Der verdeckte Krieg der USA gegen Iran

Atomstreit mit Iran

von Karl Grobe
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Viel Zeit bleibt den Konfliktparteien nicht mehr, wenn sie den verdeckten, indirekten Krieg herunterfahren oder – was zu wünschen wäre – beenden wollen. In den USA, in Iran und auch in anderen Staaten, die eher indirekt an dieser halb militärischen Auseinandersetzung beteiligt sind, stehen Entscheidungen an.

Der neu gewählte US-Präsident Joe Biden ist zwar viel besser über den Konflikt informiert als sein Vorgänger, Donald Trump, der im Skandal aus dem Amt ging, nicht ohne dem demokratischen System, der Funktionsfähigkeit der staatlichen Apparate und dem Ansehen der USA schweren Schaden zugefügt zu haben. Biden hat lange Erfahrungen im Umgang mit den Mächtigen in Teheran. Nicht nur als Vizepräsident unter Barack Obama und von Amts wegen Präsident des US-Senats. Er hat Kontakte mit früheren Atom-Verhandlungspartnern, die 2015 das Atomabkommen mit Iran ausgehandelt haben. Anekdotisch heißt es, er bewahre deren Internetadressen und Smartphone-Telefonnummern sorgsam auf. Ob er sie nutzen kann, hängt davon ab, wie rasch es seinem Team gelingt, jenen Schlamassel zu bewältigen, den Trump hinterlassen hat. Der hat schließlich einseitig – und gegen völkerrechtliche Übung – das Atomabkommen aufgekündigt. Danach ist die Angelegenheit einigermaßen aus dem Ruder gelaufen.

Biden will das als JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) bekannte Abkommen wiederbeleben. Die Unterstützung der vier anderen Großmächte – China, Frankreich, Großbritannien und Russland – sowie des Mitunterzeichners Deutschland dürfte ihm sicher sein. Irans Präsident Hassan Ruhani – in seiner Amtszeit wurde JCPOA beschlossen – will auch die Einigung. Eine starke Gruppe von Hardlinern in der Teheraner Führung will das alles nicht.

Neuwahlen in Iran
Da kommt der Zeitfaktor hinzu. Am 20. März feiert Iran Nowruz, das Neujahrsfest zur Sonnenwende. Das bedeutet zwei Wochen, in denen die politischen Geschäfte ruhen. Danach beginnt der Präsidenten-Wahlkampf; Iran bekommt Mitte Juni einen neuen Präsidenten, denn Ruhani darf nach zwei Vier-Jahres-Amtszeiten nicht wieder antreten. Es läuft alles auf einen Hardliner-Staatschef hinaus; denn Ruhani werden die Wirtschaftsmisere und die Verelendung der Mehrheit, aber auch die Bereicherung der ohnehin Reichen angelastet. Also Rechtsruck.

Ursache des Elends sind jedoch die Sanktionen, die nach Abschluss der JCPOA abgeschafft werden sollten, was nur zögerlich geschah, und die unter Trump wieder eingeführt und verschärft wurden. Diese haben zum Teil in den USA Gesetzeskraft, sie aufzuheben erfordert neue Gesetzgebung. Sie sind zudem international wirksam, obwohl national in Washington beschlossen: Firmen, die in oder mit Iran tätig sind, werden vom US-Markt ausgesperrt. Darüber hinaus ist Iran faktisch vom internationalen Geldverkehr ausgeschlossen. Das Land kann weder sein wichtigstes Handelsgut, Erdöl und Erdgas, international verkaufen noch Investitionsgüter, Nahrungsmittel oder Medikamente auf dem Weltmarkt kaufen. Das aufzuheben, solange Ruhani noch Präsident ist, scheint ausgeschlossen.

Als Reaktion auf den Vertragsbruch durch die Trump-Regierung hat die Regierung in Teheran eine Reihe von Verboten außer Kraft gesetzt, die JCPOA-Bestandteil waren. Es war ihr verboten, Uran über den Anteil von 3,67 Prozent hinaus anzureichern. Sie begann nach dem Vertragsbruch der USA mit einer Anreicherung auf 4,5, seit Jahresbeginn nun auf 20 Prozent. (Waffenfähiges Uran muss zu mindestens 90 Prozent angereichert sein). Auch in diesem Zusammenhang ist eine rasche Rückkehr zum alten Zustand nicht möglich. Doch Biden hat angedeutet, dass er darauf besteht.

