61-12 Atombomben. In Büchel wird ein „Notbetrieb“ aufrechterhalten, damit die nukleare Teilhabe nicht unterbrochen wird.

Die Demo mit knapp 150 Teilnehmenden wurde mit einer Kundgebung auf dem Schlossplatz eröffnet. Alle Redner*innen forderten das Ende der nuklearen Teilhabe und den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV).  

Faschistische Traditionen
Zur Eröffnung wies Heiner Krüger von der örtlichen Friedensgruppe Düren auf die faschistische Tradition des Fliegerhorstes Nörvenich hin. „1958 bekommt Nörvenich einen Kommandeur der faschistischen Wehrmacht. Am 20. Juni wird auf dem Fliegerhorst Nörvenich bei Düren von dem damaligen Kriegsminister Strauß der erste Kampfverband der Bonner Luftwaffe in Dienst gestellt. Das Jagdbombergeschwader 31 ist mit 50 Düsenjagdbombern vom Typ F 84 ausgerüstet und steht unter dem Kommando von Gerhard Barkhorn, der als Offizier der faschistischen Luftwaffe von Hitler mit höchsten Orden ausgezeichnet wurde.“

Das in Nörvenich stationierte JaboG 31 erhielt im April 1961 von Josef Kammhuber, dem damaligen Generalinspekteur der Luftwaffe, den Traditionsnamen „Boelcke“, einem Kampfflieger aus dem 1. Weltkrieg. Diesen Namen hatte auch Hitler einem Geschwader zugeteilt, da sich Boelcke „unvergänglichen Ruhm“ erworben hätte. Das Boelcke-Geschwader aus Wunstorf war auch an der Auslöschung von Guernica beteiligt.

Atomwaffen-Ächtung statt Atomkriegsmanöver
„Das Atomkriegsmanöver Steadfast Noon bildet ein erhebliches Risiko in der Eskalationsspirale“, mahnte die Sprecherin der Atomwaffenfrei-Kampagne Hildegard Slabik-Münter. Auch infolge von Missverständnissen, Fehlinterpretationen oder technischen Fehlern könne ein Atomkrieg „aus Versehen“ herbeiführt werden. Doch ob bewusst oder aus Versehen: Jeder Einsatz von Atomwaffen hätte verheerende Auswirkungen und könne nie gerechtfertigt werden.

Auf diese Gefahr machte auch Pfarrer Jens Sannig, Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Jülich, aufmerksam. „Die Ächtung atomarer Waffen, der Abzug der Atomwaffen aus Deutschland statt ihrer Modernisierung, und die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages durch die Bundesrepublik Deutschland sind klare Beschlüsse der Evangelischen Kirche im Rheinland.“ Angesichts gegenwärtiger Kriege fragte er: „Wird die Versöhnung als einzigem Weg zu einer friedlichen Koexistenz der Menschen jetzt mit dem Krieg in der Ukraine und dem jüngsten Krieg zwischen Israel und den Palästinensern ad absurdum geführt? Ich meine nein! Frieden und Versöhnung, Deeskalation und Verständigung sind der wichtigste Baustein für ein sicheres Europa und eine gerechte Welt.“

Nora Anicker von ICAN Deutschland prangerte in ihrer Rede den Widerspruch zwischen Deutschlands Mitgliedschaft im Nichtverbreitungsvertrag (NVV) und der Praxis der nuklearen Teilhabe an. Aus Sicht vieler Staaten ist beides nicht miteinander vereinbar, da der NVV die Weitergabe von Atomwaffen an andere Staaten verbietet. „Dieses wichtige Rüstungskontrollabkommen wird mit der Praxis der nuklearen Teilhabe und mit dem Atomkriegsmanöver Steadfast Noon untergraben und verliert an Glaubwürdigkeit, denn die Luftwaffe übt damit einen Vertragsbruch. Ob die aktuelle Form der Teilhabe einen Rechtsbruch darstellt, ist international tatsächlich umstritten, spätestens wenn die Waffen scharf geschaltet sind und deutsche Pilot*innen über sie verfügen können, ist der NVV gebrochen!“, stellte die ICAN-Aktivistin fest.

Atomwaffen sind Demokratie-unverträglich
Ludo de Brabander von der belgischen Friedensorganisation „Vrede vzw“, kritisierte die fehlende Transparenz und Geheimhaltungspolitik der NATO hinsichtlich der Nuklearwaffen in Europa. „Dies macht eine demokratische Debatte und Entscheidungsfindung praktisch unmöglich, was auch der Zweck zu sein scheint. Die Geheimhaltung der nuklearen Teilhabe ist in einer Demokratie inakzeptabel. Die Menschen haben ein Recht auf die Wahrheit und müssen die Möglichkeit haben, sich demokratisch zu äußern.“ Die dortigen Atombomben wurden Anfang der 1960er Jahre im Rahmen eines geheimen Abkommens zwischen Belgien und den USA stationiert. „Seitdem weigert sich die Regierung, das Vorhandensein von Atombomben in Belgien zu bestätigen und blockiert so jede normale parlamentarische Debatte.“ Doch trotz starken Drucks der USA gegen den AVV habe die belgische Regierung (wie auch die deutsche und niederländische, d. Verf.) auf Druck der Friedensbewegung zumindest im Beobachterstatus an der 1. Staaatenkonferenz zum AVV teilgenommen.

Tornado-Pilot*innen sollen Beteiligung an nuklearer Teilhabe verweigern
Nach der Kundgebung, die auch von musikalischen Friedensbeiträgen bereichert wurde, zogen die Demonstrierenden in einem bunten Zug mit vielen Transparenten zum Kriegsflughafen Boelcke. Der vorgezogene Sicherheitszaun des Haupteingangs wurde mit Transparenten geschmückt. Die SDAJ führte eine szenische Atomkriegs-Tatortsicherung vor. Des Weiteren wurde ein Appell an die Tornado-Pilot*innen vorgetragen, sich der nuklearen Teilhabe zu verweigern und insbesondere Einsatzbefehlen zur Ausbildung an der neuen F-35, die in Kürze in den USA beginnen soll, nicht nachzukommen. Die Organisatior*innen der Demo werteten die Aktion als Erfolg, auch wenn keine Massen herbeigeströmt waren. Die Aachener Zeitung berichtete ausführlich über die Demonstration.

Nachlesen kann man alle Redebeiträge und weitere Infos zur Demo auf der atomwaffenfrei-Seite beim Netzwerk Friedenskooperative: https://www.atomwaffenfrei.de/home/artikel/1a53e73e3ea9bdeeebf50b9fd38d0...

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".