Der Konflikt hat eine längere Vorgeschichte
Nach der in der iranischen Gesellschaft allgemein verbreiteten Ansicht hat der Konflikt 1953 begonnen. Premier Mohammad Mossadegh hatte die persischen Ölquellen, bislang in britischem Besitz, verstaatlichen lassen. Die Intervention der USA („Operation Ajax“, gelenkt vom CIA-Agenten Kermit Roosevelt jr.) und Großbritanniens bestand in der Organisation eines Aufstands, der zum Sturz Mossadeghs führte und die Ölquellen wieder in ausländischen (amerikanischen, britischen und französischen) Besitz brachte. Das durch diese Operation bestärkte Schah-Regime bestand bis 1979.

Auf dieses Jahr datieren die USA gemeinhin den Beginn der Feindschaft. Die islamische Revolution hatte den Schah gestürzt, beim Sturm auf die US-Botschaft durch radikale Kräfte wurden die dort befindlichen Diplomat*innen für 444 Tage zu Geiseln. Den Krieg des irakischen Diktators Saddam Hussein gegen das Regime des Ayatollah Ruhollah Khomeiny (1980-1988) unterstützten die USA, bevor sie in Irak intervenierten und den irakischen Staat 2003 endgültig zum failed state machten. Die iranisch-amerikanische Frontstellung ist seitdem unverändert. Es handelt sich um einen unerklärten, verdeckt geführten, „asymmetrischen“ Krieg.

Die Handelsverbote – Sanktionen gegen die iranische Wirtschaft - sind ein Teil dieses Krieges. Sie treffen nicht nur die Unternehmen des Landes, sie machen vielmehr die Perser*innen und die anderen Völker Irans zu Geiseln. Der Zweck dieses Verfahrens ist leicht zu durchschauen: Die Bevölkerung soll, weil sie in Armut und Elend abstürzt, in die Rebellion gegen die Herrschenden getrieben werden, geistliche Führer (Mullahs, Ayatollahs, ihre Vertreter in den überwachenden Räten, die jede Wahl im Vorfeld kontrollieren, Pasdaran (Revolutionsgarden) als sich bereichernde Manager der Ökonomie. An der Zähmung dieser herrschenden Klasse ist Präsident Ruhani gescheitert (wenn das tatsächlich ein Ziel gewesen sein sollte), ebenso wie an der Abwendung des Massenelends. Doch der umfassende allgemeine Aufstand ist bisher auch ausgeblieben.

Verdeckter Krieg
Staatliche Beteiligung der USA und Israels an anderen, direkteren Aktionen ist zwar nie eingestanden worden, aber wahrscheinlich, besonders im „Cyberwar“, dem Spionage- und besonders Sabotagekrieg mittels Schädlings-Software. Im Sommer 2010 infizierte ein Virus namens Stuxnet über 30.000 Rechner in iranischen Industrieanlagen. Ein anderes Virus befiel Computer in Iran, der West Bank, Libanon und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Betroffen waren Nuklearanlagen; die meisten Anreicherungs-Zentrifugen in Iran wurden unbrauchbar, das Ölministerium und die Erdölverarbeitung lahmgelegt. Ein solches Virus konnte nur von einem hochprofessionellen Team entwickelt worden sein, ziemlich sicher in den USA oder in Israel oder in Kooperation beider. Bis Ende 2020 verursachten Computer-Angriffe erhebliche Schäden in Nuklearanlagen, etwa bei Isfahan und in Natanz.

Staatliche Auftraggeber steckten hinter einer Serie von Mordanschlägen, zuletzt im November 2020 gegen den iranischen Nuklearwissenschaftler Mohsen Fakhrizadeh. Wie bei anderen Attentaten auf Wissenschaftler, oft auf offener Straße in Teheran, führen Spuren zu den Volksmudjahedin (MEK). Diese 1979 noch an der Revolution gegen den Schah beteiligte Organisation ist in wenigen Monaten zu einer Terrororganisation mutiert und seit 2003 von den USA gegen Iran eingesetzt worden. Zu bewaffneten Aktionen gegen das Mullah-Regime hat sie sich seit 1980 offen bekannt. Zwar wurde sie von internationalen Gremien und auch in den USA als Terror-Organisation aufgeführt, vor wenigen Jahren aber aus den entsprechenden Listen gestrichen.

Iranische Hacker haben ihrerseits Computer in den USA und in deren Verbündeten angegriffen. 2012 legte das Virus Shamoon 35.000 Rechner der Ölgesellschaft Saudi Aramco lahm, seit 2016 sollen die Shamoon-Macher wieder aktiv sein. Hacker griffen große US-Banken 2013 an, so dass Onlinebanking zeitweise unmöglich war. Hacker-Angriffe betrafen im selben Jahr einen Staudamm im Staat New York, und 2019 war der Microsoft-Konzern Ziel einer Attacke. Die Regierung in Teheran stritt jedes Mal ihre Beteiligung ab.

In den westlichen Nachbarländern Irans sind seit 2003 – der US-Invasion in Irak – die Kampfbrigaden der “Armee Allahs” (Hisbollah) aktiv. Die Regierung Israels macht sie für Raketenangriffe und Sabotageakte verantwortlich, unterscheidet dabei nicht zwischen den Brigaden, die eng mit den iranischen Revolutionsgarden zusammenarbeiten und von diesen gesteuert werden, und der libanesischen Partei- und Miliz-Organisation Hisbollah. In Irak sind mehrere schiitische Gruppen mit Aktionen gegen US-Einrichtungen bekannt geworden.

Drohnenkrieg
Ein besonderes Kapitel ist der Drohnenkrieg. Iran verfügt bisher anscheinend nicht über bewaffnete unbemannte Flugzeuge. Bei einem Raketenangriff auf saudische Ölförderungsanlagen soll es sich allerdings um einen Drohnen-Einsatz gehandelt haben, nicht um einen Angriff der jemenitischen Huthi-Gruppe. Die USA setzen seit Jahrzehnten Spionagedrohnen in Iran ein. Eine solche Drohne wurde von den Revolutionsgarden zur Landung gezwungen, nachdem diese die Steuerungssoftware gehackt hatten. Wie weit Drohnen an der operativen Lenkung von Mordanschlägen wie dem auf den Nuklearwissenschaftler Fakhrizadeh beteiligt waren, ist eine offene Frage.

Drohnen-Einsätze der USA werden von einer Kommandozentrale im Mittleren Westen aus geführt. Der Urheber der Einsatzbefehle ist um einen halben Erdumfang von dem Einsatzgebiet entfernt, das er wahrscheinlich nie gesehen hat. Der Befehl etwa zur Tötung eines Feindes geschieht anonym. Die Signale werden – wohl über Glasfaserkabel – zu einer Schaltzentrale in Ramstein gesendet. Da wegen der Erdkrümmung eine unmittelbare Steuerung aus den USA nicht möglich ist, kommt Ramstein eine Schlüsselposition zu. Erst von dort aus werden sie per Funk an die Drohnen geleitet. Zivile Opfer von Drohnenangriffen haben vergeblich in Deutschland gegen den Ramstein-Betrieb geklagt.

Das Knäuel von Konfrontation, Sabotage, Spionage, Mord, Wirtschafts- und Cyberkrieg zu entwirren, Frieden zu stiften ist in der wahrscheinlich nur sehr kurzen Zeit kaum möglich. Es ist aber notwendig. Wegen Ramstein ist Deutschland beteiligt, wegen der fortbestehenden Sanktionen einerseits Opfer (da Iran-Handel ausgeschlossen ist), andererseits Täter gegen die iranische Bevölkerung. Waffenlieferungen an Konfliktbeteiligte machen Deutschland vollends zum Mittäter. Auf Joe Biden, Hassan Ruhani und dessen Nachfolger zu hoffen und ihnen die alleinige Verantwortung zuzumessen, ist verantwortungslos. Deutschland als Mit-Initiator und Mit-Unterzeichner des JCPOA-Abkommens kann sich zudem der Verantwortung für dessen Rettung nicht entziehen.

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Journalist und Historiker, war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau.